Ein undurchsichtiger Kampf

Rechtsruck Derzeit steht die Kölner Studierendenzeitung im Zentrum einer Auseinandersetzung darüber, wie politischer Diskurs angesichts des „Rechtsruck“ geführt werden sollte

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Ein undurchsichtiger Kampf

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

In den letzten Wochen stand die Kölner Studierendenzeitung (KSZ) im Zentrum einer öffentlichen Auseinandersetzung darüber, wie politischer Diskurs angesichts einer Entwicklung, die weitläufig als „Rechtsruck“ bezeichnet wird, geführt werden sollte. Das Dilemma, in dem sich die Zeitung befindet, liegt allerdings weitaus tiefer und weist letztlich auf ein bestimmtes, derzeit dominantes Verständnis davon hin, was die Aufgabe und somit auch die Form von modernem Journalismus sein sollte. Konträr zu dieser Auffassung steht die Idee eines progressiven Journalismus.

Die Frage des Diskurses

Angesichts der Einladung des NRW-Landesvorsitzenden der Alternative für Deutschland (AfD), Marcus Pretzell, zu einer Podiumsdiskussion am 06.12.2016 hat sich an der Kölner Universität ein breites Bündnis gebildet, das die Ausladung der AfD gefordert und Proteste angekündigt hat. Zudem gab es in den sozialen Medien lange Auseinandersetzungen zu diesem Thema. Die KSZ fand sich in einem Rechtfertigungszwang wieder und begründete die umstrittene Einladung der AfD schließlich damit, dass es „als Medium [ihre] Aufgabe [sei], gesellschaftliche Debatten zu moderieren“ und eben nicht „über die Legitimität von Positionen zu entscheiden.“ Weiter hieß es eine „Nichtbeachtung der AfD würde [...] gegen unser journalistisches Selbstverständnis verstoßen.“

Hier verweist die Redaktion auf ihr „journalistisches Selbstverständnis“, ohne zu erklären, wie genau dieses Selbstverständnis aussieht. Es wird also ein zunächst inhaltsloses Wort in dem Anschein in den Raum geworfen, als habe es die alles entscheidende Erklärungskraft, um die Einladung der AfD zu begründen. Dieses „journalistisches Selbstverständnis“ wird bis zuletzt nicht weiter erläutert. So stellt sich die Frage, was dieses Selbstverständnis beinhaltet und ob es tatsächlich nur EIN Verständnis davon geben kann, was Journalismus sein und wie er praktiziert werden sollte?

Auf der Homepage der Kölner Studierendenzeitung finden sich zu dieser Frage zwei weitere Hinweise. Unter dem Reiter „Über uns“ heißt es, (1.) „Was uns antreibt, ist der Wille guten Journalismus zu machen“ und (2.) „Wir erheben den Anspruch, alle wichtigen Informationen für Kölner Studierende zu liefern und dabei stets alle Standpunkte zu beleuchten.“ Hier fällt also stellvertretend für das „journalistisches Selbstverständnis“ der „gute Journalismus“ – ein weiteres zunächst inhaltsleeres Wort, das keinerlei weitere Erläuterung erfährt. Außerdem heißt es, es sollen „alle wichtigen Informationen für Kölner Studierende“ geliefert und dabei „alle Standpunkte“ beleuchtet werden.

Das Dilemma, in dem sich die KSZ befindet, rührt letztlich genau aus der fehlenden Thematisierung dieser beiden Sachverhalte, hinter denen zwei entscheidende Fragen darüber stehen, wie sich die Zeitung im gesellschaftlichen Diskurs positioniert. Hier trifft sie grundsätzliche, politisch-philosophische Entscheidungen darüber, wie sie ihr Handeln ausrichten will, auch wenn dies der Redaktion nicht notwendiger Weise bewusst sein muss.

Erstens soll also „guter Journalismus“ gemacht werden, der - angesichts der fehlenden Erläuterung - so verstanden werden muss: Dem in der Öffentlichkeit dominantem Bild von Journalismus genügen; den etablierten Vorstellung davon, was Medien tun sollten und was nicht, entsprechen; letztendlich etablierter Journalismus sein zu wollen. Hier muss das Bild des neutralen Mediums erwähnt werden, das stets um die eigene Objektivität bemüht zwischen verschiedenen Standpunkten zu vermitteln versucht. Ein Idealbild, das die Grundlage der allgemeinen Vorstellung darüber, was Journalismus heute sein sollte, entspricht und dem sich die KSZ folglich verpflichtet zu fühlen scheint.

Zweitens sollen „alle wichtigen Informationen für Kölner Studierende“ geliefert und dabei „alle Standpunkte“ beleuchtet werden. Hier erhebt die Redaktion einen universellen Anspruch auf die Vermittlung totaler Information. Sie möchte es sich nicht anmaßen, über die „Legitimität von Positionen zu entscheiden“ und erhebt daher den Anspruch, sie alle zu thematisieren. Allerdings schränkt sie den Adressatenkreis auf „Kölner Studierende“ ein und erwähnt, sie wolle nur die für diese „wichtigen Informationen“ liefern. An dieser Stelle trifft sie wiederum eine grundsätzliche Entscheidung, die darin besteht, nur bzw. in erster Linie jene mit den für sie „wichtigen Informationen“ versorgen, die schon heute zu den Elite-Anwärtern der Zukunft gehören. All jene also, die angesichts der herrschenden Ungleichheit um Lebenschancen, insbesondere im Bereich Wohlstand und Bildung, auf der Gewinnerseite stehen. Menschen also, die per Zufall in privilegierte Positionen[1] geboren wurden oder sich, wenn sie hinsichtlich dieser Merkmale zumindest ein gewisses Mindestmaß erfüllt haben, erfolgreich im schulischen und gesellschaftlichen Konkurrenzkampf durchgesetzt haben, um sich dem letztlich exklusiven Kreis der „Kölner Studierenden“ zurechnen zu dürfen. Die Aufgabe, zu entscheiden, welche Inhalte für diese Menschen als „wichtige Informationen“ zu gelten haben, trifft die Redaktion der KSZ, die selbst jenem exklusiven und auf Ausschluss basierenden Kreis angehört, in Eigenregie.

Dass die Vertreter*innen der Zeitung am 05.12.2016 über den Campus laufen und „Kölner Studierende“ dazu befragen, ob die Einladung der AfD legitim sei und ihren eigenen Standpunkt durch die Resonanz bestärkt sehen, steht sinnbildlich für dieses eingeschränkte Verständnis darüber, wie Journalismus stattfinden sollte. Sie lässt all jene Privilegierte und dem exklusiven und etablierten Diskurs Angehörige dazu Stellung beziehen, ob ein umstrittener Akteur, der in letzter Konsequenz für den Erhalt eben jener Vormachtstellung steht, deren historische Nachwirkungen noch heute Grundlage der privilegierten Stellung all jener ist, die überhaupt Zugang zu dem dominanten und auf Exklusion beruhenden Diskurs haben. Es sollen also diejenigen, die noch heute von Alltagsrassismus, ökonomischer Ungleichheit und kultureller Diskriminierung profitieren, darüber abstimmen, ob ein Akteur, der vorgibt, genau diese Privilegien verteidigen zu wollen, Eingang in den Diskurs finden soll.

Der praktizierte Ausschluss

Mit der AfD soll somit ein aus relativ etablierter Richtung kommender neuer Akteur Eingang in den politischen Diskurs finden. Das Problem an der Einladung der AfD besteht nicht darin, dass eine Partei die angeblich demnächst im NRW-Landtag vertreten sein wird, gleichberechtigt mit den jetzt schon etablierten Parteien diskutieren darf. Die Entwicklungen der letzten Monate zeigen vielmehr in erschreckender Weise, dass der vorherrschende Diskurs sich wird erweitern müssen, um offensichtlich immer noch weit verbreitete fremdenfeindliche Meinungen, für die die AfD einen Kristallisationspunkt bietet, angemessen thematisieren zu können. Das Problem an der Einladung der AfD besteht vielmehr darin, dass insbesondere Medien und Politik, dem Schreien und dem Druck der in Teilen womöglich berechtigten Kritik dieser ganz bestimmten Akteure, sehr bereitwillig beigeben und willens sind, diesen einen Platz in dem zuvor von ihnen alleine beherrschten Diskurs zu geben. Die AfD bekommt innerhalb kürzester Zeit eine riesige Aufmerksamkeit, wodurch für sie die Möglichkeit entsteht, die ihr daraus erwachsende, größere Reichweite für ihre Zwecke zu gebrauchen. Dabei spiegelt die Partei ein relativ junges Phänomen dar, dessen langfristige Auswirkungen, beispielsweise angesichts parteiinterner Streitigkeiten (insbesondere auch in NRW) mehr als ungewiss ist.

Nicht nur, aber maßgeblich auch durch die große mediale Thematisierung von Standpunkten der AfD lässt sich eine allgemeine Tendenz erkennen, die weitläufig als „Rechtsruck“ beschrieben wird und sich dadurch charakterisiert, dass sich einzelne Personen oder auch Gruppierungen zunehmend trauen, öffentlich Standpunkte zu vertreten, die als rassistisch und fremdenfeindlich bezeichnet werden müssen. Der öffentliche Diskurs erweitert sich also bereits in eine gefährliche Richtung.

Während der AfD also im Allgemeinen, und an der Kölner Universität im Speziellen durch die KZS Eingang in ein relativ großes Forum geboten, der Diskurs bereitwillig zu ihren Gunsten geöffnet wird, versäumen es Politik und Medien seit Jahrzehnten, zahlreiche andere soziale Probleme und Phänomene ausreichend zu thematisieren. Dies kann daran liegen, dass es im Allgemeinen schwerer ist, den Diskurs in eine andere Richtung als die der bisher schon relativ etablierten Strömungen zu öffnen. Ein Grund hierfür könnte sein, dass es sich bei diesen um weniger etablierte und damit im Fall der KSZ für „Kölner Studierenden“ (als Teilmenge der etablierten Profiteure) weniger „wichtige Informationen“ handelt. Immerhin kann von den Profiteuren eines ungerechten Zustandes nicht erwartet werden, dass sie ohne ein hohes Maß an Selbstreflektion daran arbeiten werden, ihre relativ privilegierten Positionen abzubauen.

Sozialen Ausschluss, der maßgeblich durch die nach wie vor weit verbreitete Ungleichverteilung von Chancen in unserer Gesellschaft praktiziert wird, als Medium nicht zu thematisieren, heißt sich selbst seiner Rolle, in der Reproduktion eben jenes ungerechten Zustandes nicht bewusst zu sein. Es heißt letztlich, sich selbst zu einer Funktion, von eben jenem Ausschluss zu machen und diesen aktiv zu praktizieren.

Die Proteste gegen die Einladung der AfD stießen, wie zu erwarten war, auf große Ablehnung seitens der Studierendenschaft. Die größte Hochschulgruppe an der Uni Köln, die sogenannten „Unabhängigen“ verurteilten die Proteste gar öffentlich und forderten die Abschaffung des autonomen Antifa-Referates. Dass die Protestierenden die Durchführung der Veranstaltung durch eine erfolgreiche Besetzung der Podiumsbühne verhindert haben, ist nicht etwa deshalb ein Erfolg, weil durch die AfD vertretene Meinungen aus dem Diskurs ausgegrenzt wurden. Dass dies das Narrativ der AfD und ihrer Anhänger*innen bestätigt und hieraus auch große Gefahren erwachsen, ist den Beteiligten bewusst.

Ein Erfolg ist die Blockade vielmehr deshalb, weil verhindert wurde, dass eine in weiten Teilen für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nicht ausreichend sensibilisierte Studierendenschaft (und deutsche Öffentlichkeit im Allgemeinen), einem Akteur bereitwillig die Türe zum öffentlichen Diskurs öffnet, der nur ein paar Mal laut genug geschrien hat, aber sonst nicht besonders viel Berechtigung zur Thematisierung aufweist, während die dringlichen Interessen breiter Teile der Bevölkerung seit Jahrzehnten vernachlässigt werden.

Themen wie soziale und ökonomische Ungerechtigkeiten werden durch die AfD genau so wenig ernsthaft thematisiert, wie durch die Altparteien. Statt eine konstruktive Auseinandersetzung über die Grundfragen des sozialen Miteinanders zu suchen, kanalisiert die AfD die Frustration und den Wut der Menschen in Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und zunehmend völkischen Nationalismus. In ihrem Umgang mit der AfD versäumen es auch die Medien, eine solche Grundsatzdebatte anzustoßen. Durch ihren vorschnellen und oberflächlichen Umgang mit dem vermeintlich neuen Phänomen des Rechtspopulismus vermeiden sie es diese Themen zu betrachtet und ermöglichen es der AfD, ihre menschenverachtende Propaganda einer noch breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren.

Der AfD kann frühestens dann ein gleichberechtigter Platz im öffentlichen Diskurs geboten werden, wenn beispielsweise den, bei genauerer Betrachtung womöglich viel dringlicheren Standpunkten von postkolonialen, gender- und rassismuskritischen und intersektionalen Strömungen ein fester Raum im öffentlichen und insbesondere endlich auch im universitären Diskurs gegeben wird. Nur nach ausreichender Etablierung und Stärkung derartig kritischer Strömungen, auf die eine selbstkritische Auseinandersetzung seitens des jetzigen, auf Rassismen basierenden Establishments mit der eigenen Tradition christlicher, weißer, männlicher, westlicher Hegemonie folgen muss, können neue selbstreflektorische Gedankengänge stattfinden, die den neuen Diskurs nachhaltig prägen und im Sinne der Menschlichkeit stärken können. Erst dann ist ein Diskurs geschaffen, der überhaupt die Fähigkeit besitzt, den Gefahren einer Aufnahme populistischer, autoritärer, faschistischer Strömungen, deren aktuelle Stellvertreterin die AfD ist, zu begegnen. Der Diskurs wird sich erweitern müssen, aber bevor er sich bereitwillig und voller Bequemlichkeit in Richtung des Rechtspopulismus öffnet, wird er anderen, kritischen und sehr viel berechtigteren Strömungen einen festen Platz in ihm einräumen müssen. Hierfür sind schon viel zu viele Möglichkeiten versäumt worden.

Progressiver Journalismus

Diese dringend zu thematisierenden Ansätze kommen aus einer weniger etablierten Richtung als die der AfD, weisen allerdings eine sehr viel schlüssigere Argumentation auf und haben in langen Jahren der Ignoranz seitens des universitären und gesamtgesellschaftlich etablierten Mainstreams unter Beweis gestellt, dass sie einen berechtigten Platz im öffentlichen Diskurs verdient haben.

Wollen wir eine Öffentlichkeit, die nicht nur Reaktionären und den von ihnen getriebenen Altparteien hinterherläuft, geht es darum, das Wachsen einer kritischen Gesellschaft zu unterstützen. Hierbei kommt den Medien eine bedeutende Rolle zu. Es muss darum gehen, offen und kritisch zu berichten, allerdings gehört hierzu auch ein gewisses Maß an Reflektion über die eigene Rolle und Funktion als Medium. Sollen alt hergebrachte Ausschlussformen nicht reproduziert werden, muss sich ein kritischer Journalismus etablieren, der progressive Tendenzen aufweist und sich mit dem etablierten Narrativ des vermeintlich objektiven Journalismus kritisch auseinandersetzt. Hier bleibt zu hoffen, dass die Redaktion der KZS nicht dem naiven Glauben verfällt, die Blockade der Podiumsdiskussion am 06.12.2016 wäre ein von undemokratischem Ausschluss und Ignoranz motiviertes Projekt gewesen. Vielmehr sollte sie sich mit den Protesten und ihrer eigenen Rolle als Medium auf einer weniger oberflächlichen Ebene auseinandersetzten.

Sie muss nicht zum Vorreiter emanzipatorischer Strömungen werden, denn das kann sie als Medium etablierter, weißer Menschen gar nicht. Sie sollte den Draht zu den Kölner Studierenden halten, in ihrer Arbeit allerdings kritisch-reflektorisch auch Themen einen Raum verschaffen, die vielleicht auf den ersten Blick nicht unbedingt wichtig für diese Kölner Studierenden sind, aber sie auch massiv betreffen. Themen, die in direktem Zusammenhang zu unser aller Leben stehen und die wir tagtäglich formen. Eine Thematisierung derartiger Fragen könnte dabei helfen, die Reproduktion menschgemachter Missstände in der Zukunft zu mindern und uns alle mehr für unsere Privilegien und die daraus entstehenden Ungerechtigkeiten zu sensibilisieren.


[1] Hier sind in erster Linie grundlegende Privilegien wie Geschlecht, Hautfarbe, Nationalität und ein Mindestmaß an ökonomischem Wohlstand gemeint.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Max Jansen

Max Jansen hat Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften studiert. Derzeit lebt und arbeitet er in Frankfurt am Main.

Max Jansen

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