„Die Niederbayern-Gigs sind die Härte“

Porträt dicht & ergreifend wurden auf Youtube bekannt. Jetzt will das Duo mit bayerischem Hip-Hop die Republik erobern
Ausgabe 16/2016
In ihren Tracks geht es nicht um Lokalpatriotismus - sondern um Sozialkritik
In ihren Tracks geht es nicht um Lokalpatriotismus - sondern um Sozialkritik

Foto: Leon Zarbock

Die Blicke der Zuschauer schwanken zwischen Begeisterung und Skepsis, Belustigung und Unverständnis. Manche im Publikum der Low-Budget-Live-Talkshow Simi Will im verrauchten Valentin Stüberl in Berlin-Neukölln nicken immerhin im Takt. Der Auftritt an diesem Abend ist eben kein Heimspiel für die beiden Rapper George Urquell und Lef Dutti alias Michael Huber und Fabian Frischmann vom Hip-Hop-Duo „dicht & ergreifend“. Zwar gilt das „Stüberl“ als eine bargewordene Hommage an den Münchner Komiker Karl Valentin, als prominenter Rückzugsort für Exilbayern in Berlin. Aber viele der Leute zwischen Mitte 20 und 50 hatten entweder nie eine musikalische Hip-Hop-Phase – oder haben selbige längst hinter sich gelassen. Und sie bekommen Verständnisprobleme, als dicht & ergreifend anfangen, im niederbayrischen Dialekt über ein gängiges Beziehungsproblem in ihrer Heimat zu singen: „Unterm Strich ruafst mi immer o, wennst bsuffa bist und wunderst di, dass i di ned obhoi“ (Unterm Strich rufst du mich immer an, wenn du besoffen bist und wunderst dich, dass ich dich nicht abhole.)

Die beiden Wahlberliner haben im vergangenen Jahr ein rasantes Debüt in Eigenregie hingelegt. Ihr selbstproduziertes Musikvideo auf Youtube, Zipfeschwinga (von Zipfelklatscher, was je nach Tonfall Draufgänger, Idiot oder Kumpel bedeutet), hat jedenfalls irgendeinen Nerv getroffen. Bayrischer Rap, mit Sozialkritik und realness, wie es im Hip-Hop gerne heißt.

Musikalisch sorgen Tuba und „Quetschn“ (Akkordeon) passend zum Dialekt für die latent alpine Note, während die Beats und das Sampling den gewissen Hip-Hop-Flow liefern. Die Texte sind derb, sprachversiert und gschert (dreist-lustig). Kraftausdrücke wie die „oide Spinatwachtl“ (alte Spinatwachtel) sind selbst in Bayern in die Jahre gekommen. Aber nun haben sie hier wieder ihren Auftritt – und sie wirken: Nach zwei Stunden Konzert ist im Valentin Stüberl jedenfalls die Lethargie verschwunden. Beim Lied Schnupfa & Dringa hüpft die Crowd sogar mit.

der Freitag: Ihr tourt seit vergangenem Herbst mit eurem Debütalbum vor allem durch Bayern, durch kleine Städte und Dörfer, und die Abende sind fast immer ausverkauft. Wer geht auf dem Land auf ein Hip-Hop-Konzert?

George Urquell: Es ist auf jeden Fall ein ziemlicher Unterschied, ob wir in einem Kuhdorf oder einer größeren Stadt wie Nürnberg oder München spielen. Bemerkenswert ist, dass von Anfang an Leute gekommen sind, die gesagt haben: „Ich hör mir überhaupt keinen Rap an, ich mag des eigentlich gar nicht.“ Solche, die eher aus der Hardrock-Ecke kommen und mit dem Sound trotzdem etwas anfangen können. Da schlägt wahrscheinlich das Sprachliche die Brücke. Ansonsten ist die Klientel von Ort zu Ort total ver-schieden. Unser DJ Spliff sagt immer, die Niederbayern-Gigs seien die Härte, weil die Landwirtschaftsdichte dort sehr hoch ist und die meisten Landwirte mit Hip-Hop sonst wenig Kontakt haben. Da kann es auch passieren, dass sich ein KLJBler mal verläuft, der die Texte nicht so versteht.

Ein KLJBler?

Lef Dutti: Katholische Landjugend.

Urquell: Dort finden sich viele, die genau diesen Lokalpatriotismus, den wir anprangern, proklamieren. Nur weil wir auf dem Volksfest ein Video gemacht haben, stellen wir uns nicht hin und sagen: „Bayern olé!“ Wir setzen uns ja sehr sozialkritisch mit dem ganzen Thema Bayern auseinander und da werden wir oft falsch verstanden. Wir hatten mal ein Konzert, vor dem einer geschrien hat: „Bayern, des samma mia“. Da denkst du dir dann schon: „Woa leck! Warum kann ich nicht auf einer Hip-Hop-Jam spielen, wo die Leute das einfach kapieren?“ Aber es ist auch nicht die Masse, es sind eher vereinzelte Blindgänger, die teilweise noch saujung sind.

„Ghetto-Gstanzl“

Freestyle-Rap hat eine alte Tradition in Bayern: Wenn man zu verschiedenen Themen Strophen improvisiert, wird das in Bayern „Gstanzl“ genannt. Deswegen beschreiben dicht & ergreifend ihren Musikstil passenderweise als „Ghetto-Gstanzl“. Musikalische Anklage und Auflehnung gegen die Staatsmacht und Obrigkeit – auch das hat Tradition in Bayern. Am längsten und intensivsten betreibt diesen Kampf „der bayrische Rebell“ Hans Söllner. Seit mehr als 30 Jahren steht der Liedermacher auf Kriegsfuß mit der CSU und den Behörden, was sich bereits in etlichen Prozessen niedergeschlagen hat. Aber auch das musikalisch klassisch-folkloristische Brüdertrio „Biermösl Blosn“ hat sich stets politisch zum Freistaat positioniert.

Bayrischer Mundart-Rap ist ein relativ neues Phänomen. Die österreichischen Nachbarn sind den Bayern da schon ein wenig voraus. Der bisher wohl bekannteste Bayern-Track ist Mach doch dein Polt-Remix aus dem Jahr 2012, in dem die beiden Oberpfälzer Liquid & Bbou alte Gerhard-Polt-Zitate remixen. Neben Liquid und Bbou sind Grämsn und Monaco F von der Band Doppel D bekanntere Vertreter des Genres. Seit 2014 zählen nun auch dicht & ergreifend dazu. Der Erfolg kam 2014 mit dem Youtube-Hit Zipfeschwinga, innerhalb kürzester Zeit hat sich das Musikvideo auf sämtlichen Social-Media-Plattformen verbreitet.

Ihr Debütalbum Dampf der Giganten ist 2015 erschienen und wurde (trotz Anfragen einiger Labels) durch Crowdfunding produziert. dicht & ergreifend changieren zwischen Volksfest und Rap-Clubs, ihre Texte bewegen sich zwischen Kommentar zur Bankenkrise und Bierseligkeit

Ein paar Tage nach dem Konzert: George Urquell und Lef Dutti sitzen in Kapuzenpulli und Jogginghose in ihrer frisch bezogenen Wohnung in Berlin-Friedrichshain, rauchen und trinken Jever. Wäre der Dialekt nicht, würde kaum etwas auf ihre bayrischen Wurzeln hindeuten. Mit Ausnahme eines kleinen Freistaat-Bayern-Fänchens, das auf dem Tisch hinter einem der Computerbildschirme steht.

Lef Dutti, also Fabian Frischmann, trägt halblange schwarze Locken, Dreitagebart und solide Augenringe. Er ist als Sohn einer Arzthelferin und eine Dachdeckers, der auf Schindeldächer spezialisiert ist, in der Gemeinde Tunzenberg in Niederbayern aufgewachsen. Dass er vor dem ganzen Hype um dicht & ergreifend sein Geld als Grafikdesigner verdient hat, erklärt den professionellen Auftritt der Band mit eigenen Logos und Merchandising-Artikeln. Sein Pseudonym spielt auf den „Leftutti“ an: Das Wort stammt wohl noch aus der Zeit, als Anfang des 20. Jahrhunderts viele italienische Gastarbeiter nach Bayern kamen und mit „Lavoro tutti“ meinten, sie wären für jede Arbeit dankbar. Die abwertende Verwendung – gutmütiger Depp – ist ein Ausdruck bayrischer Gastfreundschaft.

Seinen Kumpel Michael Huber, alias George Urquell, lernte Frischmann auf einer Hip-Hop-Jam in Ottering, einer Gemeinde, die ebenfalls im Landkreis Dingolfing-Landau liegt, kennen. Die Jam hatte Michael Huber im Wirtshaus seiner Eltern selber organisiert. Mit großer Resonanz: „Es war gestopft voll. Schu und Holunder von Blumentopf sind extra von München runtergekommen und haben gefreestylt. In der privaten Küche von meinen Eltern ist gekifft worden wie blöd, und das ist ja total verpönt auf dem Dorf. Auch meine Eltern sind damit überhaupt nicht d’accord, aber die waren so euphorisch über das volle Haus, dass sie es einfach ignoriert haben.“ Sein Vater, Metzger oder „Fleischdesigner“, wie Huber es nennt, habe eine Wurstplatte nach der anderen hingestellt – so sehr habe es ihm „getaugt“.

Nur finanziell war die Jam eine Katastrophe. Huber hatte als Veranstalter keinerlei Erfahrung und allen Bands eine „VIP-Karte“ in die Hand gedrückt, mit der sie umsonst trinken durften. „Die sieben Bands haben ein ausverkauftes Haus in einen Nullumsatz gesoffen.“ Das Jam-Organisieren hat er dann erst mal bleiben lassen.

Ihr tretet auch außerhalb von Bayern auf, in Berlin oder Hamburg. Aber da gehen bestimmt nicht nur Exilbayern hin, oder?

Urquell: Also in Hamburg waren nur etwa 50 bis 70 Leute da und davon waren ein paar Exilbayern, aber wenig. Und die Resonanz war umwerfend: Die sind alle abgegangen wie wahnsinnig. Wir reden auch dort zwischen den Liedern bayerisch, das erste Mal, dass wir wirklich hochdeutsch geredet haben, war zuletzt bei der Show in Neukölln.

Und ihr wollt, trotz Sprachbarriere, den Rest von Deutschland erobern

Dutti: Wir haben auf jeden Fall den Anspruch, dass wir auch mehrere Konzerte außerhalb Bayerns spielen, allein weil in Bayern fast schon alles abgegrast ist. Und auch weil es einem einfach noch mehr gibt, wenn jemand nur die Hälfte versteht und trotzdem auf dem Konzert abgeht bis zum Schluss. Das ist auch eine Bestätigung, dass die Musik und die Show gut sind.

Wobei es gerade beim Hip-Hop ja mehr um die Texte geht.

Dutti: Das ist natürlich ein Problem. Aber ich kann zum Beispiel überhaupt kein Französisch und höre gerne französischen Hip-Hop. Das funktioniert trotzdem. So sollte das beim Rap vielleicht einfach sein.

„Zipfeschwinga“, euer erster Song, hat mittlerweile über 750.000 Views, 2014 wurde das Lied auf Youtube zum Urknall für euren Erfolg.Wie erklärt ihr euch diese Resonanz?

Urquell: Zum einen ist der Track einfach ein Stampfer, der geht sauber nach vorne. Er hat keine festgefahrene Thematik, sondern Punchlines und Mini-Storys über zwei, drei, vier Zeilen, was das Lied abwechslungsreich macht. Auch die Location, das Volksfest, auf dem wir das Video gedreht haben: All diese Komponenten haben das zu einem runden Ding gemacht. Das wollte jeder gleich wieder herzeigen. Im Endeffekt geht es ja immer ums Teilen: Wenn dir etwas wirklich taugt – dann schickst du es deinem Kumpel.

Womöglich lässt sich der Erfolg des Duos aber auch durch die explizite Sozialkritik erklären, die bei Zipfeschwinga mitschwingt. Wie etwa in der Zeile „du bist brauna ois de Bremsspua in deina Untabix“ (du bist brauner als die Bremsspur in deiner Unterhose). Als linker Bayer gerät man im Rest von Deutschland öfter unter Rechtfertigungszwang. Seit der Flüchtlingsdebatte mehr denn je. Das ewig schwarze CSU-Land, Heimat der Seehofers und Söders, Bierdunst und Blasmusik – da können die eigenen Bemühungen um Schadensbegrenzung und eine differenzierte Wahrnehmung noch so groß sein.

Weißblaue Coolness? Bavarian Beats? Klingt mehr nach Oxymoron als nach Metapher, nach Utopie als nach Realität. Das Duo dicht & ergreifend verbreitet ein anderes Bild vom Alpenland.

Bei „Imma no“, einem Lied gegen die erzkonservativ-katholische Masse in Bayern, heißt es im Refrain: „I sig eich imma no eire Weiba haun, imma no eia Haisl baun, imma no das Asylantengschwerl zum Deife haun (...)“ (Ich sehe euch immer noch eure Frauen schlagen, immer noch euer Haus bauen, immer noch das Asylantengesindel zum Teufel jagen). Fühlen sich da Leute angegriffen?

Dutti: Ja, manche schon. Von mir gibt es eine Zeile: „In Bayern gibt’s koa Unterschicht und wenig Asylantn, in Frankn verhungerns, doch bei uns fuadan ma d Antn“ (In Bayern gibt es keine Unterschicht und wenig Asylanten, in Franken verhungern sie, doch bei uns füttern wir die Enten). Manche verstehen das nicht und meinen, dass ich die Franken dissen möchte. Eigentlich weise ich aber nur auf diesen ewigen „Bayern-Franken-Hass“ hin, der völlig unbegründet ist. Darauf, dass es jedem eigentlich ziemlich gut geht – aber wenn mit den Flüchtlingen mal irgendwas ist, regt man sich drüber auf.

Ihr wollt ein anderes Bayern, eine andere Heimat zeigen: Warum seid ihr denn eigentlich nach Berlin gekommen?

Dutti: Ich wollte einfach weg – nicht weil ich es nicht mehr ausgehalten habe, eher weil es hier einfach viel zu langweilig war.

Urquell: Bei mir war es anders. Ich bin viel durch die Welt gereist, war längere Zeit in Lateinamerika und Spanien. Als ich dann zurückkam, habe ich es in Bayern einfach nicht mehr ertragen. Es war schon irgendwo eine Fahnenflucht. Das hat sich mittlerweile aber wieder gegeben. Am Ende ist jede längere Reise auch eine Heimkehr.

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Geschrieben von

Max Büch

Onlineredakteur

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