Man könne ihn in Bamako anrufen, „aber wenn er keine Lust mehr hat, legt Habib einfach auf“, warnt der Agent seiner Plattenfirma. Habib Koité redet dann offen und geduldig über sein Land. Während des Gesprächs greift er ab und an zur Gitarre...
Der Freitag: Monsieur Koité, bekommen Sie den aktuellen Konflikt in Ihrem Leben zu spüren?
Habib Koité: Mir geht es gut. Die Menschen bei uns in der Hauptstadt Bamako leben normal, manches ist ein bisschen schwieriger geworden in den vergangenen Monaten. Es werden viele Läden geschlossen, wie etwa die öffentlichen Telefonkabinen. Es gibt zu viele Menschen, die telefonieren wollen. Wir haben lauter internationale NGOs in der Stadt. Aber unsere Fünf-Sterne-Grand-Hotels haben geschlossen, weil keine Gäste kommen. Man braucht also weniger oder gar kein Personal mehr, wir haben viele Arbeitslose. Doch die Leute gehen weiter auf den Markt, die Frauen kaufen ein und kochen das Essen.
Wie empfinden die Menschen den Militäreinsatz der Franzosen? Gibt es das unterschwellige Gefühl, das sei ein neokolonialistisches Verhalten?
Als die Franzosen gekommen sind, um uns mit Waffen zu helfen, war das ein starker Moment. Die Leute sind spontan auf die Straße gegangen, sie sind solidarisch mit den Franzosen und kaufen die Trikolore. Es wehen überall französische Flaggen, auf den Autos, an den Häusern. Kinder rufen: „Vive la France, vive François Hollande, vive le Mali!“ Das bedeutet, sie heißen diesen Alleingang gut. Wären die Franzosen nicht gekommen, wäre unsere Lage noch viel schrecklicher.
Sie waren bereits 2006 für ein musikalisches Projekt im Norden von Mali. Gemeinsam mit den Tuareg haben Sie „Desert Blues“ gemacht. Die Idee war: Wir sind alle Menschen, wir sind ein Land. Wie sehen Sie das heute?
Es war wunderbar, wir haben mit dem Frauen-Ensemble der Tuareg, Tartit, gesungen. In einem meiner Lieder, „Fatma“, findet ein junger Mann auf der Suche nach seiner Traumfrau diese letztlich im Norden des Landes. Für mich existieren in Mali die Probleme nicht zwischen Norden und Süden, Osten und Westen, dem Zentrum und den Dörfern.
Sie meinen, geografische Spannungen sind nicht das Problem?
Ich meine, man sollte keine Barrieren zwischen verschiedenen Teilen eines Landes errichten. Es sind ja nicht die Menschen im Norden, die revoltieren. Ich kenne so viele Leute dort. Sie sind gut und haben nichts mit den Islamisten am Hut. Sie sind Muslime, ja. Aber sie sind nicht islamistisch. In Mali leben viele Ethnien nebeneinander.
Ungefähr 30 verschiedene...
Ich habe sie nicht gezählt, aber ich weiß: Es gibt keine ethnischen Konflikte bei uns. Aber wenn ich im Ausland bin, höre ich immer: Die Leute im Norden haben alle helle Haut, die Araber oder Tuareg. Das stimmt aber nicht. Fahren Sie mal nach Timbuktu, da sehen Sie lauter Menschen mit weißer oder schwarzer Haut. Und auch in Bamako sieht man in den Straßen gemischte Paare: Frauen mit heller Haut, die mit dunkelhäutigen Funktionären oder Militärs verheiratet sind. Die Menschen haben starke familiäre und freundschaftliche Verbindungen untereinander. Wenn beispielsweise der Großvater einer anderen Ethnie angehörte – mein eigener Opa stammte aus einer Griotte-Familie der Kassonké –, bleiben die Nachfahren mit ihr verbunden.
Sie spüren diesen verschiedenen Wurzeln auch musikalisch nach.
Ja, und daher kennt man mich auch überall im Land. Ich spiele die Musik der Regionen. Ich spiele alles. So wurde ich populär. Die Leute sagen: Komm in unser Dorf, wir sind 500 Einwohner. Spiel unsere Musik! Damit kann ich Grenzen durchbrechen. Ich war ja elf Jahre lang Botschafter des Festival au Désert ...
... ein jährliches Open-Air-Konzert in der Sahara.
Nomadische Tuareg hatten das ins Leben gerufen, und nun treten afrikanische Künstler aus vielen Ländern auf. Wir waren in den vergangenen Jahren in Timbuktu. Und diesen Februar sollte das Festival wieder in Mali stattfinden. Aber wir mussten die Konzerte und die Künstlerkarawanen für Frieden und Würde aus Sicherheitsgründen leider absagen.
Islamisten haben in Nordmali die Musik verboten.
Sie haben auch das Kartenspiel untersagt. Und Mädchen und Jungs dürfen sich nicht mehr treffen, bevor sie verheiratet sind. Im Süden ist das alles noch nicht angekommen. Aber im Norden sind die Leute eingeschlossen, haben keine Rechte mehr. In Mali fühlt sich seit den vergangenen acht Monaten kaum noch ein Musiker oder Sänger motiviert, ein neues Chanson zu schreiben. Unser Kopf ist zu voll, beschäftigt mit den Problemen, mit der Krise. Die Leute sind destabilisiert.
Sie auch ein bisschen?
Ja, aber ich bin sicher, dass das nicht so weitergehen wird. Wir sind die Krone der Zivilisation. Es ist der Kreislauf des Lebens, der uns geschaffen hat. Das kann man nicht einfach zerstören. Man kann den Menschen nicht die Freude und ihre Traditionen nehmen.
Sie sind einer der populärsten Sänger Malis und auch in Europa bekannt – die meisten Ihrer Konzerte geben Sie im Ausland. Sie pendeln zwischen den Welten?
Ich bin ein Künstler, der die Grenzen seines Landes und Afrikas verlassen kann. Wir gehen häufig auf Tourneen, nach Europa oder in die USA. Das hat aber nichts mit dem Konflikt zu tun. Auch in Amerika besuche ich kleine Städte, und die Menschen sind begeistert von der Musik – das ist kaum anders als bei uns.
Sie sagten mal, dass Sie ganz gut organisiert seien.
Ich lebe an verschiedenen Orten. Hier in Mali, in Bamako, habe ich mein Haus, meine Frau, meine Geschwister und meine Freunde. Mein soziales Leben und meine Musik nehmen mich in Beschlag. Jeder kennt mich hier. Aber wenn ich mein Land für ein oder zwei Monate verlasse, auf Tournee gehe, ständig die Stadt wechsle, ohne all diese Menschen um mich herum, dann habe ich Zeit für mich. Die kann ich mir selbst, dem Schreiben und Komponieren widmen.
Was, wenn Sie in Bamako nicht mehr Musiker sein dürften?
Ich kann nichts anderes. Die Musik ist mein Leben. Ich verdiene mit ihr mein Geld und kann meine Familie versorgen. Man würde mir mit der Musik mein Vergnügen rauben und meine Existenz. Ohne die Musik würde ich mein Land verlassen.
Wollen Sie mit der Gitarre auch die Welt verändern?
Natürlich! Ich habe als Botschafter der UNICEF in Mali einen engen Zugang zu jungen Menschen, auch sehr kleinen Kindern. Ich mache seit 20 Jahren Musik mit Zwei- oder Dreijährigen. Die Kinder lernen zu verstehen, wie Musik funktioniert, wie man ein Instrument spielt, und sie mögen das. Sie sind sehr aufmerksam. Musik kann ihnen auch in schwierigen Situationen helfen.
In welchen zum Beispiel?
Wenn sie beispielsweise kein richtiges Trinkwasser haben oder Probleme mit der Gesundheit. Dann spielen wir trotzdem ein bisschen. Das sind kleine Rituale. Bei euch in Europa sind ja alle Straßen gepflastert. Wir haben nur die Erde, und die ist staubig. Aber die Kinder amüsieren sich. Sie kicken oder singen, wenn sie aus der Schule kommen. Ich bringe ihnen auch bei, dass sie sich hinterher die Hände mit Seife waschen müssen.
Musik macht das Leben ein bisschen leichter?
Europäer denken bei Mali zuerst an Armut, die Subsahara, an Trockenheit, Hunger und Krankheiten. In den Zeitungen steht: Malis Bevölkerung lebt in der Misere. Das stimmt einerseits: Unsere Landwirtschaft ist unterentwickelt, wir bringen wenig Ernte ein und können die Wolken nicht so manipulieren, dass es regnet. Unsere Bauern sind schlecht ernährt. Sie verkaufen nichts, sondern müssen erstmal ihre Familie versorgen.
Was ist die andere Seite?
Es gibt dieses Dumping-Problem. Ich habe mit Oxfam, einer Organisation, die sich für fairen Handel einsetzt, über dieses Preisdrücken der Amerikaner gesprochen. Wir haben wenig Möglichkeiten, unsere Bauern zu subventionieren. Selbst wenn sie sehr hochwertige Produkte produzieren, wie zum Beispiel Baumwolle, werden die Menschen sie dort kaufen, wo sie billiger ist. Die Baumwolle aus Mali gehört zu den besten – aber sie ist zu teuer.
Die Logik des globalen Marktes.
Vor ein paar Jahren sind einige US-amerikanische Landwirte zu uns nach Mali gekommen, um sich ein Bild davon zu machen, wie wir Landwirtschaft betreiben. Unsere Bauern sind materiell und intellektuell-wissenschaftlich auf niedrigem Niveau. Sie haben keine Maschinen, kein Material und brauchen vor allem Wasser. Das ist unser größtes Problem. Und wir haben zu wenig fähige Leute, wir brauchen eine bessere Ausbildung.
Wie könnte man das lösen?
Die einzige Lösung besteht darin, dass die Subventionen der reichen Länder gesenkt werden, oder dass man sie mit den armen Ländern teilt. Dann könnte jeder zum gleichen Preis verkaufen. Aber das setzt die Großzügigkeit derer voraus, die sich Subventionen leisten können.
Sie klingen fast wie ein Minister.
Oh, nein ...!
Monsieur Koité, Sie sind mit 17 Geschwistern aufgewachsen. Sind die auch so musikalisch?
Ja, aber ich bin der Einzige, der mit Musik sein Geld verdient. Wir haben alle Berufe in der Familie: Polizist, Architekt, Schornsteinfeger. Manche führen ein Modegeschäft oder einen Friseursalon. Wir sind eine große Familie mit vielen Kindern: Jeder hat ungefähr vier.
In einem malischen Chanson heißt es: „Du hast ein Mofa, aber Deine Frau will ein Auto!“
Den kenne ich nicht.
Wie würden Sie das Verhältnis von Männern und Frauen in Mali heute beschreiben?
Wir sind eine traditionelle Rollenverteilung zwischen Mann und Frau gewohnt. Wenn die Frau verheiratet ist, muss sie sich ihrem Mann unterordnen, ihm folgen, wohin er auch geht. Man sagt, sie ist ihm verpflichtet. So lautet das Gesetz der Ehe. Der Mann ist der Stärkere, er hat die Macht, ist der Chef der Familie. So haben wir es von unseren Vätern geerbt. Und es steckt noch in unseren Köpfen.
Das Patriarchat?
Ja, so ist das Zivilgesetz. Es gibt auch noch soziale Gesetze in der malischen Gesellschaft: Der Mann kann mehrere Frauen haben. Die Rolle der Frau ist auf Kinderkriegen und den Haushalt beschränkt.
Aber die Frauen entwickeln sich.
Ja, der Einfluss des französischen Bildungssystems und westlicher Werte hat es befördert, dass sie lernen, studieren und sich weiterbilden. Wir haben jetzt weibliche Ingenieure, Ministerinnen, Unternehmerinnen und PR-Frauen. Manche von ihnen gehen weg, nach Amerika oder Deutschland.
Kommen Sie irgendwann wieder?
Selten. Sie haben eine europäische Bildung und verhalten sich anders als Frauen, die nie an einer Schule waren. Oder die einen Abschluss haben, aber hinterher aufgehört haben, zu arbeiten.
Und was hat Ihre Frau für einen Beruf?
Sie ist Sekretärin im nationalen Institut für soziale Sicherheit. Sie kümmert sich darum, dass die Unternehmen ihre Sozialabgaben zahlen.
Der Schriftsteller Max Frisch hielt die Krise für einen produktiven Zustand. Hat denn der Konflikt in Mali auch etwas Gutes?
Ich bin mir sicher, dass diese Krise für alle Malier die größte Lektion sein wird – und auch die beste Lektion. Danach können wir uns in die richtige Richtung entwickeln. Mali wird es hinterher besser gehen. Wir haben ein Sprichwort: Wir alle haben einen Hintern und setzen uns drauf. An dem Tag, an dem eine kleine Ameise in eine Seite deines Hintern piekt, wirst du dir bewusst, dass du einen hast. Und jedes Mal wenn du dich setzen möchtest, denkst du an die Ameise.
Was bedeutet das für Ihr Land?
Wir werden uns nach dieser Krise daran erinnern, dass unser Land ein wunderbares ist. Wir werden es schützen, und wir werden danach noch freundlicher zu Ausländern sein. Wir brauchen eine gute Regierung und Politiker, die im Interesse des Landes und nicht für ihre persönlichen Interessen handeln. Die Demokratie muss wiederkehren. Mali verdient es, in Frieden zu leben. Beten Sie für uns!
Habib Koité wurde 1958 im Senegal geboren. Sein Vater arbeitete bei der Eisenbahn. Ein Jahr später zog die Familie nach Mali um. Für Habib Koité und seine 17 Geschwister war der Umgang mit Musik ganz natürlich: Sein Großvater soll die Donso Ngoni, eine traditionell von Jägern gespielte „Buschharfe“, grandios beherrscht haben.
Koité begleitete als Kind seine Mutter, eine Sängerin, häufig auf der Gitarre und studierte später am Institut National des Arts (INA) in Bamako. Dort war er ein paar Jahre als Gitarrenlehrer tätig. Koité gründete 1988 die Band Bamada, trat in Clubs auf und gibt mittlerweile weltweit Konzerte.
Anfang der Neunziger wurde er in Frankreich und Westafrika populär, gewann Preise und hatte mit seinen Alben großen Erfolg in der Weltmusikszene, auch in den USA. Seine Songs handeln unter anderem von Leuten, die nach Europa kommen und dann enttäuscht sind. Koité gilt als virtuoser Gitarrenspieler: Blues, Jazz, Reggae, Flamenco, Rock, Klassik – er integriert verschiedene Stile und will vom Aussterben bedrohte malische Traditionen bewahren.
Musik dient in Mali auch als Mittler zwischen verschiedenen Ethnien. 2006 ist Koité mit Tuareg-Chören aus dem Norden aufgetreten – im Film Jusqu’à Tombouctou (Desert Blues) wird das Projekt dokumentiert.
Koité leitete viele Jahre das Festival au Désert, ein Open-Air-Spektakel in der malischen Sahara, das dieses Jahr ins Exil verlegt werden soll. Seit im Norden Musik verboten wurde, sind viele malische Musiker in die Hauptstadt Bamako geflüchtet und können nicht auftreten. Koité ist zudem auch Unicef-Botschafter Malis und setzt sich etwa für bessere Hygiene bei Kindern ein. Im Februar und März 2013 wird er durch Europa und die USA touren. Koité lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Bamako. ML
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