Zu Selbstironie sind Künstler offenbar nur dann fähig, wenn sie den Ruhm der eigenen Kunstfigur mehrt. Thomas Alan Waits bestreitet mit dieser Strategie eine fast 40 Jahre währende Musiker- und Schauspielkarriere, doch noch nie hat er sich so konsequent selbst ad absurdum geführt wie auf seinem neuen Album „Bad As Me“, denn richtig ernst nehmen sollte man das nicht, was der kalifornische Kauz darauf zelebriert: Das Brüllen und Brabbeln, Grunzen und Krächzen, Röcheln und Raspeln, Schnauben und Toben eines 61-Jährigen.
Wer mit dem Waits’schen Œuvre einigermaßen vertraut ist, kennt die Charaktere, die Rollenspiele, die musikalischen Referenzen, die seit dem Opus Swordfishtrombones von 1983, das Waits’ Wendung ins Radiakal-Experimentelle markiert, mit jedem Folgwerk ihre konsequente Weiterentwicklung erfahren haben. Seither scheint ihm kein Stil fremd, beherrscht er alles von – sagen wir mal – Kurt Weill über Astor Piazolla bis Frank Zappa und Howlin’ Wolf, schreibt Musik für Theater und Film oder spielt selbst in ihnen, etwa in Robert Altmans Short Cuts als eifersüchtiger Trunkenbold, in Jim Jarmuschs Down By Law als arbeitsloser Radio-DJ, der aus dem Knast ausbricht, oder in Terry Gilliams Das Kabinett des Dr. Parnassus als teuflischer Mr. Nick. Waits ist ein Meister der Masken, ein notorischer Querkopf, der auf seinen Alben als Drehbuchautor, Regisseur und Darsteller zugleich agiert.
Einsame Kämpfe gegen mp3-Portale und Automobilhersteller
Schon im Vorfeld der Veröffentlichung von Bad As Me inszenierte er den kurzen Spot Private Listening Party, in welchem er aberwitzige Vergleiche zieht: Ein Album vor dem Erscheinungsdatum anzuhören oder gar runterzuladen, sei beispielsweise so schlimm, als erführe man von der Schwangerschaft seiner Freundin von einem Dritten. Die exklusive Listening Party findet später in einem rostigen Oldtimer statt, vor dem die Hörer gründlich „gefilzt“ werden.
Das Ganze funktioniert natürlich als Seitenhieb auf verstaubte Plattenvertriebswege und Download-Hysterie. Dass dies jedoch nur die freundliche Warnung eines unbequemen Geistes ist, begreift man, wenn man die Häufigkeit der Urheberrechtsklagen verfolgt, mit denen Waits gegen mp3-Portale oder Automobilhersteller vor Gericht zieht wie andere gegen geschiedene Ehepartner. Mit stoischer Härte führt er diese einsamen Kämpfe, um anderen die illegitime Nutzung seiner Lieder zu untersagen. Darin unterscheidet er sich grundlegend von vielen Kollegen, die in multimedialen Räumen längst eine kostenlose Werbemöglichkeit erkannt haben.
Waits hat das nicht nötig. Wenn schon, dann überwacht das Vorabhören im Netz gleich selbst. So ermöglichte er seinen Fans vier Tage vor Veröffentlichung, gegen Angabe von Namen und E-Mail-Adresse, das komplette neue Album von seiner Homepage badasme.com zu streamen. Im März diesen Jahres wurde er in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen, wohl auch, weil er den Mainstream so erfolgreich wie kein Zweiter meidet. Niemand außer ihm hat den amerikanischen Großstadt-Moloch mit dem ländlichen Sündenpfuhl musikalisch zusammengedacht. Als verwegener Eigenbrötler hat er eine Nische gefunden inmitten der großen Songwriter Bob Dylan, Bruce Springsteen und Neil Young, wurschtelt in seiner Garage herum und veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen ein Album, das er mit Gattin und Muse Kathleen Brennan erdacht hat.
Bad As Me, wo die Selbstironie bereits im Titel steckt, mutet wie ein ausgelatschtes, zerlöchertes Paar Schuhe an, das man dennoch gern trägt, weil man damit eben verdammt cool aussieht. Sicher könnte man monieren, Waits würde auf sehr hohem Niveau stagnieren, aber einem Jazzklarinettist wirft schließlich auch niemand Wiederholung vor, nur weil er in jedem Konzert dasselbe Instrument spielt. Nachdem er im letzten Jahrzehnt vorwiegend im eigenen wurmzerfressenen Werk stocherte, hat Waits auf Bad As Me einen beinahe zeitgemäßen Sound kreiert. Seine archaische Bone Machine, wie eines seiner früheren Alben heißt, rattert diesmal wie geschmiert, ob im jazzigen „Chicago“, im bluesigen Raised Right Men oder im souligen Same Kind Of Bad As Me samt Amy-Winehouse-Bläsersätzen. Unter dem virtuosen Radau verbergen sich einige solcher hübschen Reminiszenzen, etwa wenn Waits in New Year’s Eve ein paar Zeilen aus Auld Lang Syne schmettert. Und in der Rolling-Stones-Persiflage Satisfied huldigt er den einzigen Musikern auf diesem Planeten, die den Gedanken ans Aufhören ebenso störrisch verjagen wie er. Fuchsteufelswild geht es in Hell Broke Luce zu, in dem Waits noch einmal mit unverhohlenem Sarkasmus gegen das Kriegsvermächtnis der Bush-Regierung wettert. Eine fiebrige, wahnhafte Unruhe wohnt in den raueren Songs. Hier hat jemand verstanden, dass Blues so ziemlich das Gegenteil von Schönklang ist. Bei den Balladen begreift man dagegen, warum Nostalgie und Sentimentalität vor allem männliche Regungen sind. In Last Leaf dreht er mit Saufkumpan Keith Richards eine Runde durch die sepiafarbene, vergilbte Vergangenheit. Bierselig singen sie gemeinsam den schönen Satz: „I’m the last leaf on the tree.“ Doch bei Waits fühlt man sich eher an den Angriff der Baumwesen aus Herr der Ringe erinnert: Ein Koloss, der, kaum erwacht aus seinem Jahrhundertschlaf, die Erde erbeben lässt.
Bad As Me ist Tom Waits’ Aufbäumen gegen die eigene Legende – eine Rolle, die er überzeugender nicht spielen könnte.
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