Zur Schwierigkeit der Linken

Ukraine-Konflikt Die Ukraine ist nicht zwischen Ost und West getrennt, sondern zwischen unten und oben. Putins imperialistische Bestrebung muss offen benannt werden, ohne das Narrativ der NATO – kEIN imperialistisches Instrument zu sein - zu schlucken.

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In Bezug auf die aktuelle Eskalation in der Ukraine liegt für Teile der deutschen Linken eine Schwierigkeit darin, dass es hierzulande nicht unbedingt einfach ist, Russland zu kritisieren oder Putin gar einen Verlust beizubringen, der von der NATO nicht als Sieg empfunden und instrumentalisiert würde. Sie würden es für sich nutzen, da führt kein Weg vorbei. Die fortschreitende Expansion der NATO aber ist bereits Ausdruck eines Siegestaumels des Bündnisses - nach einem Moment, in dem es sich eigentlich hätte auflösen müssen, wenn es denn ein Verteidigungsbündnis gewesen wäre. Ein Ereignis, das sich seinerseits nicht unbedingt wiederholen sollte, insbesondere vor dem Hintergrund des Konflikts mit China.

Nun steht ein militärischer Verlust Russlands oder gar ein Aus von Putins Herrschaft aber unmittelbar ohnehin nicht bevor, auch wenn europäische Analyst:innen zumindest Letzteres dieser Tage gern verkünden. Und gerade deshalb gilt es zu betonen, dass Putins heutiges Russland inklusive gleichgeschalteter Presse und Oligarchentum eben auch aufgrund des Bedrohungspotenzials und der ständigen Ausweitung der NATO (und der EU) existiert. Historische Fakten, die Putin seinerseits immer wieder nationalistisch aufzuladen und innenpolitisch nutzbar zu machen weiß.

Und NATO ihrerseits feiert ein ungekanntes Revival, inkl. Wehrpflicht-Phantasien und einem lauten Schrei nach steigenden Militärausgaben. Knapp zwei Jahre nachdem sie für hirntot erklärt wurde. Dies als einen reinen Zufall der Geschichte zu verstehen, ist wohl vor dem Hintergrund geostrategischer Interessen naiv. Deshalb muss es auch in Solidarität mit den Menschen in Russland darum gehen, allen Tendenzen entgegenzuwirken, Putins imperialistische Bestrebungen zu relativieren. Dabei darf aber das Narrativ der NATO – kEIN imperialistisches Instrument zu sein - nicht geschluckt werden. Denn genau dieses Charakteristikum ist Ausdruck ihrer Fortexistenz nach Ende des Kalten Krieges sowie der Kriege in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und der steigenden Spannungen im südchinesischen Meer.

Auch die Osterweiterung der NATO ist verbunden mit der Tatsache, dass es eine EU-Mitgliedschaft seit dem Scheitern der (west-) Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion (ESVU) im Jahr 2007 nicht mehr ohne Beitrittsbekundung zur NATO gibt. Das „österreichische-“ oder „schwedische“ Modell – ein EU- ohne NATO-Beitritt(sbekundung) – gibt es für Neumitglieder schlicht nicht. Hier zeigt sich die enge Verwobenheit des Militärbündnisses mit wirtschafts- und geopolitischen Interessen und Akteur:innen. Der NATO ihrerseits können aber nur Staaten beitreten, die gewisse Grundvoraussetzungen erfüllen, u.a. (1) keine ungelösten Konflikte in die Allianz tragen und (2) in denen Demokratie und Marktwirtschaft fest verankert sind.

Vor diesem Hintergrund lohnt sich dann vielleicht ein Blick in „The Grand Chessboard - American Primacy And Its Geostrategic Imperatives" von Zbigniew Brzezinski (1998): Entsprechend seiner auf die Ukraine bezogenen "Herzland-These" beherrscht, wer die Ukraine beherrscht - nach westlich hegemonialen Imperativen - de facto auch Russland. Wer Russland beherrscht, beherrscht Eurasien und damit letztlich die Welt. Geht es also tatsächlich um die Weltherrschaft? Dann würde die Ukraine aktuell aufgerieben - zwischen zwei imperialistischen Blöcken.

Dabei sind die Menschen in der Ukraine de facto nicht zwischen „Ost-“ und „West“ getrennt, sondern zwischen unten und oben. Das zeigt ein einfacher Blick auf die Durchschnittslöhne und -renten in der Ukraine und was eine Integration des Landes in die westlichen Wertschöpfungsketten und die hinter diesen stehende imperiale Lebensweise für die überwiegende Mehrheit der Menschen in der Ukraine bedeuten würde. Wer also Frieden will, sollte sich nach dem richten, was Karl Liebknecht schon 1915 wusste: Der Hauptfeind steht im eigenen Land.

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Links zum Weiterlesen:

https://www.medico.de/wie-konnte-es-soweit-kommen-18536

https://www.heise.de/tp/features/Ukraine-Krise-USA-und-Nato-haetten-Eskalation-moeglicherweise-verhindern-koennen-6523387.html

https://crp-infotec.de/eu-esvu-sicherheits-und-verteidigungsunion/

https://www.nd-aktuell.de/artikel/529236.kriterien-fuer-nato-beitreter.html

https://www.ostinstitut.de/files/de/2021/Ostinstitut_Vertrag_zwischen_der_RF_und_den_USA_%C3%BCber_Sicherheitsgarantien_OL_2_2021.pdf?fbclid=IwAR2T3LH49_DO48-gZGdsj2MvO51v3NWYHQOv98yWxzdG-k4QzMEhnH5ZOWs

https://shop.marx21.de/shop/product/krieg-im-osten-die-ukraine-zwischen-imperialismus-nationalismus-und-revolution-177?category=6

https://docplayer.org/47853027-Zbigniew-brzezinski-the-grand-chessboard-das-grosse-schachbrett.html

https://socialistworker.co.uk/long-reads/ukraine-and-imperialism-alex-callinicos-replies-to-paul-mason/?fbclid=IwAR2HwIpUtqlO-iAega-7ZW67k92TueQfEtCBL3iKs9XdT-0UzPOWV4GVRiE

https://abcdd.org/en/2022/02/24/support-anarchist-community-in-ukrain-during-war/

https://www.akweb.de/politik/auch-die-ukraine-braucht-sicherheitsgarantien/

https://perspektive-online.net/2022/02/macht-eure-machtspielchen-ohne-uns/

https://didf-jugend.de/erklaerung-der-didf-jugend-das-ist-nicht-unser-krieg/

http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Ukraine1/odessa.html

https://www.heise.de/tp/features/Extensive-Feindpropaganda-3368747.html

https://www.akweb.de/politik/russland-ukraine-konflikt-kampf-auf-der-titanic/

https://www.heise.de/tp/features/Die-Ukraine-und-die-Buechse-der-Pandora-6346097.html

https://interventionistische-linke.org/beitrag/gegen-alle-grenzen-gegen-alle-imperien-gegen-alle-kriege

https://crimethinc.com/2022/02/15/der-krieg-und-die-anarchistinnen-anti-autoritare-perspektiven-in-der-ukraine

https://www.jungewelt.de/artikel/421666.krieg-russland-startet-angriff-auf-ukraine.html

https://www.die-linke.de/start/presse/detail/keine-verletzung-der-souveraenitaet-und-territorialen-integritaet-der-ukraine-1/

https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand/detail/nein-zum-krieg-nein-zum-voelkerrechtsbruch-durch-russland-fuer-deeskalation-und-abruestung/

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Geschrieben von

Max Jansen

Max Jansen hat Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften studiert. Derzeit lebt und arbeitet er in Frankfurt am Main.

Max Jansen

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