Born of Zapata’s Gun*

Revolution Der 1. Januar markiert nicht nur den Aufbruch in ein unbestimmtes Jahr, sondern auch den Jahrestag des zapatistischen Aufstands in Chiapas

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"Sie sind in zapatistischem Rebellenterritorium. Hier herrscht das Volk und die Regierung gehorcht."
"Sie sind in zapatistischem Rebellenterritorium. Hier herrscht das Volk und die Regierung gehorcht."

Foto: Hajor/Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Während die deutsche Medienlandschaft sich alljährlich darin ergeht, ihre Leserschaft um die Weihnachtsfeiertage mit einem Jahresrückblick nach dem anderen zu überfluten, scheint es neuerdings zum Trend geworden zu sein, auch Spekulationen darüber anzustellen was im kommenden Jahr wohl alles ganz besonders wichtig werden wird. Prognosen stehen in als unsicher empfundenen Zeiten wohl hoch im Kurs. Und so wird dieser Tage selten über den Tellerrand der Jahreswende geblickt. Dabei lohnt es sich alljährlich wieder, auf ein Ereignis aufmerksam zu machen, dass die Welt vor 24 Jahren überrascht hat: Der Aufstand der Zapatistas im südlichen Mexiko.

Emanzipation durch Selbstverwaltung

Als am 1. Januar 1994 das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) in Kraft trat, das die Einrichtung einer Freihandelszone zwischen Kanada, den USA und Mexiko vorsah, besetzten maskierte Kämpfer*innen des Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN – dt. Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung) zeitgleich fünf Bezirkshauptstädte im Osten der mexikanischen Provinz Chiapas. Sie waren gut vorbereitet und überraschten mit ihrem bewaffneten Aufstand nicht nur die mexikanischen Sicherheitskräfte, sondern auch die restliche Weltgemeinschaft. Niemand hatte kommen sehen, dass sich so kurz nach dem Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus und dem damit so gern verkündeten neoliberalen Dogma der „Alternativlosigkeit“ zum westlichen Kapitalismus (TINA – There Is No Alternative) eine linke Guerillabewegung erheben und an dem Aufbau eines realen Gegenentwurfs versuchen würde.

Während die Provinz Chiapas seit jeher über einen hohen Reichtum an Rohstoffen und optimale Klimabedingungen für den landwirtschaftlichen Anbau verfügt, ist der Lebensstandard der verschiedenen Volksgruppen in Mexiko nach wie vor von Kolonialismus, Ausbeutung und rassistisch motivierter Diskriminierung geprägt. In den ökonomisch schwächeren Gebieten in Chiapas kam es zudem zu wiederkehrenden Nahrungsmittelknappheiten, von denen mehrheitlich die indigene Bevölkerung betroffen war. Die überwiegend indigenen Mitglieder der EZLN befürchteten durch das Inkrafttreten des NAFTA eine weitere Verschlechterung ihrer ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen, da die von ihnen in lokaler Landarbeit produzierten Erzeugnisse fortan mit in Massenproduktion hergestellten, billigeren Waren aus den USA konkurrieren mussten. Ihr Aufstand richtete sich dabei von Beginn an explizit gegen das neoliberale Paradigma der kapitalistischen Globalisierung.

Ihren Namen wählte die EZLN in Anlehnung an einen der führenden Protagonist der mexikanischen Revolution von 1910, Emiliano Zapata. Diese findet in der westlichen Geschichtsschreibung kaum Erwähnung, dabei war sie die erste große Revolution im 20igsten Jahrhundert. Neben Zapata spielten auch die radikal libertären Theoretiker Ricardo und Enrique Flores Magón eine entscheidende Rolle in der frühen Phase der Revolution. In starkem Gegensatz zu den Bolschewiki, die sich während der Oktoberrevolution in Russland schließlich durchsetzen konnten, verfolgten die mexikanischen Aufständischen von Beginn an das libertäre Ziel der Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft und strebten daher nicht die Übernahme der Macht im Staat an, sondern dessen unmittelbare Überwindung durch ein System der Selbstrepräsentation. Und anders als in Russland wurden in Mexiko von Beginn an die Bauern als revolutionäre Kraft in die Kämpfe eingebunden, deren Ziel auch eine grundlegende Landreform war, die den Aufbau autonomer Versorgungssysteme vorsah.

Die zeitweise Übernahme der politischen Verantwortung durch libertäre Kräfte fand international großen Anklang. So reiste die libertär-feministische Theoretikerin Emma Goldman zu zahlreichen Begegnungen, während der einflussreichste Theoretiker des kommunistischen Anarchismus Pjotr Alexejewitsch Kropotkin die erste Theorie des Guerillakriegs verfasste und der Schriftsteller und Journalist Jack London mehrere Kurzgeschichten zu den Ereignissen verfasste. Freiwillige aus zahlreichen Ländern schlossen sich der Bewegung an und es gelang weite Teile des Landes und mehrere Städte über einen längeren Zeitraum entsprechend libertär-kommunistischer Ideale zu verwalten. Bis heute ist das Scheitern der mexikanischen Revolution nicht abschließend analysiert worden. Ein historischer Fakt ist, dass sie durch konterrevolutionäre Kräfte und eine massive Unterstützung aus den USA niedergeschlagen wurde und weitgehend in Vergessenheit geriet.

Ausgehend von den frühen Konzepten des Guerillakrieges formte sich aus der 1983 als ursprünglich klassisch marxistisch-maoistisch gegründeten Befreiungsbewegung EZLN durch verschiedenste Einflüsse im Laufe der ersten zehn Jahre ihres Bestehens eine „Guerilla neuen Typs“, deren Stärke zu großen Teilen auf den Angehörigen verschiedener Maya-Ethnien, aber auch zugewanderter Volksgruppen beruht. Anders als den meisten aufständischen Bewegungen geht es auch der EZLN nicht um die Übernahme der politischen Macht in den von ihr kontrollierten Gebieten, sondern um den Aufbau autonomer Selbstverwaltungsstrukturen auf kommunaler, munizipaler und regionaler Ebene.

Das von den Zapatistas entwickelte „Prinzip des gehorchenden Regierens“ als eine besondere Auslegung basisdemokratischer Vorstellungen, das sich unter anderem durch die jederzeitige Abwählbarkeit politischer Vertreter*innen kennzeichnet, stellt eine bislang weitgehend unbekannte Alternative zu den gängigen Formen des Staatssozialismus oder der parlamentarischen Demokratie dar und wird seit nunmehr 24 Jahren in den von den Zapatistas gehaltenen Regionen in Chiapas praktiziert. Sicherlich hatten Elemente dieses Konzepts Einfluss auf den Aufbau ähnlicher Formen selbstrepräsentativer Systeme in späteren Kämpfen. So beispielsweise bei der Organisation globalisierungskritischer Camps oder in den selbstverwalteten Regionen in Rojava (Nordsyrien). Tiefere Einblicke hinter die organisatorische Fassade der Zapatistischen Befreiungsbewegung, von denen sicherlich jede soziale Bewegung profitieren kann, finden sich in dem im März 2017 erschienene Buch „Demokratie des gehorchenden Regierens - Das zapatistische Modell einer neuen Gesellschaftsordnung“ des promovierten Rechtswissenschaftlers Simon Schuster (siehe unten).

TI3A - There Is Always An Alternative

Auch wenn die mexikanische Armee nach Inkrafttreten eines auf Drängen der Zivilgesellschaft in den Städten Mitte Januar 1994 ausgehandelten Waffenstillstands bis heute immer wieder Angriffe gegen die Selbstverwaltungsstrukturen in Chiapas unternimmt, kann der mutige Versuch der Zapatistas als ein gelungenes Beispiel für den Aufbau autonomer, basisdemokratischer Verwaltungsstrukturen angesehen werden. Die dabei ständig mitbehandelten Themen der Geschlechtergleichheit und Ökologie sichern ihm bis heute eine breite internationale Solidarität, die vor allem in der globalisierungskritischen Bewegung wiederhall findet. Wie diese fordert die EZLN die Selbstbestimmung der Menschen und ruft zum weltweiten Kampf gegen die Logik der kapitalistischen Globalisierung auf.

Während sich die linke Bewegung hierzulande allzu gern in selbstbestätigenden Auseinandersetzungen über die Frage der Gewalt, das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis oder die äußerst ungern thematisierte Frage der Macht innerhalb ihrer eigenen Strukturen verliert, ist es den Zapatistas in Chiapas gelungen einen ausgewogenen Ansatz in Sinne einer „Diversity of Tactics“ zu verwirklichen, während eine fruchtbare und radikale Machtkritik ihr mit dem Motto „Fragend suchen wir den Weg“ ausgedrücktes Verhältnis von Theorie und Praxis begleitet. Es mag viele Gründe geben, warum es in Chiapas zum Aufstand kam. Ebenso viele warum er bei uns bisher ausgeblieben ist. Die geringe Selbstbetroffenheit weiter Teile der linken Szene wird vermutlich eine Rolle spielen. Reden fällt den meisten dann doch einfacher als Handeln - und wer keinen Grund hat zu handeln, lässt sich mit dem Reden vielleicht auch ganz gerne etwas länger Zeit.

Wenn wir aber dieser Tage wieder dazu übergehen, uns besinnungslos mit Alkohol volllaufen zu lassen und das neue Jahr mit dem nie so wirklich nachvollziehbaren Abfeuern von Raketen und Knaller einläuten, als könnten wir nicht einfach mal froh darum sein, nicht in einem Kriegsgebiet leben zu müssen, dann lohnt es sich vielleicht den Aufbruch ins neue Jahr beim Auskatern im Bett mit einem kleinen Dokumentarfilm abzurunden (siehe unten). Immerhin ist es auch der Jahrestag des Zapatistischen Aufstandes, von dessen Verstätigung durch den Aufbau herrschaftsfreier Selbstverwaltungsstrukturen wir sicherlich einiges lernen können. Gleich am folgenden Dienstag werden wir uns schließlich wieder einen Kaffee nach dem anderen reinpfeifen müssen, um im kapitalistischen Wahnsinn mithalten zu können. Aber vielleicht haben wir ja dann ein bisschen was darüber gelernt, warum das andere nicht mehr müssen und was wir uns bei ihnen abgucken können um auch bald das schöne Leben ohne Staat und Vorgesetzte genießen zu können.

Und vielleicht starten wir besonders gut in ein rebellisches 2018 mit der Umstellung unseres Konsumverhaltens von ausbeuterisch-unökologisch erzeugtem Kaffee aus kapitalistischer Herstellung auf solidarisch-emanzipatorische Produkte aus den zapatistischen Gebieten (siehe unten) – und beweisen durch unsere Unterstützung für die Verstetigung der zapatistischen Revolution in Chiapas tagtäglich, dass das Bestehenden wandelbar ist und es zu jeder Zeit und an jedem Ort eine Alternative gibt.

Was in 2018 wichtig bleibt?

Die radikale Umgestaltung unerträglicher gesellschaftlicher Verhältnisse weltweit!

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* Rage Against the Machine - Calm Like a Bomb

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Max Jansen

Max Jansen hat Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften studiert. Derzeit lebt und arbeitet er in Frankfurt am Main.

Max Jansen

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