Eine pluralistische Linke und die Volksfront

Zeitgeschichte Der Fall Madrids heute vor 80 Jahren bietet Anlass für eine Auseinandersetzung darüber, wie eine pluralistische Linke mit aktuellen Herausforderungen umgehen sollte

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Nationalistische Truppen marschieren am 31. März 1939 durch Madrid
Nationalistische Truppen marschieren am 31. März 1939 durch Madrid

Foto: -/AFP/Getty Images

Heute vor 80 Jahren fiel Madrid nahezu kampflos an die rechtsgerichteten Putschisten unter General Francisco Franco, die seit Juli 1936 gegen die demokratisch gewählte Regierung der Zweiten Spanischen Republik kämpfen. Diese hatten ihrerseits eine Allianz im Sinne einer strömungsübergreifenden Volksfront (Frente Popular) gebildet um den faschistischen Vormarsch zu stoppen. Der Niederlage Madrids war die faktische Auflösung der republikanischen Armee vorausgegangen, die auch dazu führte, dass Francos Truppen innerhalb weniger Tage das gesamte verbliebene Territorium der Republik erobern konnten – weitgehend, ohne auf organisierten Widerstand zu stoßen.

Nichteinmischung und internationale Dimensionen

Der Fall Madrids symbolisiert das Ende der Republik Spanien und den Sieg der Anhänger Francos im Spanischen Bürgerkrieg, der von Beginn an eine internationale Dimension hatte. So wurden die Truppen Francos von den faschistischen Regierungen Italiens und des Deutschen Reichs ausgebildet, bewaffnet und durch Truppen unterstützt. Deutsche Unternehmen wie die IG-Farben spendeten während des Spanischen Bürgerkrieges hohe Beträge und bedachten militärische Erfolge Francos mit Sonderprämien. Gemeinsam mit Siemens und anderen deutschen Unternehmen unterstützte die IG-Farben die franquistisch Legion Vidal und lieferte wichtige Rohstoffe zur Erzeugung von Kriegsgütern. Darunter auch eine Stabbrandbombe der Bezeichnung „B 1 E“, die die rund 13.000 Mann starke Legion Condor der deutschen Wehrmacht unter anderem bei ihrem Luftangriff auf die religiöse Hauptstadt des Baskenlandes Guernica (baskisch Gernika) einsetzte, der Anlass für Pablo Picassos bekanntes Gemälde Guernica war.

Neben dem Deutschen Reich und Italien, die mit der Legion Condor und der Corpo Truppe Volontarie nicht nur eigene Verbände auf Seiten der Nationalisten stellten, die mit Flugzeugen und Panzerfahrzeugen ausgestattet waren, sondern zugunsten der ursprünglich in Spanisch-Marokko begonnenen Militärrevolte auch Propaganda-Hilfe leisteten, U-Boot-Angriffe im Mittelmeer durchführten und finanzielle Hilfen, sowie massive Waffenlieferungen beisteuerten, unterstützen auch Portugal und Irland die Putschisten. Während sich Großbritannien und Frankreich als „neutrale Staaten“ verstanden leisteten die junge Sowjetunion und Mexiko Hilfe auf Seiten der republikanischen Kräfte. Mit Ausnahme Mexikos gehörten all diese internationalen Akteure seit September 1936 dem unter der Ägide des Völkerbundes gebildeten „Komitees für Nichteinmischung in die Angelegenheiten Spaniens“ an.

Angesichts der Tatsache, dass der Bürgerkrieg in Spanien die ideologischen Konfliktlinien Europas widerspiegelte und die Machtkonstellationen auf dem Europäischen Kontinent in Bewegung brachte, war es das Ziel dieses Komitees dafür zu sorgen, dass sich die Großmächte aus ihm heraushielten. Durch die verfolgte Nichteinmischungspolitik wurde die Machtergreifung Francos von den europäischen Mächten zumindest billigend in Kauf genommen. Zum Zeitpunkt der ersten Sitzung des Komitees bombardierten deutsche und italienische Flugzeuge allerdings bereits Madrid, sechs Wochen später griffen dann auch sowjetische Panzer und Flugzeuge erstmals in die Kämpfe ein. Das Komitee tagte ausschließlich ergebnislos und schwächte durch die fortlaufende Unterstützung Italiens und des Deutschen Reichs für Franco letztlich die republikanischen Kräfte. Insbesondere dadurch, dass auf Druck des Komitees im September 1938 die Internationalen Brigaden abgezogen wurden, die von der Kommunistischen Internationale rekrutierte und ausgebildete Freiwilligenverbände waren. Weil die Legion Condor und die italienischen Truppen in Spanien verblieben kam dies einem Todesstoß für die Republik gleich.

Zwischen Lagerkämpfen und Volksfront

Im Vorfeld des Spanischen Bürgerkriegs haben linkskommunistische, anarchistische und syndikalistische Kräfte in weiten Teilen Spaniens großen Zuspruch gehabt. Nach einem längeren Lagerwahlkampf zwischen links-revolutionären auf der einen und rechts-konservativen Parteien auf der anderen Seite bildeten die anti-stalinistische POUM (‚Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit‘) und die PCE (‚Kommunistische Partei Spaniens‘) im Januar 1936, also gut ein halbes Jahr vor dem Putsch Francos, ein Wahlbündnis aus dem die Frente Popular als strömungsübergreifendes Bündnis linker Gruppen hervorging. Trotz einer Steigerung der Wahlbeteiligung um 12 auf 72 Prozentpunkte siegte das linke Lager in der Wahl zur Cortes (dem spanischen Parlament) am 16. Februar 1936 mit einem Stimmenvorsprung von rund 150.000 Stimmen vor den Rechten und gewann damit insgesamt 47,17 % der Stimmen.

Der Wahl war ein reißerischer Wahlkampf vorausgegangen, in dem Slogans wie „Wählt gegen die Diebe und Folterknechte“ auf der linken, oder „Alle Macht dem Führer!“ und „Die Führer haben niemals Unrecht!“ auf der rechten Seite vorausging. Der für das in weiten Teilen konservativ-katholisch geprägte Spanien bedeutsame Vatikan sah die Entscheidung als eine „zwischen Jesus und Lenin“ und feuerte damit die Auseinandersetzungen weiter an. Während die monarchistische Presse und internationale Beobachter von einer Wahl sprachen, die weitestgehend ohne Unregelmäßigkeiten ablief, gab es auch Vorwürfen der Wahlfälschung, die noch vor der Verkündung des Wahlergebnisses untersucht werden sollten. Eine Kommission zur Untersuchung der unterstellten Unregelmäßigkeiten erkälrte schließlich Parlamentariern der Rechten und des konservativen Zentrums ihre Parlamentsplätze ab, wordurch der Vorsprung der Frente Popular auf einen Anteil von 52 % wuchs, was eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament bedeutete.

Nachdem linksrepublikanische Parteien bei Neuwahlen im November 1933 eine einschneidende Niederlage gegen das rechte Lager erlitten hatten, formierten sich ausgehend von der neuen Frente Popular insbesondere in den östlichen und südlichen Teilen Spaniens links-gerichtete Kräfte, um die Republik gegen den Putsch Francos zu schützen. Diese waren allerdings seit Jahren ideologisch zersplittert, was sich unter anderem darin zeigte, dass die Konföderation anarcho-syndikalistischer Gewerkschaften (CNT) mit damals rund 2 Millionen Mitgliedern 1933 zum Wahlboykott aufgerufen hatte und damit das linke Lager erheblich schwächte. Letztlich unterstützten die anarchistischen Kräfte, die insbesondere in Katalonien eine große Anhängerschaft besaßen, die Frente Popular indirekt, indem sie 1936 bewusst keinen Wahlboykott formulierten. Dennoch sahen sie die neuen Linksbündnisse, insbesondere aufgrund deren hierarchischer Struktur und internationalen Unterstützung durch die stalinistische Sowjetunion mit großer Skepsis.

Eine selbstorganistierte Alternative

Zurecht, wie sich zeigen sollte, denn die letzten Monate vor Ausbruch des Bürgerkrieges waren durch den allmählichen Aufstieg der Kommunisten und Faschisten geprägt, die mit den Großmächten (Italien und Deutschland vs. UdSSR) jeweils enger verknüpft waren als mit den traditionellen Bewegungen in Spanien. Als die Nationalisten am 23. Dezember 1938 schließlich ihre Katalonienoffensive starteten, verfügten die dort stationierten und von der CNT dominierten republikanischen Truppen - auch aufgrund der einseitigen Unterstützung der Sowjetunion für die kommunistischen Kräfte innerhalb der Frente Popular - kaum mehr über moderne Waffen, um die Angriffe abzuwehren. Unmittelbar nach dem Putsch Francos war es die CNT gewesen, die zu einem landesweiten Generalstreik aufgerufen hatte, der in Katalonien und weiteren Landesteilen in eine soziale Revolution überging. Aufgrund ihrer anti-autoritären Organisation in lokalen Kommunen, von denen die kollektive Selbstverwaltung von Industrie, Landwirtschaft und öffentlichem Leben ausging, waren die CNT und andere linksliberale Kräfte Stalin ein Dorn im Auge. Ihr sozialistisches Experiment stellte der Einparteien-Diktatur, die sich in Folge der Niederschlagung sämtlicher Links-Oppositioneller in der Sowjetunion schon unter Lenin eine anti-autoritäre und selbstorganistierte Alternative entgegen.

In seinem 1938 erschienen Buch "Homage to Catalonia" schildert der englische Schriftsteller, Essayist und Journalist George Orwell die Spaltung der linken Kräfte im Spanischen Bürgerkrieg und ihre Folgen für den Kampf gegen die Putschisten (insbesondere in Anhang 1). Orwell war 1936 als Zeitungsreporter nach Barcelona gekommen und sympathisierte mit den anarchistischen und revolutionären Gruppierungen innerhalb der sozialistischen Bewegung, die sich gegen die totalitäre Politik Stalins stellten. Seinen Erinnerungen an seine Zeit in Katalonien bildet eine der Grundlagen von Orwells späterer Totalitarismuskritik, die auch in seinen Werken "Farm der Tiere" und "1984" einen Ausdruck findet. Nachdem die Kräfte Francos während der ersten zwei Monate des Jahres 1939 ganz Katalonien eroberten und Madrid im Juli fiel erklärte Franco den Bürgerkrieg am 1. April 1939 für beendet. Ihm folgte eine grausame Repressions- und Verfolgungswelle, die gerade in Katalonien verheerende Ausmaße annahm und das Ende der Republik Spanien markierte. Unter anderem wurde die katalanische Sprache verboten: Wenn die paramilitärischen Einheiten der Guardia Civil Menschen auf der Straße Katalan sprechen hörten, wurden diese drangsaliert und aufgefordert, eine "christliche Sprache" zu sprechen.

Das Ausbleiben einer Aufarbeitung und Lehren für die Zukunft

Bis heute sind die Opfer der bis 1976 anhaltenden Franco-Diktatur nicht dokumentiert oder gebührend gewürdigt worden. Zeitgleich wird seine Herrschaft von immer mehr Menschen im heutigen Spanien verharmlost oder gar unterstützt. Dies lässt sich auch dadurch erklären, dass es, nachdem er 1975 im Schlaf starb, zu einem fließenden Übergang der politischen Macht (Transición) kam, die keinerlei Aufarbeitung des Bürgerkriegs und der folgenden Schreckensherrschaft einschloss. Noch heute tragen zahlreiche Straßen und Plätze in Spanien Francos Namen, sind mit Büsten oder Stauen von ihm geschmückt, während sein Leichnam gemeinsam mit dem des Gründers der faschistischen Falange, José Antonio Primo de Rivera (verstorben 1936), in einer ab 1940 von Zwangsarbeitern aus Francos Konzentrationslagern zur Verherrlichung seiner Diktatur erbauten monumentale Gedenkstätte, dem "Valle de los Caídos", ruht. Erst im Sommer des letzten Jahres beschloss die spanische Regierung Franco und Primo de Rivera umzubetten und die ebenfalls dort begrabenen, bisher namenlosen Gefallenen zu exhumieren.

Während die sogenannte sozialistische Partei das Land nach Francos Tod im Zuge einer relativ langen Regierungsphase auf Basis einer bürgerlichen Verfassung zu modernisieren versucht, konnte der reaktionäre Kern der rechtsnationalistischen Gesellschaft nur unwesentlich geschwächt werden. Ein ehemaliger Minister aus dem Kabinett Francos gründete schließlich eine reaktionäre Partei, aus der die bis Juni 2018 regierende Partido Popular (PP) von Mariano Rajoy hervorging. Noch heute stammen Teile dieser einflussreichen Partei aus alten franquistischen Familien. Die Hintergründe des Spanischen Bürgerkriegs, sowie die historischen Kontinuitäten der franquistischen Ideologie und des autoritären Politikverständnisses, die eine gesellschaftlichen Aufarbeitung verhinderten, sind essentiell auch für das Verständnis des anhaltenden Konfliktes um die Autonomie Kataloniens (siehe hierzu auch Autonomiebestrebungen - "Mein Katalonien"). Außerdem liefern die Erfahrungen des Spanischen Bürgerkrieg in Zeiten wiedererstarkender rechts-konservativer Bewegungen in ganz Europa Diskussionsstoff für eine fruchtbare Auseinandersetzung darüber, wie eine pluralistische Linke mit den aktuellen Herausforderungen umgehen sollte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Max Jansen

Max Jansen hat Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften studiert. Derzeit lebt und arbeitet er in Frankfurt am Main.

Max Jansen

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