In meinem Alltag spielt es keine Rolle mehr, wo ich geboren wurde. In meinen Lebenslauf schreibe ich einfach nur Berlin. Darunter kann man sich dann Schöneberg oder Friedrichshain vorstellen. Dennoch ist mir vor ein paar Tagen wieder bewusst geworden, wo meine Wurzeln sind.
./resolveuid/b9730231d9361273372635f14b4aecbaEinmal bei den Tagesthemen. Tom Buhrow begann seine Moderation mit: „Im thüringischen Erfurt...“ Er würde doch nie sagen: „Im bayerischen München...“ oder „Im westfälischen Dortmund...“. So suggerieren die Nachrichten: So richtig gehört ihr immer noch nicht dazu. Es vermittelt einem ein Wir-hier-und-Ihr-da-Gefühl. Aber wer bis heute nicht weiß, wo Erfurt liegt, dem ist auch nicht zu helfen, finde ich.
Dann habe ich vor Kurzem ein Interview mit dem Musiker Clueso gesehen. Er wurde gefragt: Wie ist das so, als ‚Ost-Musiker‘? Clueso sagte, das interessiere ihn überhaupt nicht, er mache einfach seine Musik. Er war zehn Jahre alt, als die Mauer fiel! Würde man Grönemeyer fragen: Wie das so als West-Musiker ist? Mir kommt das vor wie ein Zoo: Guck mal hier, das Ossi-Tier!
Ich habe seit ein paar Jahren eine Anwaltskanzlei in Leipzig. Von meinen Mandanten unterscheidet kaum noch eienr zwischen Ossi und Wessi, scheint mir. In den vergangenen fünf Jahren hat nur einmal jemand gesagt, er sei froh, dass ich auch aus dem Osten käme. Ich habe ihn verwundert angeschaut und geschwiegen.
Manchmal fällt mir noch an sprachlichen Eigenheiten auf, woher jemand stammt: Der Ossi bringt sein Auto zur „Durchsicht“, der Wessi zur „Inspektion“. Aber mit den meisten Klischees kann ich nichts mehr anfangen: Es gibt den eitlen Sachsen mit gegelten Haaren genauso wie den schlecht gekleideten, meckernden Ruhrpottler. Solche Eigenschaften hängen doch eher mit dem Milieu zusammen als mit dem Ort, an dem man geboren wurde.
Ich mag es nicht, wenn manche so eine Ossifizierung betreiben. Ich komme ursprünglich aus OstBerlin, bin aber seit vielen Jahren Fan von Hertha BSC. Ich muss mir immer den Vorwurf anhören: Warum bist du denn nicht für Union? Also für den 1. FC Union. Da zucke ich nur mit den Schultern. Es ist mir egal. Der Osten ist nicht in mir, sondern in den anderen.
Protokoll: Maxi Leinkauf
Stefan Renz, geboren 1975 in Berlin-Prenzlauer Berg, arbeitet als Anwalt und lebt mit seiner Familie in Leipzig
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