„Ich bin eine Amtsperson und ein Mensch“

Porträt Katrin Lompscher hat harte Attacken wegstecken müssen, seit sie den Mietendeckel plant. Ein robustes Naturell hilft ihr dabei
Ausgabe 38/2019
Ein seltenes Exemplar: Sie ist nicht nur Politikerin, sie ist sogar vom Fach
Ein seltenes Exemplar: Sie ist nicht nur Politikerin, sie ist sogar vom Fach

Foto: Marcus Glahn für der Freitag

Der Saal im siebenstöckigen Häuserblock am Berliner Ostbahnhof ist voll. Es ist Basistag der Linken und Katrin Lompscher, die Bausenatorin, soll ihren Entwurf für einen Mietendeckel erklären. „Wenn man die bürgerliche Presse liest, könnte man sagen: Alle gegen Katrin! Alle gegen die Linken, allgemeine Hysterie!“, stimmt die Landesvorsitzende Katinka Schubert die Genossen und Genossinnen ein: „Wir stehen unter enormem Druck. Der Sturm läuft aus allen Rohren. Katrin: Leg los!“

Lompscher, grauer Kurzhaarschnitt, unauffälliger Blazer, tritt aufs Podium. Beifall. „Ist der Beamer an?“, fragt sie, geht durch die Paragrafen, erklärt sie so, dass man sie versteht. Man betrete Neuland, sie berlinert, es sei nicht gewiss, was daraus wird, „da muss man auch gar nicht drumrum reden.“ Sie bekomme auf ihrer Webseite viel Zuspruch: „Das empfinde ich als Rückhalt“. Dann sagt sie, das klingt jetzt ein bisschen nach Angela Merkel: „Wir machen das jetzt!“. „Geil, dass wir das machen“, ruft einer von der Basis Berlin-Neukölln.

„Wir müssen noch radikaler werden“, ruft die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Caren Lay nach Lompschers Vortrag. Die sitzt währenddessen am Podiumstisch und schaut sie kaum an, ihre Basis. Macht sich Notizen. Sie folge keiner ideologischen Richtung, sei daher nicht unumstritten in ihrer eigenen Partei, heißt es über Lompscher.

Seit im August dieses Jahres ein Entwurf ihres Ressorts für einen Mietendeckel in Berlin geleakt wurde, macht die Berliner Bausenatorin bundesweit Schlagzeilen. Ihr Foto erscheint auf Titelseiten, darunter Zeilen wie „irre Mietenkillerin“, oder „Greta Thunberg für entrechtete Mieter“. Eine „rote Stadt“ wolle sie „zimmern“. Andere halten sie für „mutig und radikal“.

Katrin Lompscher wirkt weder irre noch radikal, eher „pragmatisch“. Spricht man mit einem, der mit ihr seit den 1990ern zu tun hat, aber nicht genannt werden will, dann fällt genau dieses Wort. Lompscher sei zielstrebig, freundlich, ehrgeizig, „aber nicht so, dass man es nach außen merkt“. Kein Typ für stundenlange intellektuelle Debatten, eher ergebnisorientiert. Es muss was rauskommen. Clever sei sie, könne Kräfteverhältnisse instinktiv einschätzen.

Zur Person

Katrin Lompscher, geboren 1962 in Ostberlin, trat 1981 in die SED ein, kandidierte nach der Wende für die PDS und war auf Bezirksebene aktiv. Von 1992 bis 1996 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Berlin und Erkner.
Bis 2000 war Lompscher wissenschaftliche Mitarbeiterin der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und von 2001 bis 2006 Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung im Bezirksamt Berlin-Lichtenberg. Dort war sie verantwortlich für Stadtplanung und Vermessung, das Bau- und Wohnungsaufsichtsamt sowie das Amt für Bauen und Verkehr. Lompscher spricht von ihrem ersten Traumjob. Seit Gründung des Berliner Landesverbands der Partei Die Linke im Juli 2007 ist sie stellvertretende Vorsitzende.

2006 übernahm sie das Ressort für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz der rot-roten Regierung, jener Koalition also, die viele Sozialwohnungen privatisierte und die größte landeseigene Wohnungsbaugesellschaft an Finanzinvestoren abtrat. 2016 wurde sie Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen. Kritiker sehen in ihr eine „Mieten-Bremserin“.
Am 18. Juni diesen Jahres hat der Berliner Senat beschlossen, ein Gesetz für den sogenannten „Mietendeckel“ vorzubereiten. Die Mieten in schon bestehenden Mietverhältnissen in Berlin sollen nach dieser Planung für fünf Jahre nicht erhöht werden dürfen. Auf Antrag soll auch die Senkung für zu hoch befundener, bereits bestehender Mieten durchgesetzt werden können. Bei Neuvermietungen soll höchstens die Miete aus dem vorherigen Mietverhältnis der Wohneinheit verlangt werden dürfen. Der Wohnungsneubau soll von diesen Regelungen ausgenommen bleiben.

Katrin Lompscher, jetzt 57, erlebt unruhige Wochen. Sie nimmt sich trotzdem Zeit für ein Treffen, in ihrem Büro am Fehrbelliner Platz, im Berliner Westen. Der Fahrstuhl hält im 14. Stock. Lompschers Büro ist hell, groß, die weißen Wände mit Bebauungsplänen zugepflastert, in der Mitte ein großer Konferenztisch. An einer Wand hängt auch ein großes gerahmtes schwarz-weiß-Foto vom Tempelhofer Feld, der städtischen Grünfläche, früher mal ein militärisches Übungsgelände beim Berliner Militärflughafen der Alliierten.

„Hallo, ich bin Katrin“. Sie zeigt auf die Pläne, erklärt wo gerade gebaut wird. Der Blick aus dem Fenster geht nach Osten, Sonycenter am Potsdamer Platz, Fernsehturm, irgendwo drehen sich Windräder, da ist Brandenburg. Wir fahren runter, gehen ins Parkcafé gegenüber. Ihre Pressereferentin begleitet uns. Lompscher zückt eine Packung Zigaretten, zählt nach, sechs von acht sind noch drin, ihre tägliche Dosis. „Man kann nur gut arbeiten, wenn man gut lebt“, sagt sie und zündet sich eine Kippe an. Im Garten liegt schon Herbstlaub, Lompscher bestellt Cappuccino. Wie geht es ihr, mit der enormen Aufmerksamkeit?

„Mittlerweile ist die Neugier auch außerhalb Berlins sehr groß, weil das, was wir hier vorhaben, ein großes Projekt ist. Mehr als das übliche Herumdoktern an bestehenden Instrumenten. Da kann man auch mal den Regierenden zitieren: ‚Wenn wir hier einen Mietendeckel machen und keiner merkt was, dann haben wir was falsch gemacht.‘“ Es gebe so eine Vorstellung, „dass Berlin unter Wert regiert wird, so ein: Wir murkeln hier so vor uns hin. Klappt nüscht, wird nüscht – so wird hier die Politik betrachtet. Und das ist jetzt mal anders.“

Bis jetzt hat Lompscher kein einziges Mal „Ich“ gesagt. Lieber redet sie von der Stadt. Aber steckt sie die Angriffe auf ihre Person wirklich einfach so weg? „Es gibt diese Momente, in denen es mich persönlich berührt, in denen es mich auch verletzt, welche Angriffe aus manchen Medien und der Immobilienwirtschaft kommen“, sagt sie nach einer Weile. „Aber überwiegend habe ich für mich einen Umgang damit gefunden. Ich trenne die Dinge wirklich klar: Ich bin eine Amtsperson und ich bin ein Mensch. Und als der bin ich in der Regel nicht gemeint. Wenn es unter die Gürtellinie geht, ist das natürlich nicht okay, aber ich versuche mich davor abzuschirmen. Ich habe offenbar ein robustes Naturell, das hilft mir, aber manchmal hilft es nicht alleine, da muss man sich Hilfe, mentale Unterstützung von außen suchen.“

Katrin Lompscher ist eine jener Politikerinnen, die gleichzeitig Fachfrau ist, sich auch inhaltlich sehr gut auskennt in ihrem Ressort. Harald Bodenschatz, Professor für Planungs- und Architektursoziologie an der TU Berlin, kennt sie seit der Wende. Sie habe einen „nüchternen und geerdeten Blick auf Problemlagen“, sagt er. Sie erkenne rasch wichtige Themen und entscheide dann.

Baden am Klärwerk

Mit zwei Geschwistern und Akademikereltern, Pädagogen, wuchs sie auf. Für die Geschwister sei klar gewesen: Auf keinen Fall Lehrer werden. „Ich war schon immer ein abenteuerlustiger und praktischer Mensch. Meine Eltern haben mir erzählt, ich wollte schon immer Architekt werden, immer irgendwas bauen. Auch beim Spielen war ich sehr mit Bauen und Erkundungen abenteuerlicher Gegenden beschäftigt.“

Der Bauberuf war „insofern eine logische Entscheidung“. Sie kam in den Tiefbau, absolvierte dort von 1978 bis 1981 eine Berufsausbildung mit Abitur, beschäftigte sich mit der Entwicklung von Großsiedlungen wie Berlin-Marzahn. Die Zeit, in der in Ostberlin die großen Neubaugebiete entstanden. Sie baute an Heizungskanälen und anderen technischen Anlagen mit. „Ich habe beim Bau des Klärwerks Falkenberg meine Sommer verbracht, was sehr schön war, weil es noch nicht in Betrieb war, da konnte man da noch drin baden.“ Es sei reizvoll gewesen, selber Einfluss darauf nehmen zu können, was künftig viele Leute benutzen werden, sagt sie.

Sie sei sehr behütet aufgewachsen, mit Klavierunterricht, in einer Mietwohnung in Pankow-Niederschönhausen. Ohne Vorstellung davon, dass es so relativ grobschlächtige Dinge gibt, wie die, die sie später auf dem Bau erleben würde. „Das war einfach mal ’ne ganz andere Welt und die hat mich interessiert, die fand ich gut.“ Auf der Baustelle waren Mädchen etwas Exotisches. Und wurden auch auf die Probe gestellt: Könnt ihr Kaffee kochen, könnt ihr Skat spielen? Leicht triumphierender Blick: „Ich konnte besser Skat spielen“. Noch eine Zigarette: „Ich hab mich auch geweigert, so Dienstmädchentätigkeiten durchzuführen und wurde irgendwann auch nicht mehr gefragt. Man war auf dem Bau, und es war klar: Wenn gerade nichts zu bauen ist, dann spielt man eben Skat. Und wenn das Material nicht da ist, dann spielt man eben Skat.“

Dann studierte sie Stadtplanung in Weimar. „Mich interessierte der Zusammenhang von Gebäuden und Plätzen und dem Leben und den Bauten.“ An der Bauakademie war sie von moderner Stadtsoziologie beeinflusst, man ging bei der Gestaltung von Quartieren, Häusern, von den Bedürfnissen der Menschen aus, nicht nur von ästhetischen Vorstellungen. Die Stadt wurde als soziales und räumliches Gebilde betrachtet: Als Lebensort.

Wenn es um die Bebauung des Tempelhofer Felds geht, Zankapfel zwischen denen, die mehr bezahlbaren öffentlichen Wohnungsbau wollen und jenen, denen das ehemalige Flugplatzareal als Erholungsgebiet wichtig ist, positioniert sich Lompscher klar. Das Ensemble aus Flughafengebäude und Feld müsse erhalten bleiben, sei auch städtebaulich prägend für die Stadt. „Das sollte man nicht verspielen.“

Noch besser scheitern

Bei ihrem ersten Praktikum seien sie durch das Rostocker Neubaugebiet Lütten Klein „gestromert“, das gerade entlang der Warnow hochgezogen wurde – „ein explosionsartiger Erfahrungsgewinn war das, was wirklich eine Stadt ist“. Sie habe in Rostock auch Wohnverhältnisse gesehen, „von denen ich nicht dachte, dass es sie in der DDR gibt. Verwahrloste, schlecht in Stand gehaltene Wohnungen, mit Leuten, die man als benachteiligt einschätzen würde.“ Das habe sie darin bestätigt, dass man nicht nur auf Architektur, Bautechnik und Ästhetik achten sollte, sondern auf soziales Leben.

Von Gerechtigkeit spricht sie nicht. Die Stadt muss funktionieren. Sie denkt in Zusammenhängen, betrachtet die Welt vom Schluss her – rational, hier erinnert sie wieder an die Kanzlerin. An der bewundert sie, „wie sie sich in einem durchaus feindlichen Umfeld behauptet, in diesem Haifischbecken von Beginn an die übermächtigen Gegner überwunden hat – mit einer unaufgeregten, pragmatischen Art.“ Trotzdem teile sie nicht ihre Politik, dass man „mit diesem Frust der Leute, der sich in Wahlergebnissen niederschlägt, überhaupt nicht adäquat umgeht, sondern versucht den Landeskindern zu erklären, dass sie jetzt mal zur Vernunft kommen müssen“.

Ist die Politikerin vom Fach eine „Technokratin“? Dagegen spricht ihre Bodenständigkeit. Wie in der DDR üblich hat sie zum Ende des Studiums ein Kind gekriegt, ist bei ihrem Freund – jetzt ihr Exmann – eingezogen, Pankow, Hinterhof, Erdgeschoss, Ofenheizung, ohne Bad. Ihr Sohn, um die 30, ist „Lebenskünstler“, arbeitet im Sozialbereich, macht Musik, guckt so, was zu ihm passt. „Und wenn er nicht mehr kann, fragt er Mutter.“ Sie sind in Ostberlin mehrfach umgezogen, seit drei Jahren lebt sie in Charlottenburg, nahe der Arbeit.

2006 wurde sie zum ersten Mal Senatorin – für Gesundheit, Umwelt, Verbraucherschutz. „Probierste mal aus“. „Dass wir dann 2016 als Linke dieses Bauressort bekommen haben, hat viele in der SPD natürlich gestört. Da war diese Haltung: Uns gehört das Amt!“ CDUler kramten ihre SED-Mitgliedschaft heraus, „aber solche Angriffe kann man leicht mit Sachargumenten widerlegen“, sagt sie.

Nicht das letzte Mal, dass die DDR ihre Schatten wirft: Als sie im Dezember 2016 den Stadtsoziologen Andrej Holm als Staatssekretär beruft, stellt sich heraus, dass der bis 1990 hauptamtlicher Mitarbeiter beim Ministerium für Staatssicherheit war. Seinen Arbeitgeber, die Humboldt-Universität hatte er getäuscht. Holm trat zurück. „Die Geschichte haben wir alle in ihrer Durchschlagskraft unterschätzt. Das musste damals aufgelöst werden, sonst wäre das politische Projekt schon an seinem Anfang gescheitert. Das wollte auch niemand.“

Und wenn es jetzt schiefgeht? Lompscher zitiert Samuel Becketts berühmten Satz vom Scheitern. Und: „Dann haben wir wenigstens etwas angestoßen.“ Denn es sei ja keine Alternative, nicht wenigstens zu versuchen, die Verhältnisse zu ändern.

Wie schafft sie es, nicht völlig in der Politik aufzugehen? „Ich versuche, keine Akten mit nach Hause zu nehmen, bleibe lieber länger im Büro. Ich bin gern mit Freunden unterwegs, am Savignyplatz, oder bekomme häufig Theatereinladungen, wenn es geht nehme ich sie wahr. Und ich bin ein Ostseekind, bin auf Usedom – und auf dem Darß in einem Haus mit Freunden. Da halte ich es wie Tucholsky: Vorne Ostsee, hinten Friedrichstraße. Das Leben in der Stadt ist besser, wenn man ihr immer wieder auch mal entfliehen kann!“

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