„Ich rede extra leise"

Deutscher Alltag Lena Gorelik lebt als Jüdin in München. Ganz normal? Fast. Manchmal muss sie sich noch gegen Schubladendenken wehren

ie wollen lieber als Hundebesitzerin denn als Jüdin wahr genommen werden. Warum schreiben Sie dann in Ihrem Buch „Lieber Mischa“ nicht über Ihren Hund, sondern Ihr Jüdischsein?

Lena Gorelik: Weil ich häufig gefragt werde, wie das für mich ist, heute als Jüdin in Deutschland zu leben. Also habe ich mich mit dieser Frage beschäftigt und wollte sie klären – für mich, für meinen Sohn und die anderen.

Sind Sie, wie manche Zeitungen schreiben, ein Beispiel des „neuen Judentums“ in Deutschland?

Das ist eine seltsame Schublade. Woher weiß ich denn, ob andere junge Juden so denken wie ich? Womöglich finden die mein Buch blödsinnig. Bei einer Lesung frage ich die Zuhörer ja nicht: Wer von euch ist Jude, wem hat es gefallen?

Sie haben mit sieben Jahren eine Spielkameradin als Jüdin beschimpft, da erklärte Ihre Mutter Ihnen, dass Sie selber eine sind. Wann spüren Sie das Jüdischsein im Alltag?

Ich esse nicht koscher, laufe auch nicht mit einem Davidstern herum oder rufe: „Guten Tag, mein Name ist Lena Gorelik, ich bin Jüdin‘.‘ Aber manchmal werde ich nach einer Lesung, die gar nichts mit dem Judentum zu tun hat, gefragt: Lassen Sie Ihr Kind beschneiden? Dann schrecke ich kurz zurück. Einmal saß ich mit einer Kommilitonin im Café. Wir redeten über eine gemeinsame Bekannte. Sie fragte, woher ich die kenne: „Aus einer jüdischen Studentengruppe“, antwortete ich. Und sie fragte: „Ich wollte dich lange mal fragen, wie groß eigentlich der Einfluss der Juden auf die deutsche Wirtschaft ist.“ Ich dachte: Was passiert hier?

Und wehrten sich?

Ich fing an, die Juden zu verteidigen, ihr zu erklären, warum dies und jenes gar nicht sein könne. Später habe ich mich darüber geärgert. Sie war so unreflektiert.

Gibt es noch andere Momente, in denen Sie sich als Jüdin fühlen?

Mein Mann und ich haben uns nicht in einem jüdischen Kontext kennen gelernt, aber er versteht meinen Hintergrund, weil er selber Jude ist. Das ist schön, dass wir über dieselben Dinge lachen können. Wenn ich denke, die Welt geht unter, brauche ich ihn nur anschauen. Dann geht es mir besser.

Erst auf Platz drei Ihrer „Liste der zehn coolsten Juden der Welt“ steht Woody Allen.

Vor ihm stehen nur noch unser Gott und Bob Dylan. Ich liebe Woody Allens Humor. Er sieht die dramatischen Dinge, die passieren, mit so einem Zwinkern. Seine Filme sind kein Slapstick, keine Komödien, es werden darin auch keine Witze gerissen. Sie sind eine Lebenshaltung.

Die teilen Sie.

Ja, ich habe das anerzogen bekommen, das Schwere leicht zu nehmen und in heiklen Situationen erstmal zu lachen statt zu weinen.

Erinnern Sie sich an eine Situation?

Mein erster Liebeskummer: Ich dachte die Welt geht unter. Damit hat mein Vater mich aufgezogen, anstatt zu sagen: „Ach, du Arme.“ Ich hockte vor dem Telefon und mein Vater ist im Flur auf und ab gelaufen. Wenn meine Mutter oder mein Bruder gefragt haben, was los ist, antwortete er: „Wir warten auf einen Anruf, vielleicht meldet er sich.“ Da musste ich mitlachen.

Ist jüdischer Humor tabuloser?

Man lacht einfach über sich selber, über die eigenen Schwächen und über Klischees. Es geht nicht darum, zu provozieren, sondern im Unglück das Komische zu sehen. Dabei kann auch ein Tabubruch entstehen, aber er ist nicht gewollt.

Bei Henryk M. Broder schon. Bei jüdischem Humor denken viele heute zuerst an ihn. Was halten Sie von ihm?

Er kann großartig schreiben, aber mir geht er oft zu weit. Wenn er am Buffet sagt: „Lassen Sie mich durch, meine Mutter war in Auschwitz“, dann ist das provokant, aber ich kann darüber nicht lachen.

Schämen Sie sich fremd?

Nein, ich schäme mich ja auch nicht für alle Deutschen oder Russen. Weder für das, was Charlotte Knobloch tut, noch für Angela Merkel oder Westerwelle.

Entsteht Humor aus der Not?

Mein Liebeskummer war für mich eine subjektive. Aber es gibt natürlich objektive Notsituationen wie den Holocaust. Selbst in den Waggons, die die Leute nach Auschwitz brachten, wurden Witze gerissen: die Situation wird eigentlich noch viel trauriger, weil man eben noch darüber gelacht hat. Es ist so ein: ‚trotzdem lachen‘.

Nervt es Sie eigentlich, wenn Sie auf Israel angesprochen werden?

Ich könnte ein bisschen erzählen von dem Land, ich kenne es gut. Aber oft sagen die Leute nur: „Du bist Jüdin, Du hast bestimmt eine Meinung zu dem Konflikt.“ Und meist glauben sie, die auch schon zu kennen: „Du bist bestimmt gegen die armen Palästinenser.“ Während des Libanonkriegs wurde ich gefragt: „Wie rechtfertigen Sie das, was die Israelis tun?“ Wieso ich? Ich rechtfertige es doch überhaupt nicht.

Aber es beschäftigt Sie.

Ja, wenn auch nicht auf einer emotionalen Ebene. Wenn ich Zeitung lese, dann lese ich zuerst etwas über Israel. Ich habe da gelebt, aber es ist nicht meine Heimat. Ich kann das Land mit Abstand sehen.

Sie stammen aus St. Petersburg. 1992 kamen Sie nach Deutschland. Wie wurden Sie hier heimisch?

Das hatte viel mit der Sprache zu tun. Und als ich dann Klamotten trug, die alle nur in Deutschland gekauft waren: Jeans, Pulli, Schuhe, Socken, da hatte ich das Gefühl: Jetzt bin ich deutsch. Als Kind hält man sich ja an sehr konkreten Dingen fest.

Wie haben Sie die Sarrazin- Debatte erlebt?

Ich habe mehr als 100 Seiten Kommentare und 300 Rezensionen gelesen. So viel Zustimmung! Danach habe ich mein Verhalten im Alltag verändert. Wenn ich auf Russisch mit dem Handy telefoniere, rede ich extra leise – weil ich das Gefühl habe: das gehört sich nicht. Ich empfinde so eine andere, aggressivere Stimmung seitdem.

Sie spazieren gern mit Ihrem Hund im Englischen Garten. Ziemlich bürgerlich.

Das höre ich nicht so gerne, aber es stimmt wohl ein wenig. Ich mag an München unter anderem den Englischen Garten, er gibt mir so eine Ruhe. „Das passt schon“, wie man in Bayern sagt.

Lena Gorelik ist in St. Petersburg geboren und kam 1992 nach Deutschland. Die 30-Jährige lebt mit Mann, Kind und Hund in München. Im Graf Verlag ist kürzlich ihr Buch Lieber Mischa erschienen

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