„Spiel was von Nena“, rief ein Italiener. Alle kannten 99 Luftballons, ich sang Leuchtturm. Den Refrain sangen alle mit. Es hatte für mich etwas Spirituelles, Entrücktes, irgendwie auch Europäisches. Ostern in Italien.
Während wir Eier färbten und bemalten, hörten wir Hannes Wader: „Leben einzeln und frei, wie ein Baum und dabei / brüderlich wie ein Wald, diese Sehnsucht ist alt …“. Da war ich ein Kind und meine Eltern hatten etwas, worum ich sie beneidete, eine Utopie, etwas, an das sie glaubten, jene sozialistische Idee, dass niemand Existenzängste haben darf. Sie hielten sich daran fest. Nicht am System, aber dem Gedanken.
Sie nahmen uns mit zum Festival des Politischen Liedes, wo Künstler wie Miriam Makeba oder Mikis Theodorakis auftraten. Mein Bruder und ich konnten sehen, wie es die Menschen bewegte, diese Lieder über Gleichheit, Gerechtigkeit. Es war mehr als Folklore.
Ich war niemals in einer „Gruppe“, eher vereinzelt, ich bin ein Wendekind, es löste sich alles auf. 2012 lernte ich beim Berliner Karneval der Kulturen einen Italiener kennen. Heute ist er mein Mann. Damals stritten wir, weil er, katholisch aufgewachsen, zu mir sagte „Ihr Atheisten müsst doch unendlich traurig sein.“ Ich musste lachen, wer ist denn heute noch katholisch, scusa. Es traf mich, womöglich, weil es mich beeindruckte, dass er an etwas glauben kann, während ich nicht wusste, woran ich mich festhalten sollte. Manchmal frage ich mich, wie ich meine Weltanschauung heute beschreiben würde. Offen und human vielleicht?
Wir saßen in unserer Küche, mein Mann und ich nahmen die Gitarren und spielten. Ostsongs, Westsongs, Canzoni. Ich lernte italienische Liedermacher kennen, katholisch geprägt, die das System kritisierten, die Institution Kirche, aber sie bleiben bei Jesus, dem Freund der Schwachen. Das erste Mal sah ich im toskanischen Dorf, wo die Familie meines Mannes lebt, ältere Frauen mit Olivenzweigen wedeln. Es war Ostern, sie standen vor der Kirche. Ein paar Tage später, ein neuer Kulturschock: Sogar mein Mann und die Brüder ließen sich vom alten Pfarrer die Füße waschen. Mir kam das kindisch vor, aber für sie ist diese Fußwaschung in der Abendmahlsmesse ein Ritual, wie unser Schwur auf den Arbeiter-und Bauernstaat. Anschließend trafen wir uns in der Bar, tranken und debattierten, wer den Speck und die Salsiccia für das Osterpicknick besorgt.
Inzwischen gehen auch unsere Kinder in die Kirche. Ich brauchte eine Weile, um damit klarzukommen. Ich dachte, mein Sohn soll sich niemals vor Gott für irgendwas entschuldigen müssen. Die Antwort meines Mannes: „Du siehst das viel einseitig, zu eng, Gott gibt unseren Kindern auch Trost.“ Und nach vielen Diskussionen, auch mit meiner skeptischen Mutter, sagte ich si.
Meine Eltern, mein Bruder und die italienische Familie saßen in der Kirche, während das Weihwasser über meinen Sohn floss. Eine schliche Zelebration im Rahmen der Ostermesse, ohne Tamtam, weihevoll. Wir sahen uns an, seltsam bewegt. Danach Prosecco, natürlich!
Und später am Abend, im Garten, sangen wir, mein Mann hatte Lieder von Gundermann ins Italienische übersetzt. Ich sang Nena, ihre Lieder behalte ich, ihre bizarren Corona-Äußerungen hin oder her.
Nach dem Ostermahl – die Italiener machen’s nicht unter zehn Gängen, manche schliefen fast – rezitierten unsere Väter auf Deutsch und Italienisch den Osterspaziergang. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.
Kommentare 13
Ehrlich und schön.
Will ja gern zugeben, dass ich da ein wenig neidisch werde. Große, singende, feiernde Familie. Glück gehabt. Aber Sie schummeln doch offensichtlich. Goehte hatte es ja nun mit dem Glauben nicht so.
"MARGARETE.
Nun sag, wie hast du's mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub', du hältst nicht viel davon.
FAUST.
Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ' ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
MARGARETE.
Das ist nicht recht, man muß dran glauben!
FAUST.
Muß man?
MARGARETE.
Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!
Du ehrst auch nicht die heil'gen Sakramente.
FAUST.
Ich ehre sie.
MARGARETE.
Doch ohne Verlangen.
Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
Glaubst du an Gott?
FAUST.
Mein Liebchen, wer darf sagen:
Ich glaub' an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
Über den Frager zu sein.
MARGARETE.
So glaubst du nicht?
FAUST.
Mißhör mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub' ihn.
Wer empfinden,
Und sich unterwinden
Zu sagen: ich glaub' ihn nicht?"
Windet sich doch hübsch heraus. Und dann heißt es eben "HIER ist des Volkes wahrer Himmel...". Hier - bei Spiel und Tanz und Essen und Bootsfahrt. Und nicht dort der von der Kirche aus mancherlei und durchaus auch unredlichen Gründen behauptete.
Und was mag Gundermann zu Nenas "99 Luftballons" wohl gesagt haben? Der stand doch keinesfalls wegen ein paar Luftballons auf der Bühne. Aber schon richtig, so ernst sollte man das alles nicht nehmen. Und darin sind ja viele Katholiken äußerst beweglich. Beichte ablegen und schon ist alles wieder gut. Ich werds niemals verstehen.
Aber egal und wie und wo auch immer gefeiert:Fröhliche Ostern.
Schön und ehrlich.
Was die italienischen - oder anderen mediteranen - Momente des Lebens angeht: Don Camillo und Pepone oder Alexis Zorbas, ja selbst Don Quichote, haben sich in meiner Erinnerung bald vollständig aufgelöst.
Als großer Freund von Kontemplation, innerer Einkehr und Inne-halten benötige ich keine externen Räumlichkeiten.
Und schon gar nicht eine - wie auch immer angestrichene - Amtskirche mit ellenlangen Blutspuren. Auch gab - und gibt - es ein Leben ohne Nena.
Ansonsten: Buenos Eires!
Es läuft doch immer wieder auf einen Punkt hinaus. Ganz technokratisch kann man die Religion als System sehen und anerkennen, dass sie ziemlich effektiv ist und m.E. eine Menge guter Eigenschaft, trotz all der Risiken und Nebenwirkungen hat.
Allein, man profitiert nicht von einer technokratischen oder rationalen Sichtweise, sondern der Glaube sollte, damit er wirklich in einem etwas bewegt möglichst kindlich sein. So glaubt man heute an rational zugänglichere Ersatzsysteme wie Kapitalismus, Staat und Wissenschaft, aber so richtig rückwärts fallen lassen, kann man sich da nicht. Es fehlt was.
"...Nena, ihre Lieder behalte ich, Ihre bizarren Corona-Äusserungen hin oder her"
"99 Impfminister
streichelten Vakszin-Kanister
Virenjäger mal'n nach Zahlen
an die Wand
der Hölle Qualen
Gespielte Pest schafft Wundermacht
Ach wer hätte das gedacht
Die Leute haben nichts gerafft
1000 hielten sich für schlau
sahen die Zukunft himmelblau
Doch 99 Wochen Pest
gaben der alten Welt den Rest
Seh' sie nun in Trümmern liegen
denk an Dich
und ihre Lügen"
Ich werde Nenas Lieder ebenfalls weiter behalten und in entsprechender Stimmung hören (live – bei Gelegenheit ebenfalls: gern wieder).
Plumpe Vereinnahmungsversuche wie die dargebotenen Agitprop-Schüttelreime werden daran sicher nichts ändern.
"Inzwischen gehen auch unsere Kinder in die Kirche. Ich brauchte eine Weile, um damit klarzukommen. Ich dachte, mein Sohn soll sich niemals vor Gott für irgendwas entschuldigen müssen. Die Antwort meines Mannes: „Du siehst das viel einseitig, zu eng, Gott gibt unseren Kindern auch Trost.“ Und nach vielen Diskussionen, auch mit meiner skeptischen Mutter, sagte ich si."
Nun, jedes Elternpaar muss das selber aushandeln, wer in der Ehe den Glauben und die Religion der Kinder bestimmt. Tradition tun das die Männer seit dem alten Rom (und früher) und die RKK verlangt heute noch von ihren Gläubigen, das sie das für ihr Seelenheit tun müssten, ansonsten würde die Ehe nicht vor Gott als Sakrament anerkannt, ergo zeigt sich das weibliche Geschlecht meistens als schwaches Geschlecht und gibt nach. Die naheliegendeKomptomisslösung wäre in meinen Augen, die Religionswahl den Kindern selbst zu überlassen und sie eben nicht als Babys taufen zu lassen und sie mit einer Zwangsmitgliedschaft in einer unterdrückerischen Institution zu "beglücken."
Sorry, noch die fehlerbereinigte Fassung:
"Inzwischen gehen auch unsere Kinder in die Kirche. Ich brauchte eine Weile, um damit klarzukommen. Ich dachte, mein Sohn soll sich niemals vor Gott für irgendwas entschuldigen müssen. Die Antwort meines Mannes: „Du siehst das viel einseitig, zu eng, Gott gibt unseren Kindern auch Trost.“ Und nach vielen Diskussionen, auch mit meiner skeptischen Mutter, sagte ich si."
Jedes Elternpaar muss das selber aushandeln, wer in der Ehe den Glauben und die Religion der Kinder bestimmt. Traditionell tun das die Männer seit dem alten Rom (und früher) und die RKK verlangt in einem Absolutheitsanspruch heute noch von ihren Gläubigen, dass ihre Schäfchen das für ihr Seelenheit und das der Kinder immer tun müssten, ansonsten würde die Ehe nicht vor Gott als Sakrament anerkannt. Ergo zeigt sich das weibliche Geschlecht meistens als schwaches Geschlecht und gibt nach. Die naheliegende Kompromisslösung wäre in meinen Augen, die Religionswahl den Kindern selbst zu überlassen, sie eben nicht im Babyalter taufen zu lassen und mit einer Zwangsmitgliedschaft in einer unterdrückerischen Institution zu "beglücken."
Nenas "Lieder behalte ich, ihre bizarren Corona-Äußerungen hin oder her."
Hallo Maxi Leinkauf, Nenas Lieder hin oder her, aber was ist an an ihren Corona-Äußerungen bizarr?
Ganz ehrlich: Schön.
An Nena stört mich , dass die überhaupt keine Stimme hat. Auch nicht am Ende der Welt. Nichts für ungut. Für die 99 Luftballons reichte dieser Sprechgesang, aber für Leuchtürme hätte sie ein bisschen mehr Oktaven gebraucht.
Danke für eure Kommentare... das Zweifeln wird wohl immer mal wieder kommen...