Meist stand ich in der Mitte meines Zimmers in unserer Plattenbauwohnung in Berlin-Lichtenberg und übte Michael-Jackson- Schritte. Es war 1987, ich war zwölf. Manchmal nahm ich mir mein Mikrofon, imitierte Sandra, Everlasting love. Damals traf ich mich mit meiner Freundin oft an der Kaufhalle, wir saßen da so rum, auf den Treppen oder einer Bank vor dem Springbrunnen.
Einmal stand sie in einem knielangen Rock vor mir, „stonewashed“, sagte sie. Sie hatte ihn von Verwandten, die im Westen leben. Ich trug eine „Jumo“-Jeans, grün und schwarz kariert, ganz modern. Das Jugendmode-Geschäft lag neben dem Volkshaus, dem Friedrichsfelder Kino, das es noch gab. Meine Eltern hatten für die Hose viel Geld ausgegeben. Ich war stolz auf diese Jeans. Bis ich meine Freundin in dem Rock sah. Ich war neidisch. Er war für mich unerreichbar.
Ein Jahr später kam diese Stonewashed zu uns, ich wünschte mir zum Geburtstag Marmorjeansjacke, und -hose und -rock. Bastelte mir Kreolenohrringe. Seltsam, aber ich kann mir diese Zeit, die Jacko-Dirty-Dancing-usw.-Phase nur schwer ohne Marmorjeans vorstellen. Sie hatte was Symbolisches, sie gehörte zu mir, es war eine Sehnsucht, die sich nicht nach Westen richtete, eher unbestimmt war. Meine Welt wurde größer in der Marmorjeans. Einmal verabredeten sich meine Eltern mit mir am Centrum-Warenhaus am Alexanderplatz. Sie hatten gehört, dass eine Lieferung Marmorjeans kommt, waren früh hingegangen und hatten lange angestanden.
Später traf ich mich wieder mit meiner Freundin an der Kaufhalle. „Cool“, sagte sie und lächelte. Es reichte, diese Jeans zu tragen und draußen zu sein. Irgendwann hatten in der Schule alle eine, und man konnte natürlich sehen, welche „original“ war, aus dem Westen, und welche von uns. 1989 fiel die Mauer.
Ich überlegte, mir von meinem Begrüßungsgeld eine „echte“ Marmorjeans zu kaufen. Wir fuhren in die Wilmersdorfer Straße, eine hässliche Einkaufspassage in Westberlin, und ich musste gar nicht lange suchen – im erstbesten Laden lagen sie herum, stapelten sich. Die Jeans von WitBoy sahen fast wie DDR-Jeans aus, nur heller. Aber ich fühlte mich so wie später beim Michael-Jackson-Konzert im Mauerpark: Die Magie war weg.
Jeder konnte sie haben, ohne Warten. Sie war eine Ware. 1992 rief Michael Jackson beim Konzert im Mauerpark: „I love you all!“ Mein Vater verlor an dem Tag in der Einkaufspassage 50 Mark an jugoslawische Hütchenspieler, ich kaufte mir einen Doppeldeck-Kassettenrekorder von Sony.
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Dieser Beitrag ist Teil unserer Wende-Serie 1989 – Jetzt!
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