Während Assads Truppen den Sturm auf Idlib vorbereiten, muss Europa sich damit zufrieden geben, der drohenden Katastrophe weitgehend tatenlos zusehen zu müssen – ein Resultat der ausweglosen Situation, in die sich die Europäische Union dank ihrer Zerrissenheit in außenpolitischen Fragen navigiert hat.
Und dennoch kann und wird Europa eine entscheidende Rolle in Syriens Zukunft spielen, spätestens dann nämlich, wenn auch Idlib in Schutt und Asche gebombt wurde und sich Assad daran macht, seine Macht wieder langfristig zu konsolidieren. Wie in den letzten Tagen bereits deutlich geworden ist, wollen Russland und Syrien, dass sich Europa am Wiederaufbau beteiligt – ganz einfach, weil sie selbst nicht fähig wären, das Land, das sie bis zum Erdboden zerstört haben, wieder aufzubauen. Eine skurille Situation, wenn europäische Regierungen noch vor dem baldigen Vorstoß auf Idlib, mit all dem Leid und der Zerstörung, die er hervorbringen wird, darum gebeten werden, zuzusichern, dasss sie das wieder aufbauen, was in einem rücksichtslosen Machtstreben eines eigentlich verfeindeten Staatsapparat zerstört wurde. Und dennoch kommt Europa nicht darum herum, dieses Zugeständnis zu machen, sollte es aber von vorn herein an die eine Bedingung koppeln, dass für Idlib ein anderes als das jetzt befürchtete Szenario eines zweiten Aleppos Wirklichkeit wird.
Und dann ist da noch eine zweite Sache, die Europa fest an die Zukunft Syriens bindet: Aufgrund der massiven Vertreibungen und Zerstörungen haben rund 5,6 Millionen Menschen Syrien verlassen müssen. Viele haben es nach Europa geschafft, die wenigsten von ihnen mit der Perspektive, dort wirklich lange bleiben zu dürfen. Noch viel mehr sind allerdings in die Nachbarländer Syriens geflohen, vor allem die Türkei und den Libanon. Während in Deutschland – insbesondere in der AfD und der CDU – in den letzten Monaten die Stimmen immer lauter geworden sind, die eine Rückführung von Menschen aus Syrien fordern, gilt es hier klar zu machen, dass Assad vielleicht den Krieg gewinnen, aber niemals auch nur einen Funken Frieden bringen wird. Sein Sieg bedeutet Friedhofsruhe, niemand kann sicher in einem Land leben, dessen brutaler Machthaben in den letzten sieben Jahren der ganzen Welt unter Beweis gestellt hat, dass er willens und fähig ist, alles zu tun, um uneingeschränkte Macht auszuüben.
Zeitgleich nutzt Assad die Flucht vieler Menschen für eine Art demografische Neuordnung. So werden bereits seit Jahren zurückeroberte Gebiete an loyale Bevölkerungsgruppen vergeben. Im April erließ die Regierung das sogenannte Gesetz Nummer 10. Demnach fallen Grundstücke und Häuser, deren Eigentümer nicht innerhalb enger Fristen ihre Ansprüche dokumentieren, an den Staat. Für viele Geflüchtete ist es unmöglich, die erforderlichen Dokumente fristgerecht aufzutreiben. In ehemaligen Rebellengebieten kann das Regime so Kriegsherren mit Eigentum belohnen und Gegner enteignen, große Gebiete zu Sonderwirtschaftszonen erklären, in denen in den nächsten Jahren der wirtschaftliche Boom stattfinden soll.
Und dennoch deutet alles darauf hin, dass Assad all das bekommt, was er will: Die Bilder von Reisebussen, die geschmückt mit syrischen Fahnen und Bildern Assads in den letzten Monaten bereits vom Libanon nach Syrien aufgebrochen sind und einige Tausend geflohene Menschen zurück in das Land gebrachten haben, sind als politisches Signal zu werten. Die Rückkehr hat demnach begonnen und damit auch die Nachkriegsära. Diese Rückführungen konnten nur aufgrund der erstmals wieder engen Zusammenarbeit libanesischer und syrischer Behörden durchgeführt werden. Eine Entwicklung, die sich bald auch in Europa wiederholen könnte, denn in Syriens Nachbarstaaten hat Russland bereits zahlreiche sogenannter Rückkehrzentren eröffnet, während auch diesbezüglich bei europäischen Staaten um entsprechende Hilfsgelder geworben wird. Das Kalkül ist dabei eindeutig: Je mehr Syrer*innen in ihr Heimatland zurückkehren, desto mehr Hilfsgelder fließen nach Syrien, wo sie letztendlich das Regime stabilisieren und international rehabilitieren.
Zwar stuft das UN-Flüchtlingshilfswerk die Sicherheitslage in Syrien weiter als extrem unsicher ein. Außerdem ist weitgehend bekannt, dass seit Ausbruch der Protesten im Frühjahr 2011 rund 95.000 Menschen (davon die meisten in den Gefängnissen des Regimes) verschwunden sind und erst Anfang des Jahres eine Fahndungsliste des Regimes mit über 1,5 Millionen Namen (darunter viele von ins Ausland geflohenen Menschen) an die Öffentlichkeit geriet. Dennoch wächst in den Nachbarländern der Druck auf die Geflüchteten, die zunehmend dazu gedrängt werden, das Land zu verlassen und unter Assads Herrschaft zurück zu kehren. Im Libanon zerstört das Militär wiederholt informelle Siedlungen, während hunderttausenden Syrer*innen Aufenthaltspapiere verwehrt werden. Auch in Jordanien und der Türkei können Geflüchtete kaum legal arbeiten. Und so stehen viele Geflüchtete aus Syrien vor der schweren Entscheidung, entweder dort zu bleiben, wo sie nicht willkommen sind, oder zurück in eine verlorene Heimat zu gehen, wo ihr Leben nicht sicher ist.
Angesichts dieser Entwicklungen ist damit zu rechnen, dass europäische Regierungen, allen voran die deutsche, demnächst auf den Abschiebe-Zug aufspringen werden. Seit Jahren wird nach Afghanistan abgeschoben, während das Land immer tiefer in einer Spirale der Gewalt versinkt. Auch Syrer*innen bald wieder „loszuwerden“, dürfte so manchen in den Reihen von CDU/CSU/AFD gefallen. Das in Syrien auch nach dem Ende der offiziellen Kampfhandlungen für viele Menschen kein Leben in Sicherheit möglich sein wird, interessiert hier niemanden. An der Frage der Rückkehr wird sich einmal mehr der Charakter Europas entscheiden.
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In diesem Kontext berichtet Charlotte Alfred in der Zeit aus dem libanesischen Grenzdorf Arsal, in dem auch der Kölner Grünhelme Verein seit knapp einem Jahr ehrenamtliche Hilfe für die zahlreichen Menschen aus Syrien leistet:
Syrien: "Jeder will in seinem eigenen Dorf sterben"
https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-08/syrien-rueckkehr-libanon-regierung-unhcr
Grünhelme e.V.: Hilfsprojekt für syrische Geflüchtete im Libanon (seit 2017)
https://gruenhelme.de/category/libanon/
Grünhelme e.V.: Spenden (Überweisung / Onlinespende)
Kommentare 15
Doch eine zu sehr [west-] europäische "Sicht" auf die Dinge, wer hier zerstört und wer hier aufbaut. "Die" Europäer haben Libyen mit all dem Chaos über Jahre zu verantworten... und hätten gern eine solche "Zukunft" für Syrien.
hier, an anderer stelle, hat ulrich heyden: "eine fahrt ohne helm",
den weg in die sonnige zukunft aufgezeigt:
da die geflüchteten wenn, dann den russischen truppen vertrauen,
sollte eine putinsche abstimmung erfolgen, die syrien der krym
gleich-stellt(möglicher teil eines "neuen Rußlands").
europa wäre raus(mit seiner west-kapitalist. gier und kolonialismus-verdacht),
trump neutralisiert + die hiesigen pazifisten befriedet.
a perfect match/...wie am schnürchen.
odrrr?
Glückwunsch zu diesem Artikel, der so direkt bei ZON & SPON erscheinen könnte. Und das ist kein Kompliment.Ich glaube, es war Aktham Suliman, der in einem seiner Texte die westlich-arabische Wertegemeinschaft inständig bat, Syrien doch einfach ein paar Jahre in Ruhe zu lassen.. für mich ein sehr verständlicher Wunsch angesichts des Kriegs gegen Syrien, den wir und unsere Nato-Partner seit Jahren mitgestalten.Hoffnung habe ich da allerdings wenig, denn wozu sonst wurden die syrischen Flüchtlinge ins Land geholt, wenn nicht als Faustpfand und Verhandlungsmasse für eine deutsche Nahostpolitik der Einmischung im Zeichen einer "größeren Verantwortung", wie sie seit 2014 feste Doktrin der deutschen Außenpolitik ist?
Was die Zahlungsaufforderung an EU-Europa angeht: früher nannte man das "Reparationen", die dazu gedacht waren, wenigstens einen Teil der vom Kriegsverlierer angerichteten Schäden zu reparieren.
Bitte lesen Sie mal den Beipackzettel Ihrer Medikamente oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker:
Sie sind ein gutes Beispiel für den Erfolg westlicher Indoktrination: Herzlichen Glückwunsch.
»…in die sich die Europäische Union dank ihrer Zerrissenheit in außenpolitischen Fragen navigiert hat.«
Die „Zerrissenheit der EU“ demonstriert sich seit Jahr und Tag in ihren diversen Beteiligungen an der Coalition Of The Willing und der internationalen Allianz gegen den IS zur völkerrechtswidrigen Zerstörung des Nahen Ostens.
Zusammen mit der NATO bildet sie ein supranationales Angriffsbündnis. (Diese Link führt Sie zu meiner persönlichen Homepage)
Und genau diese Staaten der EU sind sich auch einig in der Ablehnung jener Menschen die sie zu Flüchtlingen gebombt haben.
Brothers In Arms also!
…
»...wollen Russland und Syrien, dass sich Europa am Wiederaufbau beteiligt – ganz einfach, weil sie selbst nicht fähig wären, das Land, das sie bis zum Erdboden zerstört haben, …«
Das „Russland und Syrien ... bis zum Erdboden zerstört haben“? Sagen Sie mal, haben Sie noch alle Tassen im Schrank? Und die Bomben der Europäer im Rahmen der internationalen Allianz gegen den IS, säuberlich platziert mithilfe der deutschen AWACS-Aktivitäten sind sicher nie gefallen – oder was wollen sie suggerieren?
…
»…, dass Assad vielleicht den Krieg gewinnen, aber niemals auch nur einen Funken Frieden bringen wird. Sein Sieg bedeutet Friedhofsruhe, niemand kann sicher in einem Land leben, dessen brutaler Machthaben in den letzten sieben Jahren der ganzen Welt unter Beweis gestellt hat, dass er willens und fähig ist, alles zu tun, um uneingeschränkte Macht auszuüben.«
Bitte nehmen Sie zur Kenntnis:
Baschar al-Assad ist der legitime Präsident der rechtmäßigen Regierung der Arabischen Republik Syrien. Über sein Schicksal darf daher nach allgemeinem westlichem Rechts-Verständnis lediglich das syrische Volk entscheiden. Russland ist die einzige Nation, die für ihre Syrien-Intervention nach internationalem Recht über einen legalen Status verfügt, da es Schutzmacht dieser legalen Regierung Syriens ist.
Die Katastrophe Syrien ist auch und vor allem das Ergebnis verkommener westlicher Interventionspolitik, die vor völkerrechtwidrigen Angriffskriegen nicht zurückschreckt und im Rahmen einer Kultur symbiotischer Kumpanei von den westlichen Medien mit Chorgesang begleitet wurde und wird.
Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien mit einer Bilanz dieser westlichen Interventionskriege von mittlerweile 1,5 Millionen Menschenleben und zig-Millionen Flüchtlingen sollte für Sie und Ihre medialen Kollegen ausreichender Grund sein, von Ihrem Kampagnenjournalismus Abstand zu nehmen.
Baschar al-Assad, der legitime Präsident der rechtmäßigen Regierung der Arabischen Republik Syrien führt auf eigenem Territorium einen Verteidigungskrieg – das sollten Sie zur Kenntnis nehmen!
ui,ui,ui.
gut, daß ich nicht gegen den legitimen syrien-eigentümer +
seinen friedens-dienst-leister putin geschrieben habe.
sonst hätte mich die russia-today-fraktion hier
als kampagnien-dödel und in-doktrin-ierten
ohne russische approbation bloß-gestellt.
puh, glück muß man haben....
Das könnte daran liegen, daß die Reichweite hermetischer-lyrik ohnehin begrenzt ist.
Mittlerweile reicht es nicht mehr - so wie Sie es auf Ihrer lesenswerten Homepage tun - von einer "westlichen Wertegemeinschaft" zu sprechen. In Anlehnung an Goethe wäre zumindest "west-östliche" oder auch ost-westliche" Wertegemeinschaft angebracht.
Oder wann hat man zuletzt erlebt, daß die aufstrebenden Demokratien Saudi Arabien, Ägypten und Abu Dhabi im Gleichschritt marschieren mit dem großén alten Sheriff in Washington und den von großeuropäischer Großmannssucht geplagten Brüsseler Spitzen?
Angesichts dieser versammelten Feuerkraft, im Bedarfsfall ergänzt durch türkische Panzer und jüdische Bomber ist die syrische Selbstbehaupung unter Wiederblebung des alten Bündnisses mit der Russischen Förderation zumindest überraschend.
es gibt leute ,die lesen gar nicht.
wegen des hohen dechiffrier-aufwandes.
warum sollte man auch nach einer beglückenden stunde
in einer sächsischen land-bäckerei
plötzlich sich mit dem draußen konfrontieren?
dem schnecken-häusler ist alles draußen: eine zumutung.
Zwei Streussel-Schnecken außer Haus und eine Tüte Versalien für draußen. Bitte.
nicht jede bäckerei ist auf fast-food-schlinger eingerichtet
(das könnte ursachen und/oder gründe haben) +
das back-angebot ist manchem zu sperrig.
versalien nur gelegentlich im angebot,
aber auch keine femininen kringel.
rum-kugeln: kosten-frei. :-)
waere es nicht des vor-denkens wert
die vermeintlich bevorstehende humanitaere katastrophe in idlib zu ent-schaerfen
indem die laender der werte-gemeinschaft den auf-staendischen und rebellen politisches asyl anbieten
so-dass nach deren abzug in die freiheit
dem syrischen-regime und der putinschen schutz-macht
die begruendung für ein weiteres abschlachten abhanden kaeme?
Geht's noch? Wollen wir den Kämpfern der Al Nusra, dem syrischen Ableger von Al Kaida, hier in der EU bezahlte Ruhe- und Rückzugsposten schaffen? Ich fasse es nicht.
Wäre es nicht besser, Sie würden Ihre geistigen Fähigkeiten besser vor einem größeren Publikum, z. B. beim Poetry- Slam vortragen? Dort kommt schwarzer Humor besser an.
im vertrauen: auch dort bin ich aktiv.
und ich liebe es, die schlachtfelder/battle fields zu wechseln.
wäre doch inkonsequent, sich die art der waffen
und plätze zum klingen-kreuzen
vorschreiben zu lassen.
odrr?
@ Meine Meinung
Warum die Fassungslosigkeit?
Deutschland hat doch im Rahmen der westlichen Wertegemeinschaft seit 2011 (SWP) die Rebellen, Aufständischen, Assadgegner finanziell, regierungssprachlich und medial immer unterstützt. Und da ist doch inkonsequent und wenig glaubwürdig, jetzt, da diese auf die Verliererstraße geraten, urplötzlich ihren terroristischen Charakter zu erkennen und anzuprangern.