Sozialist am Bau

Stadtentwicklung Zum 90. Geburtstag des streitbaren deutschen Intellektuellen und Architekten Bruno Flierl
Ausgabe 05/2017
Rieb sich schon früh an den Verhältnissen: Bruno Flierl
Rieb sich schon früh an den Verhältnissen: Bruno Flierl

Foto: Rolf Zöllner/Imago

Drei deutsche Gesellschaftssysteme hat er erlebt. Das erste hat ihn als Soldat in den Weltkrieg geschickt. 1947 ging Bruno Flierl nach Gefangenschaft in Frankreich nach Berlin, zunächst in den Westteil. Hier fielen zwei Grundsatzentscheidungen seines Lebens. Er nahm das Studium der Architektur auf und entschied sich, in den Ostteil zu ziehen, um eine neue Gesellschaft zu bauen. Sein politisches Engagement verbindet er seither mit seinem Beruf. „Architekturkritiker“, wie er oft genannt wird, erfasst ihn nicht ganz. Er ist genauso ein Gesellschaftskritiker. Die Konflikte, mit denen dieser streitbare deutsche Intellektuelle konfrontiert wurde, auch die, die er bewusst suchte, geben Aufschluss über die deutsche Geschichte seit 1945.

Früh schon rieb Flierl sich an den Verhältnissen – Verhältnisse, die er teilweise mitgestalten konnte. 1952 ging er an die Deutsche Bauakademie, das zentrale Institut für Bauwesen der DDR, als Wissenschaftler für Theorie und Geschichte. Das Bauen im Sinne nationaler Traditionen lehnte er ab, doch kritisierte er Mitte der 1950er Jahre auch die Hinwendung der DDR zum industriellen Bauen als ökonomistisch und technizistisch. Diese Züge hat er bis zum Untergang der ostdeutschen Republik als Sozialist bekämpft – in einem spannungsreichen, oft schmerzhaften Doppelverhältnis als Architekt und Marxist, der der Partei die sozialistische Perspektive vorhielt. Keine Fürstenaufklärung sei zu betreiben, sondern eine demokratische Öffentlichkeit zu schaffen. Seine Kritik ließ eine andere Stadt, eine andere Baukultur möglich erscheinen. So konnte er zu einer Leitfigur der Reformdebatte über Städtebau werden, die innerhalb des Fachs entbrannte.

Flierls Promotion an der Berliner Humboldt-Universität, mit „summa cum laude“ ausgezeichnet, wäre wegen ihrer kritischen Haltung nachträglich beinahe annulliert worden. Nach seiner Habilitation Ende der 1970er (Zur sozialistischen Architekturentwicklung in der DDR) galt er als sicherer Kandidat für eine Professur „Theorie der Architektur und Stadtentwicklung“. Doch er hat nicht taktisch stillgehalten, sondern weiterhin offen die Stadtentwicklungspolitik seines Staats kritisiert. Die Folgen: Professur weg, Veröffentlichungsverbot. 1982: ein Schlaganfall.

Seine Memoiren tragen den Titel Selbstbehauptung (2015), und Flierl erklärt darin das Scheitern der DDR aus ihr selbst heraus: Es habe sich um eine Diktatur der Partei gehandelt, das System sei nicht so sehr an der Abhängigkeit von der UdSSR gescheitert, eher an der Unfähigkeit der SED. Wohl auch an der Unfähigkeit der Partei- und Staatsführung, liegt es nahe, zu denken, die es nicht vermochten, das Potenzial kritischer Sozialisten wie Flierl zu nutzen.

Nach der deutschen Vereinigung wurden Kronzeugen für die Malaisen des gescheiterten Sozialismus schnell integriert. Flierl hat sich dagegengestellt, als im Rausch des kapitalistischen Stadtumbaus das breite Wohnangebot in der Innenstadt für die Normalbevölkerung unterminiert wurde. Beharrlich suchte er die bundesrepublikanische Gesellschaft dafür zu gewinnen, den Städtebau und die Architektur der Ostmoderne als Kulturerbe anzuerkennen. Die Zeiten ändern sich, derzeit wohl besonders schnell. Der 90. Geburtstag Bruno Flierls an diesem Donnerstag (2. 2.) wirft die Frage auf: Welche Charaktere fördern unsere heutigen Bedingungen intellektueller Produktion?

Max Welch Guerra lehrt Urbanistik an der Bauhaus-Universität Weimar und hält die Festrede auf Bruno Flierl an der Akademie der Künste in Berlin

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