Wiederaufbau und Rückkehr

Syrien Welche Rolle will Europa in Syriens Zukunft einnehmen: Eine von Eigeninteressen geleitete, die dem Regime dienlich ist, oder eine im Interesse der syrischen Bevölkerung?

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Bald schon sicheres Herkunftsland?
Bald schon sicheres Herkunftsland?

Foto: Bulent Kilic/AFP/Getty Images

Während Assads Truppen den Sturm auf Idlib vorbereiten, muss Europa sich damit zufrieden geben, der drohenden Katastrophe weitgehend tatenlos zusehen zu müssen – ein Resultat der ausweglosen Situation, in die sich die Europäische Union dank ihrer Zerrissenheit in außenpolitischen Fragen navigiert hat.

Und dennoch kann und wird Europa eine entscheidende Rolle in Syriens Zukunft spielen, spätestens dann nämlich, wenn auch Idlib in Schutt und Asche gebombt wurde und sich Assad daran macht, seine Macht wieder langfristig zu konsolidieren. Wie in den letzten Tagen bereits deutlich geworden ist, wollen Russland und Syrien, dass sich Europa am Wiederaufbau beteiligt – ganz einfach, weil sie selbst nicht fähig wären, das Land, das sie bis zum Erdboden zerstört haben, wieder aufzubauen. Eine skurille Situation, wenn europäische Regierungen noch vor dem baldigen Vorstoß auf Idlib, mit all dem Leid und der Zerstörung, die er hervorbringen wird, darum gebeten werden, zuzusichern, dasss sie das wieder aufbauen, was in einem rücksichtslosen Machtstreben eines eigentlich verfeindeten Staatsapparat zerstört wurde. Und dennoch kommt Europa nicht darum herum, dieses Zugeständnis zu machen, sollte es aber von vorn herein an die eine Bedingung koppeln, dass für Idlib ein anderes als das jetzt befürchtete Szenario eines zweiten Aleppos Wirklichkeit wird.

Und dann ist da noch eine zweite Sache, die Europa fest an die Zukunft Syriens bindet: Aufgrund der massiven Vertreibungen und Zerstörungen haben rund 5,6 Millionen Menschen Syrien verlassen müssen. Viele haben es nach Europa geschafft, die wenigsten von ihnen mit der Perspektive, dort wirklich lange bleiben zu dürfen. Noch viel mehr sind allerdings in die Nachbarländer Syriens geflohen, vor allem die Türkei und den Libanon. Während in Deutschland – insbesondere in der AfD und der CDU – in den letzten Monaten die Stimmen immer lauter geworden sind, die eine Rückführung von Menschen aus Syrien fordern, gilt es hier klar zu machen, dass Assad vielleicht den Krieg gewinnen, aber niemals auch nur einen Funken Frieden bringen wird. Sein Sieg bedeutet Friedhofsruhe, niemand kann sicher in einem Land leben, dessen brutaler Machthaben in den letzten sieben Jahren der ganzen Welt unter Beweis gestellt hat, dass er willens und fähig ist, alles zu tun, um uneingeschränkte Macht auszuüben.

Zeitgleich nutzt Assad die Flucht vieler Menschen für eine Art demografische Neuordnung. So werden bereits seit Jahren zurückeroberte Gebiete an loyale Bevölkerungsgruppen vergeben. Im April erließ die Regierung das sogenannte Gesetz Nummer 10. Demnach fallen Grundstücke und Häuser, deren Eigentümer nicht innerhalb enger Fristen ihre Ansprüche dokumentieren, an den Staat. Für viele Geflüchtete ist es unmöglich, die erforderlichen Dokumente fristgerecht aufzutreiben. In ehemaligen Rebellengebieten kann das Regime so Kriegsherren mit Eigentum belohnen und Gegner enteignen, große Gebiete zu Sonderwirtschaftszonen erklären, in denen in den nächsten Jahren der wirtschaftliche Boom stattfinden soll.

Und dennoch deutet alles darauf hin, dass Assad all das bekommt, was er will: Die Bilder von Reisebussen, die geschmückt mit syrischen Fahnen und Bildern Assads in den letzten Monaten bereits vom Libanon nach Syrien aufgebrochen sind und einige Tausend geflohene Menschen zurück in das Land gebrachten haben, sind als politisches Signal zu werten. Die Rückkehr hat demnach begonnen und damit auch die Nachkriegsära. Diese Rückführungen konnten nur aufgrund der erstmals wieder engen Zusammenarbeit libanesischer und syrischer Behörden durchgeführt werden. Eine Entwicklung, die sich bald auch in Europa wiederholen könnte, denn in Syriens Nachbarstaaten hat Russland bereits zahlreiche sogenannter Rückkehrzentren eröffnet, während auch diesbezüglich bei europäischen Staaten um entsprechende Hilfsgelder geworben wird. Das Kalkül ist dabei eindeutig: Je mehr Syrer*innen in ihr Heimatland zurückkehren, desto mehr Hilfsgelder fließen nach Syrien, wo sie letztendlich das Regime stabilisieren und international rehabilitieren.

Zwar stuft das UN-Flüchtlingshilfswerk die Sicherheitslage in Syrien weiter als extrem unsicher ein. Außerdem ist weitgehend bekannt, dass seit Ausbruch der Protesten im Frühjahr 2011 rund 95.000 Menschen (davon die meisten in den Gefängnissen des Regimes) verschwunden sind und erst Anfang des Jahres eine Fahndungsliste des Regimes mit über 1,5 Millionen Namen (darunter viele von ins Ausland geflohenen Menschen) an die Öffentlichkeit geriet. Dennoch wächst in den Nachbarländern der Druck auf die Geflüchteten, die zunehmend dazu gedrängt werden, das Land zu verlassen und unter Assads Herrschaft zurück zu kehren. Im Libanon zerstört das Militär wiederholt informelle Siedlungen, während hunderttausenden Syrer*innen Aufenthaltspapiere verwehrt werden. Auch in Jordanien und der Türkei können Geflüchtete kaum legal arbeiten. Und so stehen viele Geflüchtete aus Syrien vor der schweren Entscheidung, entweder dort zu bleiben, wo sie nicht willkommen sind, oder zurück in eine verlorene Heimat zu gehen, wo ihr Leben nicht sicher ist.

Angesichts dieser Entwicklungen ist damit zu rechnen, dass europäische Regierungen, allen voran die deutsche, demnächst auf den Abschiebe-Zug aufspringen werden. Seit Jahren wird nach Afghanistan abgeschoben, während das Land immer tiefer in einer Spirale der Gewalt versinkt. Auch Syrer*innen bald wieder „loszuwerden“, dürfte so manchen in den Reihen von CDU/CSU/AFD gefallen. Das in Syrien auch nach dem Ende der offiziellen Kampfhandlungen für viele Menschen kein Leben in Sicherheit möglich sein wird, interessiert hier niemanden. An der Frage der Rückkehr wird sich einmal mehr der Charakter Europas entscheiden.

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In diesem Kontext berichtet Charlotte Alfred in der Zeit aus dem libanesischen Grenzdorf Arsal, in dem auch der Kölner Grünhelme Verein seit knapp einem Jahr ehrenamtliche Hilfe für die zahlreichen Menschen aus Syrien leistet:

Syrien: "Jeder will in seinem eigenen Dorf sterben"

https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-08/syrien-rueckkehr-libanon-regierung-unhcr

Grünhelme e.V.: Hilfsprojekt für syrische Geflüchtete im Libanon (seit 2017)

https://gruenhelme.de/category/libanon/

Grünhelme e.V.: Spenden (Überweisung / Onlinespende)

https://gruenhelme.de/spenden-blank/spenden/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Max Jansen

Max Jansen hat Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften studiert. Derzeit lebt und arbeitet er in Frankfurt am Main.

Max Jansen

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