Who the hell is Noah Feldman?" Die Frage nach dem 32-jährigen Nobody, der federführend unter der US-Besatzungsbehörde Office for Reconstruction and Humanitarian Assistance (ORHA) eine irakische Verfassung ausarbeiten soll, steht seit seiner Ernennung Ende April im Raum. Juristen wundern sich, außenpolitische Beobachter sind sprachlos, auch in den amerikanischen Medien, die ansonsten ganz dem Motto "Jews are news" verpflichtet sind, herrscht auffälliges Schweigen.
Nicht aus dem Sumpf
Biographisches und Eckdaten der steilen Karriere Feldmans sind bekannt: aufgewachsen in einem wohlhabenden orthodox-gläubigen Elternhaus in Boston, Studium mittelalterlicher Texte in den Originalsprachen hebräisch und aramäisch schon als Jugendlicher. Arabisch beginnt er mi
dlicher. Arabisch beginnt er mit 15, sein Nahoststudium an der Harvard-Universität schließt er mit summa cum laude ab, es folgt ein Jurastudium in Yale. Er arbeitet als Assistent beim liberalen Verfassungsrichter David Souter und tut sich während des Auszählungschaos in Florida als juristischer Berater für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Al Gore hervor. Auch an der neuen Verfassung für Eritrea arbeitet er mit. Im August 2001 wird er - hochspezialisiert in der Nischenverbindung Jura und Islamistik - Assistant Professor an der New York University. Wenige Wochen später - nach dem 11. September - wird sein Name genau deshalb in Washington als Geheimtipp gehandelt. Den Ausschlag für Feldmans Berufung, der aufgrund seiner dezidiert liberalen Sicht auf die arabisch-islamische Welt so gar nicht in den Sumpf der regierungsamtlichen Washingtoner Neokons und Theokons passt, dürfte seine Fachkompetenz gegeben haben. Ob rechts, links, politisch erfahren oder nicht - das Pentagon brauchte offenbar einen in islamischer Geschichte sowie vergleichendem Verfassungsrecht und Arabisch bewanderten Experten. Die Lücke konnte mangels Alternativen nur Feldman füllen. Da ihn das Pentagon schnell zum Geheimnisträger ernannte, gibt es bislang kein Interviews, die etwas über seinen neuen Job im Office for Reconstruction and Humanitarian Assistance aussagen würden. Er verstehe sich als einer, der "Optionen anbietet", so Feldmans letztes Statement vor seiner Abreise nach Bagdad. Die wirklich kritischen Entscheidungen würden im Irak dann "von den Leuten selbst" getroffen werden müssen. Was ihm für das Zweistromland nach einem Rückzug der US-Truppen vorschwebt, klingt paradiesisch: eine demokratische Verfassung mit der starken Betonung auf bürgerliche Freiheiten wie Versammlungs- und Rederecht, die Verankerung der Gleichberechtigung von Frauen und von ethnischen Minderheiten. Den Einfluss der Nachbarstaaten auf denkbare irakische Wahlen will er möglichst klein halten, etwa durch juristische Regelungen der Wahlkampffinanzierung.Al Qaida "politisch irrelevant"Dass Noah Feldman in der islamischen und arabischen Welt keineswegs die politische und soziale Regression verborgen sieht, wird in seinem Erstlingswerk After Jihad deutlich, das kurz vor seiner Berufung durch die Bush-Regierung publiziert wurde. Seine These: die radikale Auflehnung islamischer Fundamentalisten hat ihren Zenit längst erreicht. Die Anschläge des 11.September und die ihm folgenden Gewalttaten islamistischer Gruppen von Marokko über Bali bis nach Saudi-Arabien seien "das letzte, verzweifelte Aufbäumen einer Tendenz zur Gewalt, die den Großteil ihrer Anhängerschaft verloren hat". Al Qaida, heißt es bei Feldman weiter, sei "politisch irrelevant". Weiter sind bei ihm Sätze zu lesen, die Noam Chomsky geschrieben haben könnte. Die USA hätten immer nur Diktaturen unterstützt, es sei endlich Zeit, sich für die Etablierung demokratischer Systeme einzusetzen. Feldman glaubt, bei führenden Islamisten "den Wunsch nach Demokratie" entdeckt zu haben, zum Beispiel wenn er an die Türkei denke. Seien dort Islamisten an der Macht, übten sie sich in Pragmatismus und agierten ausgesprochen demokratisch - das ginge so weit, dass sie während des Irak-Kriegs dem Wunsch der Bevölkerungsmehrheit nachgekommen seien und den USA untersagt hätten, die Türkei als Aufmarschgebiet ihrer Bodentruppen zu benutzen. Als weiteren Fall nennt Feldman Algerien. Die Militärs dort seien von Paris und schließlich auch von Washington gegen die demokratisch gewählten Politiker des Front Islamique du Salut (FIS) mit allen Mitteln unterstützt worden - dadurch habe man das Land in einen Bürgerkrieg getrieben. Eine Teilhabe von islamischen Fundamentalisten an der Macht - ja, die Übernahme der Macht - müsse in Zukunft zugelassen werden, glaubt Feldman. Schließlich könne anti-amerikanisches Ressentiment nur in originären Demokratien abgebaut werden - was wiederum ganz im Sinne amerikanischer Sicherheitsinteressen sei. Den derzeitigen Anti-Amerikanismus im Irak, den Feldman vor allem bei den Schiiten zu erkennen meint, begründet er mit den Ereignissen während des Golfkriegs von 1991, als Saddam Hussein Zehntausende exekutieren ließ, die sich - von Washington ermuntert - gegen ihn aufgelehnt hatten und von der Regierung des Präsidenten Bush sen. im Stich gelassen wurden. Die USA müssten sich - falls es ihnen wirklich um Demokratisierung gehe - gegenüber der mit Recht skeptischen Bevölkerung als integrerer Partner erweisen. Doch die amerikanische Besatzungspolitik lässt dies nicht erwarten, ebenso wenig die Geheimnistuerei, mit der sich das Office for Reconstruction and Humanitarian Assistance abschottet. So ist bislang weder konkret zu erfahren, wie die irakisch-amerikanische Verfassungskommission zusammengesetzt ist, noch welches zeitliche Limit sie für ihre Arbeit setzt. Kein Wunder, denn auch über Aufstockungen der US-Truppen und den Zeitpunkt möglicher Wahlen im Irak wird in unzugänglichen Büros der Bush-Administration entschieden. Gleiches galt für die Berufung Noah Feldmans - und dürfte auch für seine Abberufung gelten.