Ganz vorne, zwischen den Zuschauern, hängt ein dürrer Typ (Alexander Scheer) mit feuerroten Haaren auf einem Liegestuhl aus Plexiglas. Sein Morgenmantel ist von ausgesuchter Eleganz, ein brauner Borsalino komplettiert den Look des Dandys. Schwermut und Lebensmüdigkeit liegen in der Luft, als hätte jemand den Aschenbecher nicht ausgeleert. Mit einer Fernbedienung zappt sich der Rothaarige durch TV-Kanäle, die als Splitscreens über eine riesige Leinwand flimmern. Serien in Schwarz-Weiß, Bush und Reagan beim Grinsen und Scherzen; längst vergessene Popsänger und immer wieder auch Fitzelchen deutscher Realität. Ein Warteraum zwischen Himmel und Hölle, ausgestattet mit einer Bar voller Gin.
Dann setzt eine Glamrockband ein, und der Dandy beginnt zu singen: „Look up here, I’m in heaven, I’ve got scars that can’t be seen.“ Die Zeilen stammen aus Bowies Song Lazarus, der kurz vor seinem Tod auf dem Album Blackstar erschien. Sofort vergessen ist Scheers Rolle als DDR-Liedermacher Gundermann, dessen Leben und Werk er sich für den gleichnamigen Film so aneignete, dass es schon unheimlich war. Jetzt spielt Scheer David Bowie, als wäre der aus dem Totenreich zurückgekehrt.
Erschöpfte Astronauten
Lazarus heißt auch das Musical, das David Bowie und der irische Dramatiker Enda Walsh noch unmittelbar vor Bowies Tod schrieben. Im Prinzip ist das mit vielen alten und ein paar neuen Bowie-Songs unterlegte Stück die Fortsetzung von Nicholas Roegs Film Der Mann, der vom Himmel fiel. 1976 spielte Bowie darin die Titelrolle des Thomas Jerome Newton, eines Außerirdischen, der auf die Erde kommt, um seinen Heimatplaneten vor einer Ökokatastrophe zu retten. Androgyn, blass und kokainsüchtig, noch dazu mit stilbildender Prä-New-Wave-Frisur, gab Bowie damals einen perfekten Alien ab. Einen, der sich in seinem menschlichen Körper ebenso wenig zu Hause fühlt wie die pubertierenden Fans von Ziggy Stardust. Die Rückkehr ins All bleibt Newton am Ende des Films verstellt, und während alle um ihn herum altern und sterben, leidet der Mann, der vom Himmel fiel, an seiner ewigen Jugend, die er depressiv in Gin ersäuft.
Nach Aufführungen in New York und London und einer weniger beachteten Deutschland-Premiere in Düsseldorf ist Lazarus nun in der Musicalstadt Hamburg angekommen. Am Deutschen Schauspielhaus, bei einem Regisseur wie Falk Richter, der für seine Jelinek-Inszenierung Am Königsweg gerade erst zum „Regisseur des Jahres 2018“ gekürt wurde, fühlt man sich vor allzu plumpem Musiktheater aber einigermaßen sicher. Zu Recht? Als sich nach der Eingangssequenz die Leinwand hebt, wird auf der Bühne ein Affenfelsen sichtbar, so wie man ihn aus Freigehegen im Zoo kennt. Darauf allerlei Kram, seltsame Bäume, Treppen, Monitore, Figuren; auf dem Affenfelsen klettern die Schauspieler wild herum. Manchmal geht es zu wie in der Rocky Horror Picture Show. Da stürmen Pussy Riot über die Bühne (im „Fuck Söder“-T-Shirt), oder man erkennt Jackie Kennedy in einem verunglückten Autoscooter am Rande der sich doch zu oft drehenden Drehbühne (während die Band Always Crashing in the Same Car spielt). Es gibt grell geschminkte Kabuki-Figuren, erschöpfte Astronauten wanken durchs Bild. Lauter Figuren aus dem Kosmos des „Starmans“ David Bowie.
Natürlich gibt es in Lazarus auch eine Handlung. Newton sitzt halt immer noch Gin trinkend und cool das dafür nötige Eis hackend in seinem Apartment und träumt von seiner Rückkehr ins All. Wichtiger sind aber scheinbar die Träume und inneren Konflikte, die auf Nebenfiguren ausgelagert werden. Das soll für mehr Action und Handlung sorgen, es wirkt aber oft ein wenig wirr. Ein engelhaftes Mädchen ohne Namen im Glitzerlook (Gala Othero Winter) verkörpert die Hoffnung, der ganz in Latex gekleidete Marilyn-Manson-meets-the-Devil-Verschnitt Valentine (Tilman Strauß) steht für Bowies zerstörerische Seite. Sehr gelungen und grandios verkörpert von Julia Wieninger ist die Rolle der Assistentin Elly, die sich im Verlauf der Handlung immer mehr in Mary-Lou verwandelt, Newtons stets hilfreiche Lebensgefährtin aus Der Mann, der vom Himmel fiel.
Die Leistungen der Schauspieler, auch die gesanglichen, sind überhaupt sehr beeindruckend, die Band, zu der Bernadette La Hengst, Alain Croubalian und Yorck Dippe gehören, ist superb. Leider sind die Dialoge oft nicht mehr als Stichworte zwischen der Musik und selten so auf den Punkt wie die launig treffende Bemerkung: „Sie haben eine Rakete gebaut, so wie das reiche Leute eben machen.“
Es sind die wirklich tollen Songs, die Lazarus tragen, ein paar schöne Drag-Choreografien und der überragende Alexander Scheer. Die Auseinandersetzung mit dem Tod, die Bowie und Walsh mit Lazarus angeblich suchten, bleibt auf eine Behauptung von Newton reduziert: „Ich bin ein Sterbender, der nicht sterben kann.“ Etwas mehr Tiefgang und weniger Musical hätten Falk Richters Lazarus gutgetan, als Unterhaltungsstück funktioniert es jedoch prächtig. Am Ende fällt ein Blackstar vom Himmel und alle singen Heroes.
Info
Lazarus Falk Richter (Regie), Deutsches Schauspielhaus Hamburg, nächster Termin: 1. 12.
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