Es ist ein Sommertag im Jahr 2005, von Saint-Tropez fährt ein Bus hinauf nach Ramatuelle. Juliette Gréco wird bald schon mit neuen Liedern in Deutschland auftreten. Auf die Frage, ob man sie treffen könne, hatte ihre Agentin geantwortet: „Da müssten Sie nach Ramatuelle fahren, wo sie lebt.“ Oui, avec plaisir, sagte Juliette Gréco einige Wochen später am Telefon.
Ein schmaler Weg führt durch die Weinhügel des südfranzösischen Dorfes. Auf dem Gipfel liegt „La Ma’ia“. Die Nachbarn wissen, wer die Villa bewohnt: La Gréco. Sie sehen sie manchmal auf dem Markt. Letzte Zeugin der Boheme, Muse der Pariser Existenzialisten. Da steht sie plötzlich, barfuß, im schlichten Hosenanzug aus schwarzem Samt. Das Gesicht bleich, die Augen weit offen. Ein weiße Strähne fällt ihr in die Stirn. Zögernd reicht sie ihre schmale, faltige Hand und tänzelt dann in den weißen Salon. Chaiselongue, die Stühle, der Tisch, alles weiß.
Grécos Lieder handeln von der Liebe, jeder Art von Liebe, die zu sich selbst, zu den Vögeln, die erotische Liebe. Die Botschaft: Liebe muss sein, aber sie bedeutet Leiden.
„Ich hatte mal eine Liebesgeschichte mit einem Fuchs“, erzählt sie. Mit einem Fuchs? „Ja, er war wunderschön und er liebte mich wirklich. Er hatte ein beiges Fell, grüne Augen, war zutraulich und fraß mir aus der Hand. Eines Tages kam er mit einer verletzten Pfote, wenig später starb er. So ist das nun mal mit wilden Tieren.“ Gréco nimmt meine Hand, streicht darüber. „Sie könnten meine Enkelin sein, ma petite“, sagt sie. Sie ist damals 78 und hat gleichzeitig etwas sehr Kindliches.
Sartre schrieb ihr den Text
1927 wurde Juliette Gréco in Montpellier geboren. Ihr Vater, ein korsischer Polizist, verließ die Familie früh. Grécos Mutter und Schwester wurden 1943 von der Gestapo im KZ Ravensbrück interniert. Weil die Mutter Mitglied der Résistance war, kam auch Juliette Gréco ins Gefängnis. Da war sie 16 und hörte Geschichten von Prostituierten, lernte, wie Männer sein konnten. Sie kannte nur ihren Großvater, einen wunderschönen, zarten, starken, ruhigen Architekten.
Juliette Gréco zog nach Paris, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, durchstreifte das Nachtleben von Saint-Germain. Es war noch immer das Jahr 1943. Sartre hat sie in einer Kellerbar entdeckt und führte sie in die künstlerisch-intellektuelle Elite der damaligen Zeit ein. Gréco bekam von ihm einen Text für ihr Debüt als Sängerin geschenkt. La Rue des Blancs-Manteaux (1950) erinnert an die Gräuel der Französischen Revolution. Die Texte ihrer berühmten Chansons waren für Juliette Gréco immer sehr wichtig; unzählige Schriftsteller, auch Serge Gainsbourg, versorgten sie mit Gedichten.
Es lag an ihrer Erscheinung, schwarze Haare, schwarze Klamotten, schwarze Augen und ein weiß geschminktes Gesicht, dass sie überall angesprochen wurde. Sie sei oft mit ihrer Freundin Françoise Sagan am linke Seine-Ufer unterwegs gewesen, erzählt sie, sie teilten alles. Sie konnte Sartre und Simone de Beauvoir Fragen stellen: Was ist Existenzialismus? „Der Mensch kann immer etwas aus dem machen, wozu man ihn gemacht hat. Jeder trägt die Verantwortung für sein eigenes Leben“, habe Sartre gesagt.
Ihr Mann tritt in den Salon, nur mit einem Badetuch bekleidet. „Gérard, sag mal, willst du dir vor der jungen Frau nicht was anziehen?“, sagt Gréco. Er verschwindet sofort. Sie öffnet eine Flasche Champagner.
Grécos Verhältnis zu Deutschland war lange belastet, erst 1959 trat sie das erste Mal in der Bundesrepublik auf. In ihrer Jugend war sie Kommunistin, sie hielt das für den reinsten und großzügigsten Weg. Aber dann waren da Prag, Stalin, die Gefangenenlager, der Verlust der Freiheit. „Aber das Ideal, die humanistische Utopie bleibt.“
Abends sitzt Juliette Gréco auf ihrer Terrasse, blickt auf das Meer und lästert ein wenig über Verflossene. Eine Freundin von Gréco ist gerade zu Besuch und setzt sich dazu, die damalige Literaturchefin der Zeitung Le Monde. Gréco redet über die Männer ihres Lebens, ihre Liaisons sind legendär, mit dem Trompeter Miles Davis, mit Michel Piccoli war sie verheiratet. „Ich glaube, Michel hat die Trennung damals nicht verkraftet. Noch ein Schluck Champagner?“
Wenn man jung ist, sei die Liebe Krieg. Und ein bisschen Frieden. „Eine herrliche Verwirrung. Und auch total langweilig.“ Und wie ist es später?
„Man lernt nichts in der Liebe“, sagt sie resolut. Jamais!
Mit dem Pianisten Gérard Jouannest, mit dem sie auf der Bühne stand, ist sie seit zehn Jahren zusammen. Sie fühlten sich durch die gemeinsame Arbeit verbunden. Er beruhige sie.
Juiette Gréco sinniert noch ein bisschen über das Älterwerden, sie wolle niemandem zur Last fallen. „Ich stelle mir vor, dass mein Mann aufatmet, wenn ich nach langer Krankheit verschwunden bin. Nein, das will ich nicht. Man darf nicht Sklave seiner Krankheit sein. Man muss den Tagen die Freiheit zu leben lassen.“
Sie ist müde, die Freundin fährt mich ins Dorf zurück.
Mit 93 Jahren ist Juliette Gréco nun in ihrem Haus in Ramatuelle gestorben. Sie soll am 5. Oktober in Paris begraben werden, sie hat sich eine Messe in Saint-Germain-des-Prés gewünscht. Da, wo ihr Leben neu begann.
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