Identität

Generation 1975 Sie sind in den siebziger Jahren in der DDR geboren und im wiedervereinigten Deutschland erwachsen geworden. Eine von ihnen: Claudia Krieg, geboren 1977 in Magdeburg

Bei der Lektüre des Buches Zonenkinder haben mich schon die ersten Seiten wütend gemacht: Was soll das mit mir zu tun haben? Wie kann man seine Kindheit und ostdeutsche Identität so reduzieren und derart schwarz-weiß malen? Ich bemerke, dass meine Herkunft mich auf ganz andere, vielfältigere Weise bis heute prägt.

./resolveuid/5458f726e29744f6ee0d037b2d47048cGerade beschäftige ich mich zum Beispiel mit Nordafrika. In der DDR gab es ein Comic-Heft, das Atze hieß. Ich habe das als Kind manchmal gelesen und erinnere mich an die Ausgabe, in der es um den US-Angriff auf Libyen im Jahr 1986 ging. Das Heft zeigte auch die Bombardierung von Tripolis. Ich war acht Jahre alt, und die Bilder haben mich umgehauen: So sieht eine bombardierte Stadt aus? Das hat mich bis in meine Träume verfolgt. Ich bin nachts aufgewacht und fürchtete mich vor diesem Krieg, obwohl er so weit weg war.

Oft auf der Seite der Schwachen

Meine Eltern waren weder ausgesprochene Pazifisten noch sonst politisch organisiert. Trotzdem hing in meinem Kinderzimmer viele Jahre ein Plakat, das eine Äthiopierin und ihr Kind in einem Flüchtlingscamp zeigt. Das hat womöglich mein Denken über soziale Ungerechtigkeit und mein Interesse an globalen Themen mehr geprägt als vieles andere. Zumindest habe ich mich auch später in Diskussionen mit einem kindlichen Ungerechtigkeitsempfinden oft auf die Seite der Schwachen gestellt. Dabei habe ich kein konkretes politisches Ziel verfolgt, sondern ich wollte solidarisch sein und die Dinge hinterfragen. In der DDR drang die gesellschaftliche Debatte über politische Themen weit in den persönlichen Alltag hinein. Das wurde von vielen auch als negativ empfunden, als etwas Erzwungenes. Aber dadurch wurde man stark sensibilisiert, nicht nur in der Familie, sondern auch in der Schule.

Der Bruch kam dann für alle mit dem Jahr 1989. Die Wende war für mich persönlich vor allem ein großer Verlust. Meine Mutter ist 1989 über Ungarn in den Westen geflüchtet und lebt seitdem in Bayern. Auch Freunde und mein Gitarrenlehrer gingen nach drüben. Ich bin bei meinem Vater geblieben, zu meiner Mutter habe ich seitdem wenig Kontakt. Diese Erlebnisse haben bei mir aber nicht dazu geführt, dass ich mich zurückgezogen habe. Mein Bewusstsein für soziale Fragen ist eher stärker geworden. Ich halte mich irgendwie daran fest.

Nachdem ich zehn Jahre im Westen gelebt hatte, bin ich für einige Jahre nach Leipzig gezogen. Ich wollte als Erwachsener herausfinden: Was ist eigentlich in dieser Region mit jenen Menschen in meinem Alter passiert, die dort geblieben sind? Aber ich habe seltsamerweise kaum von Brüchen gehört. Ich kenne auch niemanden, der aus dem Osten in den Westen gezogen und dann wieder mit einem Anliegen wie meinem zurückgekehrt ist. Mittlerweile werde ich gelassener, aber ich freue mich immer noch, Menschen zu treffen, die sich mit dem Etikett Zonenkinder nicht abfinden wollen. Mit denen ich darüber sprechen kann, was in den vergangenen Jahren passiert ist und was die Zeit mit uns gemacht hat.

Protokoll: Maxi Leinkauf

Claudia Krieg, geboren 1977 in Magdeburg, ist Soziologin und arbeitet als Filmvorführerin. Sie lebt in Berlin-Kreuzberg

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Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

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