Sie war eine Hauptdarstellerin der friedlichen Revolution im Herbst 1989, die populärste Figur des Neuen Forums, für manche war sie eine ostdeutsche Jeanne d’Arc.
Als wir uns in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg in Berlin trafen, da waren diese Herbsttage lange her, fast zwanzig Jahre. Eine kleine Frau mit Seidentuch auf dem Kopf öffnete die Tür. „Möchten Sie Tee?“, fragte sie leise. Ihr Wohnzimmer war aufgeräumt, im Bücherregal reihten sich alte DDR-Romane aneinander. An einer Wand hing eines ihrer Bilder, ein abstraktes Gemälde in düsteren Farben. Seit 1989 habe sie nichts mehr gemalt, erzählte sie, „keine Zeit“. Sie redete dann von diesem „wunderbaren Hochgefühl, das wir 1989 hatten, dieses herrliche große Wir-Gefühl. Meine Wohnung sah nicht so ordentlich aus wie jetzt, sondern total chaotisch. Fremde klingelten an der Tür und sagten: Wir wollen mitmachen. Es war die schönste Zeit meines Lebens.“
Jetzt, 30 Jahre später, werden wieder all die Träume und Utopien hervorgekramt, all das, was verloren ging auf halber Strecke. Bärbel Bohley hatte vieles angestoßen. Mitte der 1990er hat sie Deutschland den Rücken gekehrt. Es war nicht mehr ihr Land. Ihre Küche war im Sommer ’89 Zentrum der Revolution, da wurde getrunken, gefeiert, diskutiert. Westjournalisten gaben sich bei ihr die Klinke in die Hand, stilisierten sie zur „Mutter der Revolution“. Sie habe nur getan, was sie wollte und konnte, sagte sie. Nur keine Heldenrolle.
Ihr Sohn Anselm schaute herein, als wir Tee tranken, er wohnte über ihr, du darfst auf keinen Fall rauchen, erinnerte er seine Mutter. Als er weg war, steckte sie sich eine an.
Bärbel Bohley wurde in Berlins Ruinen groß, ihr Vater war Konstrukteur mit dieser Haltung: Geh nie in eine Partei! Mit elf Jahren las sie Ditte Menschenkind von Anderson Nexø, den Roman über eine Frau, die sich für ihre Umwelt aufreibt. Nach dem Abi schloss sie eine Ausbildung als Industriekauffrau ab, widmete sich aber der Kultur. Bohley studierte an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, war da schon eigenwillig. Sie konnte mitreißen, regte viele auf. Als freischaffende Malerin in Ostberlin wurde sie in den Verband Bildender Künstler aufgenommen, bekam erste Ausstellungen. Sie war nicht nur Malerin. Setzte sich für Bürger- und Menschenrechte in der DDR ein, gründete mit Ulrike Poppe das unabhängige Netzwerk „Frauen für den Frieden“, kämpfte dafür, dass Frauen nicht zum Wehrdienst müssen. Mit Petra Kelly, Gründungsmitglied der Grünen, verband sie eine besondere Freundschaft.
1983 wurde Bärbel Bohley zum ersten Mal festgenommen, nach internationalen Protesten aber entlassen. Sie durfte ihre Kunstwerke nicht mehr öffentlich ausstellen, gründete 1986 mit anderen die „Initiative Frieden und Menschenrechte“, auf die westliche Medien aufmerksam wurden. Nach einer Protestaktion bei der Rosa-Luxemburg- und-Karl-Liebknecht-Demo 1988 wurde Bohley nach England abgeschoben. Ein halbes Jahr später war sie wieder in Ostberlin, sie konnte nicht ohne Heimat leben, ihr Viertel, ihre Szene, die Künstler am Prenzlauer Berg – sie brauchte das. Im Sommer 1989 gehört Bohley zu den Mitbegründern des Neuen Forums, sitzt bis Ende 1990 in der Stadtverordnetenversammlung, träumt von einer langsamen Annäherung der beiden deutschen Staaten. Sie ist kein Machtmensch. Die Bürgerbewegung wird von Politprofis aus dem Westen geschluckt.
Helmut Kohl besuchte sie zu Hause und hat sie als Mensch tief beeindruckt, „er konnte zuhören.“ Wegen des Treffens wurde sie für das Neue Forum zur Verräterin. „Das war hart. Ich spürte, es gibt kein wirkliches Wir unter den Oppositionellen“, sagte Bohley ganz nüchtern. Andere sahen sie als Hardlinerin, rachsüchtig, als sie 1993 Gregor Gysi, der in der DDR ihr Anwalt war, vorwarf, Stasispitzel gewesen zu sein. 2001 machte sie Wahlkampf mit der FDP, nur um in Berlin die PDS zu schwächen.
Die Weichen in Deutschland waren gestellt, sie sah keine Aufgabe mehr für sich, wollte aber auch nicht still in der Ecke sitzen. Mitte der 1990er ging Bärbel Bohley nach Bosnien, wo sie mit Hilfsorganisationen arbeitete. Sie kam in ein total zerstörtes Land, half in Sarajewo beim Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Häuser, organisierte im Namen von Hilfsorganisationen Geld für Scheiben und Dächer, Schulen, Zisternen. Sie fühlte sich wieder nützlich. Sie rauchte Kette.
Bohley heiratete einen bosnischen Mann, war bis 2008 Bürgermeisterin im kroatischen Celina, ließ Kriegswaisen in ihrem Ferienhaus an der Adriaküste übernachten. Sie sei dort demütiger geworden, denke nicht mehr so deutsch-kleinkariert, sagte sie.
2008 kehrte sie zurück nach Prenzlauer Berg, sie hatte Lungenkrebs. Sie trauerte den kaputten Fassaden hinterher, dem alten Klempner, der Frau, die die Tauben fütterte, den verschwundenen Nachbarn, dem Lebensgefühl. Sie komme sich manchmal vor, als lebe sie in einem Theater. Mit 65 Jahren ist Bärbel Bohley 2010 gestorben.
Seit 2016 trägt ein Wohnquartier in Berlin-Wedding, am Mauerpark, ihren Namen: Der Bärbel-Bohley-Ring – eine Gated Community, steril, mit vielen Verbotsschildern. Ihr Großneffe reagierte entsetzt. Sie sei eingetreten für einen „demokratischen Sozialismus“, den „sie bestimmt nicht zwischen stinkteuren Eigenheimen für besserverdienende Bankerhipster kommen sah“.
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