Chefsache?

Büroleben Mein Schreibtisch, mein Revier - so könnte man es sehen. Doch oft verlangt der Boss von seinen Angestellten, dass sie ihr Büro aufräumen. Sie können das aber verweigern

„Shit!“, dachte ich, als ich heut früh auf meinen Schreibtisch sah. Genau genommen sah ich gar nichts mehr, die Tastatur war verschwunden, unter lauter Papieren, dem Recherchematerial der vergangenen Wochen, dabei waren sämtliche Artikel längst geschrieben. Auf der irgendwann mal leicht einsehbaren Liste mit den Telefonnummern der Kollegen stapelten sich aufgeschlagene Bücher, mit eingeknickten Seiten, und zwischen ihnen verschiedene Stichwortzettel. Die Reinigungstücher für die Tastatur befanden sich zwischen Lampe und Telefon, neben den Taschentüchern, irgendwo musste noch mein Wohnungsschlüssel verkramt sein, wahrscheinlich zwischen den Espresso-Kapseln.

Wenn das mein Chef sehen würde.

Quel bordel, würde er ausrufen, zumindest wenn er ein Franzose wäre: Was für ein Chaos! 'Räumen Sie auf!', könnte er verlangen. Aber darf er das? Diese Frage debattieren in Frankreich gerade Angestellte kleinerer und größerer Firmen. Denn sie werden öfter damit konfrontiert, dass dort der patron sein Auge auf die Mitarbeiter-Schreibtische wirft und schlechte Laune kriegt.

Patricia, eine 40-Jährige Rechtsgehilfin, klagt, ihr Boss, sei eine personne bordelique, ein Chaot, der fordert, sie solle die Dokumente ordnen, die „seit Jahren“ auf ihrem Schreibtisch herumliegen. „Ich wusste nicht, ob ich das Recht hatte, zu verweigern“, in der Order sieht sie auch eine persönliche Attacke: „Er wollte mich während seiner Ferien beschäftigen – nach dem Motto: Ich bezahle sie doch nicht fürs Rumsitzen. Und wenn man das Gehalt braucht, akzeptiert man eben viele Dinge.“ Ein Dilemma.

Sag Nein!

Für Frédéric Richert, Anwalt aus Montpellier, der sich in Arbeitsrecht spezialisiert hat, müsste sie das nicht: „Dossiers klassieren ja, Krempel aufräumen nein. Das ist eine illoyale Vollstreckung des Arbeitsvertrages und als Aufgabe ein bisschen übertrieben“.

Die Verkäuferin eines Büromöbel-Vertreibers berichtet auf Droit-Finances.net, ihr Patron erwarte, dass sie sich "für die Gemeinschaft anstrengt", nicht nur den Schreibtisch aufräumt, sondern auch staubsaugt und Papierkörbe leert. Ihr Vertrag sieht aber nichts dergleichen vor, sie brauche also keine Sanktionen fürchten, wenn sie NON sagt.

Auch in Deutschland beklagte eine junge Angestellte, ihr Chef habe von ihr verlangt, darauf zu achten, dass ihrer und die Schreibtische ihrer Kollegen ordentlich seien. Sie hätte das Putzen aber ablehnen können, erklärte vor ein paar Jahren der deutsche Rechtsanwalt Ulf Weigert im Stern. Im Zweifel solle man bis vor die Rechtsanwaltskammer gehen.

Der Zustand des Mitarbeiter-Schreibtischs beeinflusst auch das Bild, das sich Chefs von ihren Mitarbeitern machen.

Studien in Großbritannien ergaben, dass Manager solche bevorzugen, die ordentlich sind, die seien zuverlässiger und effektiver. Manche Führungskräfte würden Entscheidungen über die Karriere ihrer Angestellten auch anhand der Schreibtische treffen, schreibt Psychologie Heute.
Man könnt es also mit den "10 Karriere-Geboten" der Bild-Zeitung halten: In Gebot 5 heißt es: "Aufgeräumte Arbeitsplätze erleichtern effektives Arbeiten und signalisieren dem Betrachter, dass man alles im Griff hat. Befinden sich immer viele Papiere und Akten auf Ihrem Tisch, sollten sie wenigstens übersichtlich angeordnet sein."

Für Philippe Mahieu de Warelles aus La Rochelle ist die Frage, ob man in einem cleanen Universum, einer sauberen, sympathischen Umgebung arbeiten möchte, eher eine der Erziehung als des Arbeitsrechtes. Man könnte ja von sich aus aufräumen, ohne dass der Boss es einfordern muss.

Meiner ist zum Glück gerade krank.

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