Liberté perdue

Sexismus Französische Feministinnen protestieren gegen den grassierenden Sexismus im Land - und sind empört, dass sich so wenig geändert hat seit Simone de Beauvoir

Pardon, erinnern Sie sich?
George Sand, Simone de Beauvoir, Francoise Sagan, Simone Veil und all die anderen französischen Frauen, die Heldinnen deutscher Feministinnen, die ihnen nacheifern wollten. Wo ist das Erbe dieser femmes liberées? Wie es scheint: perdu.

In diesen Tagen kommt es vielen Französinnen so vor, als müssten die Schlachten noch einmal ausgefochten werden. Der Fall DSK hat eine Wunde aufgerissen, von der die meisten Frauen glaubten, dass sie längst keine mehr ist. Französische Frauen laufen Sturm gegen den grassierenden Sexismus in der Grande Nation. Vor allem die Reaktionen auf die Verhaftung des einst mächtigen IWF-Patrons provozieren den feministischen Zorn.

Am vergangenen Sonntag demonstrierten rund 3.000 Frauen vor dem Centre Pompidou. Auf ihren Transparenten stand „Wir sind alle Zimmermädchen“ oder „Wenn eine Frau sagt Nein, dann heißt das Nein“. Es ist ein Slogan, der noch aus den bewegten feministischen 80er Jahren stammt, damals kämpften sie dafür, dass man eine Vergewaltigung überhaupt als ein Verbrechen ansieht.

„Ich hätte nie gedacht, solche sexistischen Worte noch einmal zu hören, dreißig Jahre später“, so eine schon früher radikale Feministin. „Es ist als würde ich für dieselben Sachen auf die Straße gehen“.

Die Organisatorinnen der Kundgebung, die Frauenvereinigungen Osez le féminisme, La Barbe und Paroles de Femmes hatten zur selben Zeit eine Petition gegen Sexismus lanciert, in der sie sich empören. Sie wurde bislang von mehr als 20.000 Personen unterschrieben, darunter die Staranwältin und Frauenrechtlerin Gisèle Halimi oder die Skandalautorin Virginie Despentes (Baise Moi - Fick mich).

Die Klasse verteidigt sich selbst

Die Aktivistinnen verweisen auf Zahlen: Jedes Jahr werden 75.000 Frauen in Frankreich vergewaltigt, aus allen sozialen Schichten. Von diesen Frauen wagen es etwa nur 10 Prozent, gegen ihren Vergewaltiger zu klagen. Nicht nur das müsse sich ändern. Schockierend seien auch die Reaktionen, die in der Grande Nation auf die Strauss-Kahn-Festnahme folgten.

Der ehemalige linke Kulturminister Jack Lang erinnerte etwa angesichts der Bilder des Machos in Ketten an einen mittelalterliches Schandpfahl, es sei doch schließlich „niemand gestorben“. Nach dem Kritikfeuer hat er sich schleunigst entschuldigt und als einen radikalen Feministen bezeichnet.

Der renommierte Publizist Jean Daniel schrieb im Nouvel Observateur: „Das Schicksal, das DSK durch die amerikanische Justiz, das ihm durch unsere Auffassung von Transparenz auferlegt wurde, von der Herrschaft der Bilder..., ist ganz einfach entsetzlich. Wir erlebten die publizistische Organisation einer Hinrichtung.“

Auch Robert Badinter, der ehemalige Präsident des Verfassungsrats, teilt diese Haltung. Natürlich sprang auch Salon-Philosoph Bernard-Henri Lévy in die Manege der mächtigen Unterstützer, „absolut widerlich“ und demütigend sei, was man aus New York sehe: „Das einzige, was ich weiß, ist das niemand auf der Welt das Recht hat, einen Mann den Hunden so zum Fraß vorzuwerfen“.

Verteidigt hier das Mitglied einer bestimmten sozialen Klasse seinen Klassenkameraden?

Die Eliten, oder die, die sich so nennen „können schwer an das Schlechte glauben, wenn es sich um einen von ihnen handelt“ schreibt Andrew Sulivan in The Daily Beast und das Wall Street Journal zerstört gleich noch einen großen Mythos: Aus dem Bild des amant français sei das des französischen Schänders geworden.

Für Osez le féminisme belegen die "sexistischen Witze, die man ständig zu hören kriegt, in Form einer Hitparade, wie sehr die Gewalt gegenüber Frauen in der kollektiven Vorstellung immer noch banalisiert wird. Wir erleben eine gravierende Verwechslung von sexueller Freiheit mit sexueller Gewalt“.

Der Libertin, der Verführer, der Macho, er brauchte in seiner Heimat lange nichts fürchten, selbst wenn er seine Grenzen überschritten hat: „Wäre diese Affäre in Frankreich passiert, hätten wir nie davon erfahren“, klagt die Grande Dame der Frauenrechte, Gisèle Halimi, in einem Interview mit Le Parisien. Sie feiert darin den Triumph der amerikanischen Feministinnen, doch die eigenen hätten versagt. „Ich bin wirklich enttäuscht von der Linken. Ich habe nicht gehört, dass Martine Aubry, Elisabeth Guigou oder Segolene Royal ihr Mitgefühl für das Opfer ausgedrückt hätten. Wenn ich es bedaure, dann weil es eine Sache gibt, die über der Freundschaft, dem Esprit des Clans steht: der Respekt vor Frauen. Oder wir brauchen nicht mehr über Sozialismus reden.“

Zutiefst sexistisches Klima

Dass gerade Vorbilder einer ganzen Generation, wie die frühere linke Präsidentschaftskandiatin Royal, seltsam reaktionär agieren, wenn es das eigene politische Lager trifft, ist erschreckend, und offenbar jahrelangen Kämpfen im politischen Zirkel geschuldet, die irgendwann abhärten oder einen abstumpfen lassen. Nun stolpert ihre Partei, die PS, ausgerechnet über sich selbst und über eine schwarze, muslimische Frau aus der Arbeiterklasse.

Virginie Despentes, die junge Skandal-Schriftstellerin, der oft vorgeworfen wurde, ihre Texte seien pornographisch, meldete sich im Guardian zu Wort und verwies auf das zutiefst sexistische Klima, das Frauen in den politischen Kreisen von Paris ertragen müssten.

Und das ist das eigentlich Verstörende an der Geschichte des gefallenen Machos, dass sie spiegelt, wie sehr Frankreich offenbar noch in einer Zeit verwurzelt ist, in der es schon genügt hat, einem Mann zu widersprechen, als Frau eine eigene Meinung zu haben, um von Tout Paris verteufelt zu werden (die Bestsellerautorin Benoîte Groult hat das schmerzhaft erlebt) – oder hatten wir hier nur ein falsches Bild von einer freien, sexuell freizügigen Art sich zu lieben, aber auf Augenhöhe?

Wie weibliche Selbstzensur in machistischen Gesellschaften – und die französische ist also noch eine solche - funktioniert, kann man auch am Beispiel von Tristane Banon sehen, einer jungen Journalistin, die behauptet 2002 von DSK in einem Appartement sexuell belästigt worden zu sein. Sie hatte damals alle Fakten notiert und wollte ihn anzeigen, doch ihre eigene Mutter (eine Sozialistin, die in der Normandie einen hohen Posten bekleidet) hielt sie zurück, aus taktischen Gründen. Sie wollte die Karriere ihrer Tochter nicht gefährden.

Nun ist er ungefährlich, als Gefangener in den USA. Frankreich habe nicht denselben Respekt vor Frauen, wie andere Länder, hat nun Anne Mansouret, Banons Mutter, verkündet. Es verharre noch immer in herrschaftlichen Traditionen - und das betreffe auch den Umgang mit Recht, sagte sie.

Nie mehr frei

Liberté, egalité, fraternité? Die Philosophie der Revolution scheint perdu und wurde umgemünzt in: liberté, egalité, infidelité (Freiheit, Gleichheit, Untreue).

Die in Paris lehrende italienische Philosophieprofessorin Michela Marzano, die vom eigenen Land wohl nicht mehr viel erwartet, ist nun auch von den Franzosen enttäuscht: Es komme ihr vor als hätten "die feministischen Kämpfe der 60er und 70er Jahre nie existiert."

Für viele Frauen trägt auch Anne Sinclair, ehemalige Starjournalistin und langjährige Ehefrau von Strauss-Kahn ein bisschen Mitschuld. Sie fragen sich wie es sein kann, dass diese schillernde, unabhängige Madame diesem mit libidinösem Charakter Geschlagenen noch immer wie eine treue Soldatin zur Seite stehen kann. Sie hat seine umtriebigen Liasions oft toleriert und weggewischt, selbst wenn sie als öffentlicher Skandal verhandelt wurden.

So ist sie auch jetzt über den Atlantik geflogen und hat ihren Gatten für eine Million Dollar Kaution aus dem Gefängnis gekauft.

Warum?

Machte sie sich damit nicht zur Komplizin seines machistischen Verhaltens, das Journalisten lange Zeit als „libertär“ verklärten? „Wie kann sie ihn unterstützen, nach solch einer Demütigung?“

Aber was zwei Menschen miteinander verbindet, verstehen wohl nur die beiden.

Im November will das Paar seinen 20. Hochzeitstag feiern, womöglich sogar in Freiheit.

Wirklich frei werden sie nie mehr sein.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin Kultur

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

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