Porträt Max Prosa schreibt Lieder über seine Sehnsucht nach dem richtigen Leben - und verkauft damit viele Platten. Er will die Welt besser machen und verzichtet auf Fleisch
Max Prosa wehrt sich gegen das Etikett "Bürgersöhnchen"
Foto: Christian Werner für Der Freitag
Wir sind im „Falschen Café“, hier an der Grenze zwischen Berlin-Kreuzberg und Neukölln hat Max Prosa bis vor Kurzem gewohnt. Das iPhone müsse man zur Aufnahme andersherum legen, sagt er. Das wisse er, weil es auch ein Stimmgerät sein kann. Stimmt er etwa seine Gitarre mit einer App? Nur ganz selten.
Der Freitag: Sind Sie naiv?
Max Prosa: Warum?
Sie hatten Sehnsucht „nach dem richtigen Leben“ und sind nach Berlin-Neukölln gezogen. In ein Viertel für Migranten, Touristen und gut situierte Zugezogene.
Ja, auf jeden Fall war das ein bisschen naiv. Man kann ja auch in Neukölln ein Spießerleben führen. Es kommt immer darauf an, mit welchen Leuten man sich umgibt. Für mich war der Umzug aber eine Befreiung hin zu einem Leben, m
erleben führen. Es kommt immer darauf an, mit welchen Leuten man sich umgibt. Für mich war der Umzug aber eine Befreiung hin zu einem Leben, mit dem ich mich mehr identifizieren konnte. Es hat mir mehr Perspektiven eröffnet.Sie sind in einem bürgerlichen Milieu groß geworden ...Und ich habe erkannt, dass dieses Umfeld in Berlin-Charlottenburg, in meiner Schule, sehr wenig von der Welt widerspiegelt, wie sie im Ganzen ist. Das ist mehr wie eine Insel. Als ich mit der Schule fertig war, habe ich mich daher in verschiedene Umfelder geworfen, um zu sehen, wie man da lebt. Diesen Lebensentwurf, den ich jetzt habe, den gab es für mich gar nicht, den musste ich erst finden.Ihre Eltern waren ehrgeizig und hatten andere Pläne für Sie?Ja, in diesem Universum gab es gewisse Dinge, die vorgesehen waren, Schule, Abitur, Studium, vielleicht eine Firma gründen, Akademiker werden. Da gibt es dann diesen Tellerrand, über den man nicht mehr rüberschaut. Ich wollte aber mehr sehen und bin herumgereist, war ein paar Monate in Irland unterwegs, habe mit Straßenmusikern musiziert, vor allem in Galway. Die waren dort sehr kollegial, wie eine echte Community.Gibt es am Bürgerlichsein auch gute Seiten?Sicherheit. Dieses Grundbedürfnis hat jeder. Angst bringt einen dazu, für möglichst viel Sicherheit zu sorgen. Dadurch wird aber leider viel Fantasie vernichtet.Und wie war es dann, das Leben in Neukölln?Ich bin mit 18 bei meinen Eltern aus- und in eine WG mit zwei Künstlern eingezogen, einer war Fotograf, einer Musiker. Ich habe meine Möglichkeiten ausgelotet, meine Wahrheit gesucht. Wo fühle ich mich wohl? Wir haben nächtelang über Musik geredet, bekiffte Philosophierereien, keine großen Weisheiten. Bei uns gingen ständig Leute ein und aus, es kamen Couchsurfer aus England. Einer hat eine Theorie über das Dasein erfunden, dass wir uns alle in einer Blase befinden – das romantisiert es vielleicht, aber was an Wahrheit übrig bleibt, sind verschiedene Lebenseinstellungen. Jeder hat seine eigene Wahrheit, und keine ist richtig oder falsch.In Ihrem Lied „Café Noir“ geht es um Zigarettenschnorrer, Halunken, ewige Studenten: Verklären Sie da das Nichtstun?Ich würde es nicht „Nichtstun“ nennen. Auch wenn man da irgendwie zusammenlebt, macht man wichtige Erfahrungen.„Wir stell’n doch keine Fragen, wir sind doch einfach da, und füreinander Zuflucht, im alten Café Noir...“ Klingt eskapistisch.Viele Leute, die ich im Café Noir kennengelernt habe, haben trotzdem hart an Sachen gearbeitet. Gleichzeitig waren sie offen und haben nach wirklicher Erkenntnis gestrebt. Das ist doch nicht das Schlechteste. Es ist einfach eine andere Lebensart. Ich weiß nicht, ob es besser sein soll, den ganzen Tag im Büro zu sitzen.Auch das kann lehrreich sein ...Mir geht es darum, etwas über den Menschen zu erfahren, der mir gegenübersitzt. Das verstehen andere vielleicht als Nichtstun, aber für mich ist das wesentlich. Nach einem guten Gespräch sieht man die Welt ein bisschen anders. Ohne das könnte ich kein Songwriter sein. Beim Liedermachen geht es ja nicht darum, wie die Geschichte wirklich passiert ist, sondern darum, was hätte sein können. Die Welt setzt sich nun mal aus den ganzen kleinteiligen Leben der Milliarden Menschen zusammen, die auf ihr herumlaufen.Die meisten Musiker in Berlin hängen ja nicht freiwillig nur ab. Sie krebsen so herum.Ja, das ist die andere Wahrheit: Wie kriege ich als Kreativer etwas zu Essen herangeschafft? Ich kann doch nicht ewig so leben. Ich habe auch mal im Call-Center gearbeitet, die harte Tour: Ich habe da SKL-Lose verkauft.Statt Jura- oder BWL-Seminaren belegten Sie einen Popkurs an der Mannheimer Akademie. Der Ausbildungsberuf Popstar?Zunächst war ich skeptisch. Aber wenn man, an welcher Uni auch immer, etwas mitnehmen kann, sollte man es tun. Der Grundstein muss aber natürlich in einem selber stecken. Der Popkurs war für mich eine Möglichkeit, mit 20 bis 30 Leuten zusammenzutreffen, die nichts anderes wollen, als Musik und mit ihnen proben zu können. Der individuelle Weg macht Songwriter zu dem, was sie sind.Mit 22 Jahren haben Sie bereits einen eigenen Plattenvertrag.Ich möchte etwas schaffen, und dafür arbeite ich auch hart.Also doch ehrgeizig?Mich stört die Arbeitssucht, die so verankert ist in unserer Gesellschaft. Der Satz: „Ich arbeite“ ist ja fast heilig. Unantastbar. Er vermittelt eine Atmosphäre des Pflichtgefühls, des Gutseins.Arbeitssucht?Ja, viele Menschen fliehen vor sich selbst in die Arbeit. Oder man flüchtet vor dem Ehepartner. Dieses „Ich arbeite, lass mich in Ruhe“ ist weitverbreitet. Oft bekommen die Leute dabei gar nicht so viel zurück. Immer nach vorne streben, immer weiter, gar nicht wahrnehmen, was gerade passiert: Das kann einen unglücklich machen. E-Mails müssen doch in den seltensten Fällen sofort beantwortet werden. Aber man tut es trotzdem, wenn man irgendwo mit dem Smartphone unterwegs ist.Es gibt einen Teil der Arbeit, der einen erfüllt, und einen Teil, der eben gemacht werden muss.Bei mir ist das anders. Was ich tue, ist meine Selbsterfüllung.Wann beantworten Sie Mails?Ich habe mein Smartphone vor Kurzem abgeschaltet, wie ein Atom-kraftwerk. Ich brauche das nicht, das Negative daran überwog. Ich möchte mich selbst disziplinieren. Und so wurde mein Ideal, dieses Gerät nicht zu haben. Neulich habe ich in einer Zeitung gelesen: Das iPhone, ein Luxusgut unserer Gesellschaft. Dabei ist es doch erst dann Luxus, wenn man es wieder abschaltet und feststellt, wie viel Zeit man auf einmal für sich hat.„Wir sind verlorene Söhne, ... Rebellen ohne Grund“, heißt es in einem anderen Lied. Sie covern es von Misha Schöneberg, der bei der Band Ton Steine Scherben war. Haben Sie heute dieselben Empfindungen?Als ich das Lied zum ersten Mal gehört habe, fühlte ich mich getroffen. Ich kenne dieses Gefühl, rebellieren zu wollen und doch verloren zu sein. Diese Sehnsucht nach Sinnfindung ist auch meine.Jeder hat in diesem Alter seinen Weltschmerz: Was ist bei Ihnen anders als bei früheren Generationen?Manches bleibt immer gleich: Dieser Prozess des Irgendwohinziehens, Ausbrechens, Guckens: Wer bin ich, was will ich, was machen die anderen, wo ordne ich mich ein? In der Psychologie nennt man das den Individuationsprozess. Diese Erfahrungen, die von Älteren so gerne belächelt werden, muss jeder selbst machen.In der Rio-Reiser-Ära waren Lieder eine Waffe – die Feindbilder waren klar. Die neuen deutschen Songs sind alle so innerlich.Ja, das hat sich gewandelt. Dieses Ton-Steine-Scherben-Motto: „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ existiert nicht mehr. Es gibt ja auch diese Feindbilder und Klassenunterschiede so nicht mehr. Der „Rauchhaus-Song“ von Rio würde heute kaum etwas in den Leuten auslösen. Für meinen Lebensentwurf ist diese Weltanschauung nicht mehr zutreffend.Können Sie die beschreiben?Mir fällt diese Zeile ein, die hier ein paar Meter weiter an einer Hauswand steht: „Die Grenze verläuft nicht zwischen oben und unten, sondern zwischen Dir und mir.“ Wir haben ein Bewusstsein dafür, dass alles nicht mehr so pauschal ist. Die Reichen, die Armen, schlecht oder gut. Durch die Globalisierung und das Internet vermischt sich vieles: Man lernt sich kennen, erfährt die Welt auf eine andere Weise, weniger nationalistisch. Ich halte es eher mit dieser Hippie-Perspektive – wir sind alle eine große Gemeinschaft.Eine unpolitische?Politik ist machtlos, sie ist nur die Kräuselung der Wellen vor dem Sturm. Unsere Gesellschaft wird von anderen bestimmt, von den Managern da oben.Tun Sie was?Ich bin froh, wenn die Leute mein Album hören und eine neue Sicht auf die Welt und ihre Nuancen bekommen, wenn sie sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Aber ohne Aktionismus. Wenn ich weiß: Es treiben etwa sechseinhalb Millionen Tonnen Plastikmüll in den Weltmeeren, dann nehme ich im Supermarkt nicht mehr die Plastik- sondern die Papiertüte. So kann man etwas bewirken. Oder durch das Wissen um die Massentierhaltung, das zum Vegetarismus-Trend geführt hat. Ich bin etwa seit sieben Jahren Vegetarier.Ich esse sehr gerne Fleisch.Der Fleischgenuss ist reine Gewohnheit, den wird man nicht vermissen. Und je mehr Leute Vegetarier sind, umso besser wird das vegetarische Essen. Gerade in Berlin gibt es so viele tolle vegetarische Restaurants. In 200 Jahren wird die Massentierhaltung aussehen wie Sklavenhaltung, niemand wird begreifen, dass es das mal gab. Ich glaube an die kleinen Schritte.Sie widmen das Lied „Rangoon“ einem großen Aufstand, der Safran-Revolution in Myanmar.Im September 2007 wurde eine friedliche Demonstration von Mönchen und Nonnen und tausenden Zivilisten blutig niedergeschlagen.Das macht Sie wütend?Als ich mich damit befasst habe, wurde mir klar, dass es noch gar nicht lange her ist. Das Böse in unserer Welt ist nicht 60 Jahre alt! Sondern es existiert heute.In manchen Blogs und Artikeln nennt man Sie ein verwöhntes „Bürgerkind mit Gitarre“. Schleppt man immer mit, woher man kommt?Das ist ein Fluch. Ich finde es schade, dass Kunst am Leben des Künstlers gemessen wird. Einmal war ich in der Tate in London in dem Mark-Rothko-Raum. Da kam ein Kind, sah die Bilder und war begeistert. Die Eltern kamen und sagten: „Dieser arme Typ, der hat sich umgebracht.“ Es wird für die Leute immer eine Rolle spielen.Das Schicksal sollte getrennt sein vom Werk?Wer kann schon etwas über mein Leben sagen? Es gibt nur dieses Klischee: Spießbürgeridylle. Oder was heißt es, dass ich noch so jung bin? Arthur Rimbaud hat in meinem Alter schon wieder aufgehört zu dichten. Kann man daran seine Gedichte messen?Schreibt man bessere Lieder, wenn man verzweifelt ist?Nein, das glaube ich nicht. Aber unglückliche Phasen sind prägend für jeden. Durch den Bruch wird man wieder frei. Man projiziert diese Sehnsucht, die in einem steckt, auf einen Menschen. Aber die Trauer, die dann mit dem Ende einhergeht, muss nicht hoffnungslos sein.Ein gebrochenes „Hallelujah“.Ich singe dieses Lied von Leonard Cohen, weil es die Liebe und den Glauben auf magische Weise vereint. Es ist etwas Religiöses. Liebe ist Gottesdienst: Diese Philosophie finde ich in sehr vielen Cohen-Songs. „Du glaubst/suchst Du den Beweis/Du sahst sie baden, und Dir wird heiß“ – auch körperliche Liebe ist Liebe. Durch die Wirren der Kirche und deren Interpretationen ist es in eine andere Richtung gegangen. Zölibat, unbefleckte Empfängnis – aber wer die Bibel genau liest, kann das Miteinander entdecken. Das Hohelied in der Bibel ist eines der schönsten Werke der Weltliteratur.Seit ein paar Tagen wohnen Sie in Leipzig. Was trieb Sie weg aus Neukölln?Etwas Neues beginnt. In Leipzig kenne ich mich überhaupt nicht aus, aber es hat eine aufstrebende Musikszene, Subkultur, Jazz. Ich möchte das auf mich wirken lassen. Berlin ist im Grunde gar nicht so künstlerfreundlich, sondern sehr anonym. Jeder lebt für sich. Wenn du nicht irgendwas Interessantes machst, reden die Leute gar nicht mit Dir.Das Gespräch führte Maxi Leinkauf
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