Klassentreffen in Kamp

Konzert Der Liedermacher Hans-Eckardt-Wenzel spielt seit 15 Jahren im Sommer ein Open Air an einem kleinen Hafen in Mecklenburg – Vorpommern

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Bei Wenzel dreht es sich eigentlich immer um Krisen
Bei Wenzel dreht es sich eigentlich immer um Krisen

Foto: Markus Altmann

Kamp liegt am Ende der Welt, zumindest aus Berliner Sicht. Man fährt ein paar Stunden auf der Autobahn und landet in der Nähe von Anklam, jener vorpommerschen Stadt, deren Kern schön anzusehen ist, nur die Menschen fehlen an diesem Ort, der ihnen kaum mehr Arbeit bringen kann.

Nur ein paar Kilometer sind es bis zu einem winzigen Hafen am Stettiner Haff, man überquert eine kleine Brücke, und kommt bald auf einen holprigen Landweg, an goldenen Feldern vorbei, weicht Traktoren aus, streift Sümpfe und Tümpel. Von weitem sieht man dann Campingwagen und Zelte auf einer großen Wiese. Die Wenzel-Community.

Seit 15 Jahren entführt der ostdeutsche Chansonpoet und einer der erfolgreichsten gesamtdeutschen Liedermacher sie an diesen entlegenen Ort – und spielt nahe der Ostseeinsel Usedom ein sehr persönliches Open-Air-Konzert, fast acht Stunden lang. Es sind Wenzel-Festspiele.

Der Hafenverein Kamp, der das alles organisiert, hat ein paar Imbissstände mit Fischbrötchen und Bratwurst aufgebaut, das Essen und das Bier ist günstig, im Moment stehen die Leute in Regencapes unter Bäumen, aber niemand beschwert sich, es kann in Strömen gießen, sie sind trotzdem glücklich.

Wenzel steht in seinem Matrosenshirt auf der Bühne und macht Soundtrack. Ein Mann erklärt, er sei mal bei einem Wenzel-Konzert in Köln gewesen, da waren nur hundert Leute gekommen. Köln ist eine Karnevalsstadt.

"Was habe ich euch versprochen, der Himmel klart sich auf", ruft Wenzel dann und viele Kinder, die vor der Bühne hocken, jubeln. Hier zwischen Wiesen und Meer steht er mit Mascha, der größeren Tochter und Theo, dem jüngsten Sohn (auch im Matrosenhemd) und singt "Grün ja grün sind alle meine Kleider..." Bei "Laurentia, liebe Laurentia mein ..." stehen sogar die Erwachsenen auf und machen ausdauernd Kniebeugen. Sie sind älter geworden, zusammen mit Wenzel. Antje Vollmer ist da, die Grünen-Politikerin, ganz unauffällig sitzt sie unter einer Linde, nur der Schriftsteller Christoph Hein, der eigentlich zum harten Kern der Kamp-Gemeinde gehört, fehlt diesmal.

Pause. Gulaschsuppe.

Dann kommt Wenzel solo, nur das Akkordeon und seine Stimme und die alten Lieder. Das ist schön. Seine Sicht auf die Welt wird nicht fröhlicher, aber diese Melancholie ist es, die sie hier mit ihm teilen wollen. "Alles wird immer knapper, die Hosen, der Leichtsinn, die Zeit ... die Sprache wird immer schlapper und lustlos die Heiterkeit..." Wenzel singt von europäischen Symbolen, von Stacheldraht und Elektrozaun, von Flüchtlingen die ferngehalten werden, und natürlich vom Wein, ohne den dieses Leben tragisch wäre.

Manche trinken ihn gleich aus der Flasche, aber niemand wird aggressiv, die Leute sind beseelt.

Wenzel besingt dann ein skurriles Klassentreffen nach der Wende, es geht um Aufsteiger, Neureiche. Alle kennen es und singen mit. Es ist ein schnelles Tanzlied, die Band rockt, Bänke werden beiseite geschoben.

Und alle sahen's ein bei dieser Feier / Wir werden immer schöner, immer freier / Und so wie Dick und Doof zusammen passen / So passen wir zu unseren Brüdern und Schwestern / Und darum Freunde, hoch die Tassen! / Vielleicht wird uns dereinst verziehn / Wir stammen aus dem Unrechts-, dem Unrechts-, dem Unrechtsregime!

"Ich bin der Guido aus Magdeburg", stellt sich ein Mann vor, Wenzel spreche ihm aus dem Herzen. Weil er die Sachen klar benennt. Müsse auch nicht immer intellektuell sein. Er drücke so ein vages Gefühl aus, womöglich das, noch immer nicht richtig dazuzugehören in diesem Land.

Es dreht sich bei Wenzel eigentlich immer um Krisen, persönliche und politische, er singt vom Verbranntwerden, vom niemals halb leben, von Europa, dem Dreck überall, vom Widerstehen. Und irgendwann schließlich vom Wunsch sich zu besaufen, "bis er grade wird der Blick".

Es ist Nacht geworden, Mücken stechen, Frösche quake in den Sümpfen. Einem Techniker, der seit Jahren umsonst aufbaut, wird auf der Bühne eine Ehrenmitgliedschaft im Kamper Hafenverein überreicht.

Am Ende folgt noch die Hymne, das Kamper Trinklied. Man kann sie eigentlich gut aushalten, welche Krise auch immer, an diesem Zipfel der Welt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

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