In seinem Facebook-Netzwerk sind zurzeit 2071 Freunde registriert, mehr als 300 bestätigten auf der Webseite, dass sie zu seiner Lesung kommen würden. Michael Nast kennen die meisten seiner Leser nur aus der digitalen Welt, aus Blogs, von Facebook, Myspace und seinem Twitter-Account. Im Netz hat er es zu einem gewissen Ruhm gebracht. Nun gibt es ein richtiges Buch von Nast, mit Sätzen auf Papier, einer Offline-Lesung und allem, was sonst so dazu gehört. Der bessere Berlinerist eine Sammlung alltäglicher Blog-Einträge. Aber folgen dem Autor 2.0 auch seine Leser in die analoge Sphäre?
Vor dem SO 36, dem legendären PunkClub in Berlin-Kreuzberg, drängen sich Männer und Frauen gemischten Alters. Schon eine Stunde vor Beginn sind die Bänke dr
#228;ren PunkClub in Berlin-Kreuzberg, drängen sich Männer und Frauen gemischten Alters. Schon eine Stunde vor Beginn sind die Bänke drinnen voll besetzt. Zwei Frauen aus der ersten Reihe sagen, sie seien gekommen, weil es „um Dates, One-Night-Stands und Beziehungschaos“ gehe. „Das passt zu uns.“ Von dem Autor hatten sie vorher allerdings noch nie gehört, geschweige denn von seinem Blog. Von der Lesung haben sie aus einem Stadtmagazin erfahren. Eine 25-Jährige neben ihnen sagt, sie sei Fotografin und extra aus Hamburg gekommen: Michael Nast kenne sie von seiner Myspace-Seite. „Ich fand sein Foto professionell und war neugierig, wer dahinter steckt.“Manche erkennen sich wiederNast betritt betont lässig das Podium, er macht es sich in einem Plüschsessel bequem, das Licht ist gedämpft. Neben ihm sitzt der Schauspieler Oliver Korittke, ein Freund von Nast. Die Lesung beginnt: Nast erzählt von „Frauen, die aussehen, als wären sie in einem Ostberliner Plattenbau groß geworden“. Von einem Mann, der auf einer Berlin-Mitte-Party zu einer Frau sagt: „Dich fick ich auch mit kleinen Titten“. Klappt dann nicht. Irgendwann setzt der Mann sich ins Taxi, um „Reste zu ficken“. In der Kulturbrauerei sei eigentlich immer was los, empfiehlt der Chauffeur. Der Saal grölt. Offenbar eine Szene, in der sich mancher im Saal wiedererkennt. Nast lacht.Da Sex so gut funktioniert, muss er gleich mal nachlegen. Nach einer früheren Lesung sei eine Frau auf ihn zu gekommen, erzählt er süffisant, und hätte zu ihm gesagt: „Steck mir doch einfach deinen Schwanz in den Mund.“ Es ist kurz still im Raum. „Schlampe“, ruft dann ein dicklicher Mittvierziger aus dem Publikum. Ein anderer Gast verlässt angewidert den Raum.Nast ist eigentlich Unternehmer, steht in seinem Profil auf dem Netzwerk Xing. Eigentlich. Kellner sind in Berlin oft auch eigentlich Drehbuchautoren, Sekretärinnen eigentlich Modedesignerinnen. Nast hat wirklich mal zwei Plattenlabels gegründet, er war in mehreren Werbeagenturen tätig, hat seine eigene aufgezogen. „Und von Deinem Buch kaufst Du Dir jetzt ’ne Finca?“, scherzt Korittke, der mit verstrubbeltem Haar und Dreitagebart weniger glatt wirkt als Nast, der trotz vulgärer Worte und Berliner Dialekt smart daherkommt. Nach der zweiten Geschichte, die wieder um den frustierten Single kreist, wird der Saal leerer. Nast liest eine längere Passage aus Patrick Süskinds Roman Das Parfüm, vergleicht seinen Protagonisten mit Grenouille, der Nase. Es passt nicht zu den Zoten davor, zuviel Kultur, die Stimmung sinkt.Zurück in die vertraute Zyniker-Single-Welt. Ist Nast so etwas wie die männliche Antwort auf „Sex the City“? Anders als im New Yorker Freundinnen-Lifestyle-Unviversum dreht es sich bei ihm, so grob wie banal, praktisch ausschließlich um den Akt, ob, wie oder warum er nicht stattfindet. Träume von der großen Liebe oder dem Traumpartner kommen bei Nast nicht vor. Trotzdem rennen die Frauen wie wild in seine Lesungen. „Wahrscheinlich hoffen sie, danach die Psyche des Mannes zu verstehen“, sagt er.Nach der Lesung eilen mehrere junge Frauen an den Buchstand, um sich von Nast ein Exemplar signieren zu lassen. Es geht hier um ihn, seine „coole Prominenz“, wie er das selber nennt. Manche interessieren allerdings tatsächlich auch die Texte. Ein Student, der eine Beziehung hat, fühlt sich an die Zeit davor erinnert: „Ein männlicher Single zwischen 20 und Mitte 30 findet sich in seinen Geschichten absolut wieder.“ Man bekommt ein wenig Mitleid mit der Freundin des jungen Mannes.Typisch BloggerEin 40-Jähriger ist hingegen von dem Abend enttäuscht. „Der Mann hat verloren“, sagt er energisch. „Was bleibt am Ende übrig von diesem Egotrip?“ Hätte er gewusst, dass der Autor mal Blogger war, hätte er sich die Lesung erspart. Blogger würden immer nur in ihrem eigenen Saft schmoren. Nach dem Pauschal-Bashing fällt ihm aber doch noch etwas Positives ein: Der Ansatz, „ins Taxi zu steigen, sich treiben zu lassen, irgendwohin“, der habe ihn gereizt. Nur mache Nast diese Bohème kaputt. „Was er vorliest, ist frauenfeindlich, ein Armutszeugnis“.Er habe sich nie als Blogger verstanden, sagt Nast, das Netz sei für ihn kein Selbstzweck, kein Ort für Alltagspoesie, sondern ein Instrument, seine Inhalte zu vermarkten. Blog, Myspace und Facebook seien für ihn nur Kanäle, um Aufmerksamkeit zu generieren. Eigentlich ist er ja Werber. An diesem Abend verkauft Nast vierzig Bücher. Sein Buch hat eine Startauflage von 6.000 Stück, es läuft ganz gut bisher. Bei all den Medien, auf denen Nast für sich wirbt, bleibt er aber doch seltsam ungreifbar.„Ich glaube, der Michael möchte gerne wie Til Schweiger sein“, sagt die Hamburger Fotografin. Ein bewegter Mann, der sich eigentlich eine feste Beziehung wünscht? Nast würde zustimmen. Aber immer wenn er eine Frau kennenlerne und ihr sagt, er hätte ein Buch geschrieben, liest sie es sofort. „Und dann denkt sie, ich sei ein frustrierter Typ, der viel Sex hat – und viel Bindungangst“. Es würde lange dauern, bis er sich gegen seine fiktive Figur durchsetzen könne. Mitunter sei es aber auch einfach nicht „sozial kompatibel“.Bei seinen neuen Erzählungen würden erstmals zwei Geschichten aus der Sicht einer Frau vorkommen, sagt Nast noch besänftigend einer aufgebrachten Lehrerin. Es klingt wie eine Drohung.
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