Appste mal ´n Euro?

Alltagskommentar Ein Supermarkt hat mobiles Zahlen eingeführt und bald kann man vielleicht nur noch per App einkaufen. Das schafft auch Probleme. Was gibt man dann einem Obdachlosen?
Ausgabe 21/2013
Ein Glückscent für den Kunden? Bald soll er abgeschafft werden
Ein Glückscent für den Kunden? Bald soll er abgeschafft werden

Foto: Michel Porro/ AFP/ Getty Images

Die Berliner Verkehrsbetriebe waren Vorreiter. Sie haben eine App in die Welt gebracht, mit der man sich während der Fahrt sein Ticket kaufen kann, wenn man ein Smartphone hat und gerade ohne Bares unterwegs ist. Nun zieht die Supermarktkette Netto nach – der rote Netto, nicht der mit dem Hund. Ab dieser Woche kann man in mehr als 4.000 Filialen des Lebensmittel-Discounters seine Rechnung ebenfalls mit einer Bezahl-App begleichen. Der Kunde erhält, wenn seine Artikel an der Kasse eingescannt wurden, einen Zahlencode aufs Handy geschickt und die Summe wird vom Konto abgebucht. Andere Supermärkte werden dem Beispiel folgen.

Und warum auch nicht? Es klingt so leicht. Kämen da nicht doch ein paar Probleme auf uns zu. Zum Beispiel: Wer viel virtuell zahlt – EC-Karte oder Smartphone –, kann leicht den Überblick verlieren. Die 30 Euro Bares sehe ich vor mir im Portemonnaie, und ein Portemonnaie kann man nicht überziehen. „Wenn die gesagt hätten: Wir nehmen nur Cash, hätte ich die Crème nicht gekauft“, erklärte mir neulich eine Freundin. Virtuell bezahlt falle ihr das leichter. Es muss ja nicht gleich wie bei Uli-„Es-war-alles-nur-noch-Spielgeld“-Hoeneß enden.

Selbst der Bon wird digital

Ich bin dankbar, dass ich, ganz anachronistisch, noch zum Automaten gehen kann. Und jedes Mal ziehe ich nur 20 Euro, um mich im Griff zu haben. Ein Freund bemerkt, er sei da kontrollierter. Er hebt alle drei Wochen 450 Euro ab, gibt sie sehr diszipliniert aus und spart sich mehrfache Wege zum Automaten.

Mir würde mit der Abschaffung des Bargelds aber auch die soziale Interaktion fehlen. Die Frage der Kassiererin: „Ham’se dit nich kleener?“ Man kann sie in ein Gespräch verwickeln; fragen, ob sie schon Pause hatte: „Nee, aber die anderen.“ Klar, ist nur Small Talk, doch es ist zumindest real. Aber selbst der Bon wird jetzt nur noch digital abgespeichert, womit dann die Kassierinnen-Frage entfällt, ob man einen Beleg braucht.

Kann man bald überall nur noch mit der App bezahlen? Was soll ich denn dann einem Obdachlosen geben, der um einen Euro bittet? Oder dem Typen mit der Gitarre, der It‘s all over now heult? Die EU-Kommission überlegt nun schon, die 1- und 2-Cent-Münzen abzuschaffen. Sie seien zu teuer in der Herstellung. Und die meisten Leute stört das ewige Klimpern in der Börse.

Eigentlich braucht man weder Kleingeld noch Kassenbon. Aber eine große Frage bleibt doch: Will man Supermarkt-Treueherzen wirklich digital sammeln?

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Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

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