„Fluchtursachen“ und „freiwillige Rückkehr“?

Irak Nach fast vier Jahren sehen sich die Grünhelme aufgrund anhaltender Schikanen der irakischen Zentralregierung dazu gezwungen ihre Arbeit im Norden des Landes einzustellen

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Nachdem sich der Kölner Grünhelme e.V. unmittelbar nach dem Überfall des sogenannten Islamischen Staates auf das Shingal-Gebirge und der damit einhergehenden Fluchtbewegung hunderttausender Jesidinnen und Jesiden in das kurdische Autonomiegebiet im Jahr 2014 ihre Arbeit in der Region aufnahmen und zunächst Sanitäranlagen in provisorischen Camps bereitstellten, begannen sie wenig später auch als erste internationale NGO mit Hilfslieferungen auf den Berg, wo noch viele jesidische Familien ausharrten, weil sie ihr Land nicht den Terroristen kampflos überlassen wollten. Schnell war den Grünhelmen klar, dass sie sobald eben möglich den Wiederaufbau in der Region unterstützen wollten, um dem friedlichen Volk der Jesid*innen als Alternative zur Flucht eine Zukunftsperspektive in ihrer Heimat zu ermöglichen.

Doch nicht nur die Jesid*innen wurden Opfer des islamistischen Terrorismus. Auch viele muslimische Menschen wurden vertrieben und ihre Dörfer zerstört. 2015, als Shingal-Stadt noch besetzt war und die prekäre Sicherheitslage ein permanentes Arbeiten auch auf der befreiten Nordseite der Berge noch nicht zuließ, starteten die Grünhelme daher ein erstes Wiederaufbauprojekt in der Region Zummar. Im nördlichen Ninawa, westlich des Mossul-Staudamms gelegen, gibt es hier eine arabisch-kurdische Mischbevölkerung. Einst kurdisch, wurden unter Saddam Hussein arabische Familien strategisch angesiedelt. Entsprechend konnte die Zugehörigkeit dieser Region, ob kurdisch oder zentralirakisch, auch in der irakischen Nachkriegsverfassung von 2004 nicht geregelt werden. Die unterschwelligen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Familien machte sich dann der IS bei seinem Vormarsch zunutze, separierte die Bevölkerung und verübte unvorstellbare Gräuel an den Kurd*innen. Nach der Befreiung durch die kurdischen Peshmerga übernahm die Kurdische Regionalregierung (KRG) auch die zivile Verwaltung und stand vor der Herausforderung die arabische Bevölkerung der Region zu integrieren. An eben jenem Punkt versuchten die Grünhelme Unterstützung zu leisten: Eine vom IS vollständig zerstörte Grund- und Sekundarschule wurde wiederaufgebaut. In enger Absprache mit den kurdischen und arabischen Schulbehörden entstand ein Neubau, in dem heute 600 arabische und kurdische Kinder in zwei Zweigen, aber unter einem Dach lernen können.

Schon während des Bauprozesses in Zummar richteten die Grünhelme ihren Blick auch nach Shingal. Nachdem dann im November 2015 auch Shingal-Stadt befreit wurde, konnten sie ein Jahr später mit ihrem ersten Wiederaufbauprojekt in der jesidischen Heimat beginnen. In enger Zusammenarbeit mit den kurdischen Sicherheitskräften, der Schulbehörde und der lokalen Community entstand so auf der Nordseite der Berge, im Dorf Gerke-Hasare, ebenfalls eine neue Grund- und Sekundarschule für 200 Kinder. Der Bau wurde im September vergangenen Jahres fertiggestellt. Gleichzeitig liefen die Vorbereitungen für ein Anschlussprojekt, diesmal auf der Südseite der Berge, in einem Dorf in unmittelbarer Nachbarschaft zu Shingal-Stadt, in dem die Schule vom IS zerstört wurde.

Infolge des kurdischen Unabhängigkeitsreferendums vom September 2017 wurde die Verwaltung und Sicherheit der Region jedoch wieder von der Zentralregierung und der mit ihr verbündeten schiitischen Milizen übernommen. Seitdem ist den Grünhelmen eine Fortsetzung ihrer humanitären Arbeit nicht mehr möglich, da die irakische Zentralregierung den Zugang in die Region behindert und mit immer weiteren absurden Anforderungen verschleppt. Dies betrifft insbesondere Hilfsorganisationen, die zuvor lediglich in kurdisch-verwaltetem Gebiet tätig waren. Eine Registrierung dieser Organisationen, auch der Grünhelme, in Bagdad ist de-facto kaum möglich. So verlagert die irakische Zentralregierung ihren innenpolitischen Konflikt mit der Kurdischen Regionalregierung auf die humanitäre Ebene, zu Lasten der Bevölkerung in den umstrittenen Gebieten.

Zugleich sind laute Rufe der irakischen Zentralregierung nach Unterstützung und Hilfsgeldern in den internationalen Gremien vernehmbar. Dieser Widerspruch lässt nicht nur die Grünhelme kopfschüttelnd zurück: Einerseits die Forderung nach Unterstützung, andererseits den bereits vor Ort tätigen Organisationen alle erdenklichen Steine in den Weg legen.

Gern hätten die Grünhelme und andere NGOs den irakischen Staat beim Wiederaufbau des Landes weiter unterstützt, aber unter den gegebenen Umständen sehen sich immer mehr Hilfsorganisationen schweren Herzens gezwungen, ihre eigentlich erfolgreiche Arbeit im Irak einzustellen. Derweil hat auch die deutsche Bundesregierung ihren Schwerpunkt weg von der Kurdischen Verwaltung im Norden und hin zu der irakischen Zentralregierung gelegt, während sie nach dem vermeintlichen „Sieg“ über den sogenannten IS die „freiwillige Rückkehr“ forcieren will – an deren Sinnhaftigkeit und Freiwilligkeit aus den oben genannten Gründen auch in diesem Fall zu zweifeln ist.

Mehr zur ehrenamtlichen und rein spendenfinanzierten Arbeit des Grünhelme e. V., sowie zu Unterstützungs- und Spendenmöglichkeiten finden sich unter: www.gruenhelme.de

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proasyl.de: Bundesregierung will Rückkehr in den Irak forcieren: Der »IS« ist besiegt – also ab nach Hause?

https://www.proasyl.de/hintergrund/bundesregierung-will-rueckkehr-in-den-irak-forcieren-der-is-ist-besiegt-also-ab-nach-hause/

gruenhelme.de: Grünhelme verlassen den Irak - Nach fast vier Jahren beenden die Grünhelme ihre Arbeit im Irak

https://gruenhelme.de/gruenhelme-verlassen-den-irak/#more-10731

medico.de: "Freiwillige Rückkehr" - Entwicklungshilfe für die deutsche Innenpolitik?

https://www.medico.de/blog/entwicklungshilfe-fuer-die-deutsche-innenpolitik-17026/

bundesregierung.de: Referendum über kurdischen Staat - Territoriale Integrität des Irak unverzichtbar

https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2017/09/2017-09-15-nordirak.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Max Jansen

Max Jansen hat Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften studiert. Derzeit lebt und arbeitet er in Frankfurt am Main.

Max Jansen

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