Bonjour, Cinéma Allemand

Berlinale In der französischen Botschaft munkelt man, das Kinoland sei neidisch auf die hiesige Nachwuchskultur. Hört, hört! Es scheint, als hätte Filmdeutschland aufgeholt
Umschwärmt: Nina Hoss
Umschwärmt: Nina Hoss

Bild: JOHANNES EISELE/AFP/Getty Images

In der kühlen Eingangshalle der Französischen Botschaft in Berlin am Pariser Platz hängt nun das Porträt von François Hollande. Er wirkt darauf staatsmännisch, aber auch ein bisschen tolpatschig. Als sei der Elysée im Hintergrund zu riesig für den kleinen Mann. Es ist der Soirée francaise du cinema, der jährliche Berlinale-Empfang. Präsidenten kommen und gehen, Diplomaten auch. Und jedes Jahr wird hier Champagner serviert. Es gibt Paté, Gratin und Künstler werden zu Commandeur de l'Ordre des Arts et des Lettres geschlagen, zu Kunstrittern. In diesem Jahr sind es Schauspielerin Nina Hoss, der künstlerische Leiter der Schaubühne Thomas Ostermeier und Filmproduzentin Manuela Stehr. Nachdem der neue Botschafter Philippe Etienne wunderbar kurz begrüßt hat, erscheint Fleur Pellerin im roten Minikleid. Die neue, junge Kulturministerin ist die erste asiatischer Herkunft in Frankreich. Sie redet von Voltaire und Kant, von der Aufklärung und Heinrich Heine, und sogar von der Exception Culturelle, der kulturellen Ausnahme Frankreichs, das übliche Pathos das man von ihren Vorgängern kennt. Aber diese Ausnahme sei bedroht, so wie die Künstler auch. Der neue Feind ist das Netz. Man müsse die Urheberrechte schützen, „das ist der Kampf von heute“, erklärt Pellerin energisch, es sind ja Betroffene, die ihr hier zuhören und sie beklatschen. Schauspieler, Regisseure und Produzenten beider Länder.

Aber jetzt ein bisschen mehr Glamour. Nina Hoss. Die Ministerin schwärmt von der Schauspielerin, sie sei das „Gesicht des jungen deutschen Autorenkinos, eine Muse von Regisseuren wie Christian Petzold“, und grandios auch im Theater. Gerade strömten die Franzosen in den neuen Film Phoenix. Nina Hoss wischt sich ein paar Tränen aus den Augen. Das sei „bewegender als man denkt, von einem Land geehrt zu werden, das man selber liebt, dessen Sprache man kennt“, sagt sie. Sie sei mit der französischen Kultur groß geworden, habe mit zwölf Jahren, „die Bürste als Mikro in der Hand“, Juliette Grécos Deshabillez moi interpretiert, „ohne zu wissen was ich da eigentlich singe“. Oder auch Brels Ne me quitte pas. Hoss nennt die Namen ihrer Kinohelden, Regisseure und Schauspieler, „ihr habt ja in Frankreich so viele davon“. Sie spüre in Gesprächen und Debatten immer, wie sehr die Franzosen das Kino schätzten. „Bei euch gehen die Leute morgens um neun ins Kino. Wo gibt' s das schon?“ Nahe bei ihr steht Alfred Grosser, der deutsch-französische Soziologe, ein alter Mann mit wachem Gesicht, in seinem Arm hält er seine Frau, eine aparte alte Dame. Grosser schaut amüsiert, und man möchte wissen, was er Nina Hoss gerade ins Ohr flüstert. Danach wird die Produzentin Manuela Stehr zur Ritterin, sie zittert ein wenig als sie sich bedankt. Und schließlich noch Thomas Ostermeier von der Schaubühne. Er hat an Theatern in Paris und in der Bretagne inszeniert und gehört beim Festival d'Avignon zum Inventar, außerdem ist er Präsident des deutsch-französischen Kulturrates. Ostermeier betreibe ein Theater in der Tradition Brechts, sagt die Kulturministerin, es gehe ihm „um eine Realität, an der man sich reiben soll“. Er freue sich, sagt Ostermeier in fließendem Französisch, den Orden von einer „Sozialistin“ zu erhalten. Meinte er es ein bisschen ironisch? Dann nutzt auch er seinen Moment, um vor der Menace Internet, der digitalen Bedrohung zu warnen. Das Freihandelsabkommen TTIP zwischen Europa und den USA gefährde die Errungenschaften der Kultur, vor allem das Urheberrecht. Künstler seien sowieso schon in einer prekären Lage, allein weil sie sich entscheiden, Künstler zu sein. Aber erstmal einen Champagner. Marian Freistühler steht auch schon in der Lounge, der in der Jury der Perspektive deutsch-französisches Kino sitzt, Schauspielerin Marie Bäumer ist die Präsidentin. Die Franzosen seien ein bisschen neidisch auf die deutsche Nachwuchskultur, sagt er, das ist ihm in den vergangenen Tagen aufgefallen. Und es wundert ihn. Es müsse eigentlich umgekehrt sein – Frankreich sei doch das Kinoland. Filmdeutschland hat aufgeholt.

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Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

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