Es sind Menschen

Soziale Gerechtigkeit Um weitere Anschläge zu verhindern, ist eine gesellschaftliche Transformation hin zu gerechten und stabilen sozialen Verhältnissen für alle notwendig.

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Reformen der Sicherheitsarchitektur alleine werden weitere Anschläge nicht verhindern. Notwendig ist eine gesellschaftliche Transformation hin zu gerechten und stabilen sozialen Verhältnissen für alle.

Die Bilder, die uns nach jedem neuen Gewaltexzess erreichen, hinterlassen einen Moment des Schocks, der Trauer und des Unverständnisses, aber werfen unmittelbar danach die quälende Frage auf, wie weitere Taten verhindert werden können. In den menschenverachtenden und feigen Anschlägen spiegelt sich eine nicht hinnehmbare Gleichgültigkeit gegenüber dem menschlichen Leben wieder, die es mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen gilt.

Die Politik reagiert in erster Linie mit einer Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen. Fertige Konzepte für strengere Kontrollen und die Aufstockung der Polizeipräsenz werden schnell umgesetzt, grundsätzliche Reformen angekündigt, Etats aufgestockt, Personal und Befugnisse ausgeweitet. Es scheint als würden alle Mittel ausgeschöpft um das zivile Leben zu schützen. Um weitere Anschläge effektiv verhindern zu können, reicht es aber nicht aus, die Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen. Eine wichtige Rolle kommt auch der Prävention zu. Um diese gezielt und effektiv nutzen zu können, spielt es eine große Rolle die Motive und Radikalisierungsprozesse derjenigen nachvollziehen zu können, die derart menschenverachtende Taten begangen haben: Die Täter müssen in den Blick genommen werden.

Die Auseinandersetzung mit den Tätern wird von Seiten der Behörden und Medien in der Regel in einer Weise geführt, die diese schnell als psychisch labile Einzelgänger darstellt und die Suche nach den Ursachen für ihr Handeln somit meist auf die individuelle Ebene eingrenzt. Während die Motivation der Täter auf der ganz subjektiven Ebene lokalisiert wird, wird meist festgestellt, dass sie sich als perspektivlose und marginalisierte Verlierer einer Gesellschaft empfunden haben, in der es ihnen nicht gelungen ist, einen adäquaten Platz für sich selbst zu finden. Soweit die gängigen Feststellungen.

Die Analysen der Täterprofile und –motive endet häufig auf dieser Ebene. Politikempfehlungen aus allen Lagern bestehen in der einfachen Formel, die Integration zu verbessern, Radikalisierungsprozesse früher erkennbar zu machen, Anschlagspläne mittels erhöhter Überwachung in einem möglichst frühen Planungsstadium aufzudecken und verdächtige Personen im Zweifelsfall ihrer Freiheit zu berauben oder ihnen gar die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Was hingegen selten thematisiert wird, ist die Rolle, die die allgemeine Verfassung der Gesellschaft spielt.

Auch wenn die Debatte sich derzeit ausschließlich auf den islamistischen Terrorismus konzentriert und die hinter ihm stehende ideologische Verblendung für die konkreten Anschlagsziele und -taktiken durchaus von zentraler Bedeutung sind, muss beobachtet werden, dass extremistische Gewalt und Terror kein Programm, sondern vielmehr eine Technik sind, der sich Personen jeder Couleur und Motivation bedienen.

Denken wir an die lange Geschichte des deutschen Linksextremismus, den nationalistischen Terror des NSU, die zahlreichen Amokläufe an deutschen Schulen und zuletzt an die Ereignisse von Ansbach, Würzburg, München und schließlich Berlin, zeigt sich deutlich, dass weder die ethnische Herkunft, noch die ideologische Ausrichtung die Taten hinreichend erklären können. Bei allen durchaus relevanten Unterschieden, weisen diese Verbrechen bezüglich der hinter ihnen stehenden Ursachen und Motive in gewisser Weise einen einheitlichen und empirisch entscheidenden Moment auf. Sie werden nicht spontan oder aus reiner Spinnerei begangen.

Natürlich haben die gewaltverherrlichende Ideologie und die Rachsucht der Täter eine großen Einfluss darauf, dass aus Gedanken Taten werden. Doch was am Anfang eines jeden Radikalisierungsprozesses steht, ist ein Gefühl sozialen Aufbegehrens und Widerstands. Der Drang sich von „den Anderen“ abzugrenzen und die Überzeugung, die Spielregeln, auf die sie sich im Sinne eines vermeintlich friedlichen Zusammenlebens geeinigt haben, nicht länger zu akzeptieren. Dieses Gefühl des Aufgebehrens mag zwar als Konsequenz jeweils ganz individueller und unterschiedlicher Erfahrungen verstanden werden, stellt aber eine höchst ambivalente Motivationsquelle dar, der im Entstehungsmoment jeder normative Richtungsindex fehlt, der festzulegen vermag, auf welchen Wegen sich dieses Aufbegehren äußern wird.

Betrachten wir vor diesem Hintergrund die oben beschriebenen Gewaltexzesse, lässt sich festhalten, dass es keineswegs hilfreich sein kann, sie ausschließlich als individuelle Ausbrüche einzelner, verirrter Subjekte zu begreifen. Ganz im Gegenteil scheint es vielversprechender nach möglichen Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Ursachen zu suchen, die zu dem Initialgefühl des sozialen Widerstands geführt haben. Die Gewalttat als solche muss als Ergebnis eines gescheiterten Umgangs mit derartigen Erfahrungen des sozialen Aufgebehrens verstanden werden. Die Idee der Gewaltprävention setzt an genau diesem Punkt an. Sie versucht auf den Umgang mit derartigen Erfahrungen deeskalierend zu wirken, noch bevor sie ihren tragischen Ausbruch erleben. Deshalb kommt ihr eine mindestens genau so wichtige Bedeutung zu, wie der Anpassung unmittelbarer Sicherheitsmaßnahmen.

Worum es aber auch gehen muss, ist, den Anspruch nicht zu verlieren, die Ursachen für derart kränkende Erfahrungen sozialer Missachtung zu beheben. Sie besitzen die Fähigkeit, Menschen auf den Pfad des Terrors zu leiten. Jeder Mensch ist für sein Handeln selbstverantwortlich und entscheidet sich bewusst dazu, die Leben anderer auszulöschen, wenn er derartige Gewalttaten ausübt. Es wird auch niemals möglich sein, ihre Wiederholung ohne ein gewisses Maß öffentlicher Sicherheitsmaßnahmen zu verhindern. Worauf es aber ankommt, ist, auch alles Mögliche zu unternehmen, um überhaupt erst die Entstehung derart radikalisierender sozialer Erfahrungen zu verhindern.

Um die Auseinandersetzung mit dieser Frage hat sich in der jüngeren Geschichte ein regelrechter Forschungszweig ausgebildet, der sich intensiv mit der Frage beschäftigt, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse derart gestaltet werden können, dass sie schließlich jeden Menschen mit dem Gefühl ausstatten, sich zugleich als gleichberechtigtes, aber auch einzigartiges Mitglied einer Gemeinschaft zu begreifen. Hier seien exemplarisch die Untersuchungen von Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse, Michel Foucault, Jean Baudrillard, Erich Fromm, Jürgen Habermas, Arno Gruen, Axel Honneth, aber insbesondere beispielsweise auch Margarete Stokowski erwähnt, die hierzu zahlreiche Anknüpfungspunkte bieten. Diese sollten aufgrund ihrer hohen gesellschaftlichen Relevanz angesichts der aktuellen Debatten nicht in Vergessenheit geraten.

Sie zeigen, dass eine gelungene soziale Anerkennung die Bedingung des Gelingens einer individuellen Identitätsentwicklung darstellt und damit die Basis für eine nachhaltige Persönlichkeitsbildung schafft. Diese wiederum vollzieht sich entlang normativer Werte, die bei der späteren Erfahrungen sozialer Missachtung als Handlungskompass dienen, während die Häufigkeit, in der derartige Missachtungsereignisse auftreten zugleich sinkt.

Geht es darum das Wiederkehren der oben beschriebenen Gewaltexzesse nachhaltig zu verhindern, darf die Rolle der Gesellschaft und die Notwendigkeit ihrer grundlegenden Transformation nicht außer Acht gelassen werden. Wir brauchen gerechte und stabile soziale Verhältnisse - vielleicht dringender als jemals zuvor.

Wie sich in den derzeitigen Diskussionen der etablierten Politiker*innen erkennen lässt, sollten engagierte Bürger*innen sich nicht darauf verlassen, dass aus dieser Richtung in Kürze die hierfür nötigen Impulse ausgehen werden. Notwendig ist eine grundlegende Neuerung des sozialen Gefüges, in dem wir miteinander interagieren, in dem wir miteinander zusammenleben. Für diese Transformation müssen natürlich entsprechende politische Rahmenbedingungen geschaffen werden. Zentral hierfür ist es allerdings, diese Veränderung von unten zu gestalten. Selbst Bedingungen zu erzeugen und auch einzufordern, in denen es den Menschen, die in ihnen leben zu einem möglichst hohen Grad möglich ist, diese neuen Räume mit authentischem, menschlichem Leben zu füllen.

Blicken wir auf die Gewaltexzesse zurück, bleibt zu betonen, dass es Menschen sind, die diese schrecklichen Taten begehen. Es sind aber auch Menschen, die in ihrem Zusammenleben mit all ihren Mitmenschen täglich das aktuelle soziale Gesellschaftsgefüge reproduzieren, das sich fortwährend als unfähig erweist, allen in ihm Lebenden ihre verdiente soziale Anerkennung zukommen zu lassen. Nehmen wir in Kauf, dass es zahlreiche Verlierer gibt, während wir uns im Rum des sozialen Ausgrenzungssystems sonnen, müssen wir auch in Zukunft akzeptieren, dass sich unter den Verlierern auch solche finden werden, die nicht fähig oder willens sind, mit ihren Erfahrungen sozialer Missachtung so umzugehen, dass unser Lebensstil davon gänzlich unberührt bleibt.

Die Einsicht der letzten Wochen und Monate ist, dass es keine absolute Sicherheit gibt, die uns von Seiten der Politik angeboten werden könnte, egal wie sehr sie unsere Freiheit auch einschränken werden. Die Konsequenz daraus kann nur sein, dass wir alles in unserer Macht stehende tun, um die initiale Entstehung sozialer Missachtungsphänomene zu verhindern und an ihre Stelle die Grundlagen für eine gelungene soziale Anerkennung stellen. Wir alle können einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen dieser Anerkennung leisten, auch ohne gleich das bestehende Gesellschaftssystem komplett umwerfen zu müssen.

Es geht darum in jedem den Menschen, mit seinem ureigenen Bedürfnis nach individueller Anerkennung und einer gelungenen Identitätsentwicklung zu sehen und ihn auch in diesem Sinne zu behandeln. Es sind Menschen, die die Ursachen für all das Leid schaffen und es sind auch Menschen, die dies ändern können.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Max Jansen

Max Jansen hat Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften studiert. Derzeit lebt und arbeitet er in Frankfurt am Main.

Max Jansen

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