Alles nur Kulisse

Umnutzung In Haus 18 feierten Stasi-Mitarbeiter ihre Feste, Erich Mielke dinierte mit Gästen aus aller Welt. Heute finden hier Modemessen statt

Das hier war Erich Mielkes Revier. Auf dem Weg zu Haus 18 läuft man in Berlin-Lichtenberg an einem Imbiss vorbei, der mit einer Deutschlandfahne beflaggt ist. An einem Yoga-Center, der Stasi-Unterlagenbehörde, einem Finanzamt, dem Stasi-Museum, einem Ärztehaus und Büros der Deutschen Bahn. Etwas verlassen steht Haus 18 da, ein Betonklotz, an der abgenutzten Eingangstür verbleicht ein Graffiti. Nur der weiße Briefkasten ist neu: Bright Trade steht auf einem Schild, das hier, an diesem Ort, seltsam deplatziert wirkt.

Marco Aslim, einer der Gründer der Bright, einer Skate- und Sportswear-Messe, führt durch leere Flure und Räume in sein temporäres Büro im zweiten Stock. Hier hatte Erich Mielke, der Chef des Ministeriums für Staatssicherheit, eines seiner Büros. Nun blinken Apple-Laptops auf vornehmen DDR-Holztischen. Die braune Auslegware ist noch dieselbe. Mielke dinierte hier, empfing Gäste und feierte. Haus 18 mit seinen drei Etagen war das „Dienstleistungs- und Versorgungsgebäude“ für die Stasi-Mitarbeiter, eines von 40 Gebäuden auf dem 22 Hektar großen Areal.

Eine Stasi-Miniaturwelt

Der weitläufige Spiegelsaal diente als Kantine, im Keller befanden sich Großküchen, Kühl- und Lagerräume, ein Weinkeller. Man sieht noch alte Schilder, die den Weg zu Konferenzräumen weisen. Im „Multifunktionssaal“ mit den vergoldeten Fensterscheiben wurden Geburtstagspartys, Bälle und Empfänge gegeben. Mit dem Fahrstuhl ging es in den zweiten Stock, dort flanierten die Stasi-Angestellten durch ihre hauseigene Laden-Passage, mit Friseur, Kaufhalle, einer Bank, einem Reisebüro und dem Fanshop des Stasi-Fußball-Clubs BFC Dynamo. Wer im MfS gearbeitet hat, der lebte auch in der Nähe. Das hier war nicht nur ein Gebäudekomplex, es war eine gesamte Stasi-Miniaturwelt.

Seit Anfang der 50er Jahre hatte die Stasi nach und nach sämtliche Wohngebäude um die Frankfurter Allee, Rusche-, Magdalenen- und Normannenstraße übernommen und zu Büros umgebaut. Haus 18, dem letzten Neubau des Geländes, mussten Ende der siebziger Jahre drei von Bruno Taut während der Weimarer Republik errichtete Wohnhäuser an der Normannenstraße weichen, ebenso eine neuapostolische Kirche. Sie wurde einfach gesprengt.

Im Januar 1990 wurde das 22 Hektar große Gelände dann von wütenden DDR-Bürgern gestürmt, die die Stasi-Akten einforderten und die Häuser plünderten. Die wirklich wichtigen Dokumente bekamen sie damals aber nicht zu sehen. MfS-Mitarbeiter hatten die Demonstranten bewusst in den Versorgungstrakt, also auch in Haus 18 geleitet, um die Akten in einem anderen Gebäude in Ruhe zu schreddern. In den neunziger Jahren zogen dann Forschungslabore, Boutiquen und Buchläden in Haus 18 ein. Die Leute aus dem Kiez kauften dort ein, bis ein Einkaufszentrum an der Frankfurter Allee eröffnete.

Nun also Stände für Skateboards. Kritiker finden es geschmacklos, an dem politisch belasteten Ort eine kommerzielle Messe auszurichten. „Es war uns bewusst, dass wir an einem Ort mit historischem Erbe sind, aber es war immerhin kein Kerker“, sagt Marco Aslim mit hessischem Dialekt. Er ist einer der Gründer der Bright Trade, die aus Frankfurt am Main hierher gezogen ist. Im vergangenen Sommer hat er hier eine Ausstellung über die Historie des Gebäudes gezeigt. Nach 1989 sollte eigentlich erst die Berliner Polizei in Haus 18 einziehen, erzählt Aslim amüsiert, aber das war politisch dann doch zu heikel.

"Lichtenberg ist ehrlich"

Er führt in die dritte Etage, in das hauseigene Stasi-Kino mit seinen velourbezogenen Stühlen und der imposanten Leinwand. Hier sollen während der Bright-Messe Videoscreenings und Pressekonferenzen abgehalten werden. 300 Aussteller zeigen vom 20. bis 22. Januar ihre Winter-Produkte, die sie für Streetwear, Sneakers, Fashion und Boardsport in Europa entwickelt haben. Nach dem Debüt mit etwa 13.000 Fachbesuchern im vergangenen Sommer rechnet Aslim wieder mit großem Andrang: „Lichtenberg ist zwar nicht der Nabel der Welt, aber das Viertel lebt wieder ein bisschen auf, seit wir hier sind. Andere werden bestimmt nachziehen.“

Die Bright-Macher möchten den Ort so lange es geht für ihre Zwecke zwischennutzen – so ähnlich wie es Künstler und Theatermacher ab 2004 im Palast der Republik taten, bis dieser abgerissen wurde. Wie es mit dem Areal an der Normannenstraße weitergehen wird, ist aber offen. Die sieben verschiedenen Grundstückseigentümer vertreten unterschiedliche Interessen. Die Deutsche Bahn, die in den 90er Jahren einen großen Teil des Geländes erworben hat, möchte ihre Gebäude – auch Haus 18 – verkaufen. Der Bezirk Lichtenberg hofft, dass der Senat das Gelände und die umliegenden Straßen als Sanierungsgebiet einstuft. Im Moment entwickeln 14 Diplom- und Masterstudenten der Technischen Universität Cottbus Ideen für die Zukunft des Geländes. Sie möchten den historischen Ort unserer Zeit anpassen, ohne die Geschichte zu verwischen. Ein schwieriges Unterfangen.

Die Skateboard-Messe jedenfalls zieht auch Händler aus dem Viertel an, das mit seinen Plattenbauten weitab vom schicken Mitte dem Image der Jugendlichen entspricht, die auf den Straßen ihre Street Credibility ausloten. „Lichtenberg ist ehrlich“, sagt Organisator Aslim. Er hofft auf einen neuen Investor, der Sinn hat für verlassene Orte wie diesen, die symbolisieren, dass die Zeiten sich ändern. Nach der Bright-Messe ist Haus 18 wieder ein leeres Gebäude, in dem noch ein Teil DDR-Geschichte sichtbar ist. Warum sollte nicht jemand Neues darin wohnen?

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Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin Kultur

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

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