Maria Schrader über ihren Film zum Weinstein-Skandal: „Es herrschte Druck“
Interview Maria Schrader hat die Harvey-Weinstein-Recherchen verfilmt, die zu #MeToo führten. Im Interview spricht die Regisseurin über die Dreharbeiten zu „She Said“: „Jeder in Hollywood denkt: Ich weiß, wie dieser Film aussehen muss“
Maria Schrader: „Es gibt wohl kaum eine Frau, die nicht eigene Geschichten erlebt hat, und wenn es nur alltäglicher Chauvinismus oder Einschüchterungen waren“
Foto: Magdalena Wosinska/The New York Times/Redux/Laif
Für das Interview in Berlin empfängt Maria Schrader im Hotel de Rome. Die Schauspielerin und Regisseurin sitzt auf einem breiten Sofa, trägt schwarz, und macht erst mal Smalltalk. Wenn sie vom Film redet, wird sie ernster, es fallen amerikanische Begriffe, Schrader ist jetzt auch in den USA gefragt. Als sie später über die Frauen spricht, die von Weinstein missbraucht wurden, gerät sie unvermittelt ins Stocken.
der Freitag: Frau Schrader, Ihr Film „She Said“ ist unaufgeregt, eine große Story, ganz nüchtern erzählt. Der Film handelt von den Recherchen zweier „New-York-Times“-Journalistinnen, die zur Enthüllung des Weinstein-Skandals führten. Die „New York Times“, Hollywood, das sind uramerikanische Ins
llywood, das sind uramerikanische Institutionen. Hatten Sie Angst, zu scheitern?Maria Schrader: Die Möglichkeit des Scheiterns ist bei jedem Film dabei, bei jedem Drehtag, bei jeder Szene. Sie kann inspirierend sein und kribbelnd. Hier hat sich auch Angst breit gemacht, ja. Besonders in der Vorbereitung. Es ist eine große Geschichte, wie Sie sagen, weltweit bekannt. Das kann man mit einem Film wie Ich bin Dein Mensch gar nicht vergleichen. Der war rein fiktional, ich hatte jede künstlerische Freiheit. Und das Budget war schmal.Der Film lief vergangenes Jahr auf der Berlinale und hat sich dann in 80 Länder verkauft.Ja, das war eine überraschende, schöne Reise. She Said war von Anfang an ganz anders. Es herrschte Druck. Nicht nur für mich.Man muss unweigerlich an Klassiker wie „All The President’s Men“ über die Watergate-Enthüllungen denken oder „Spotlight“ über die Aufdeckung sexueller Straftaten in der katholischen Kirche.Klar, Jodi Kantor und Megan Twohey haben für ihre Recherchen zum Fall Weinstein nicht nur den Pulitzerpreis gewonnen, ihr Artikel hat aus #MeToo eine große, ruckartige Bewegung gemacht, in der sprichwörtlich die Köpfe rollten. Unzählige Stimmen haben sich erhoben, Strukturen wurden hinterfragt, wir sind immer noch dabei, sie neu zu ordnen.Das war eine Zeitenwende.Es ist natürlich eine Riesensache, wenn das nun verfilmt wird. Und jeder in Amerika und in Hollywood hat irgendwie das Gefühl: Ich weiß, wie dieser Film sein muss.Inwiefern war das während des Drehs spürbar, dass es ein heißes Eisen ist?Es war in jedem Moment spürbar, was es bedeutet, einen Film über dieses Thema zu machen, der die Komplizenschaft der Filmindustrie ja nicht außen vor lässt. In dem jede Figur eine noch lebende Person ist – auch die ganzen Repräsentanten von Harvey Weinstein, die dort auftauchen.Weinstein selbst sieht man nur von hinten, als er mit Anwälten in die „NYT“ marschiert.Es sollte nicht um ihn gehen, sondern um die weiblichen Reporter, die ein System um Hierarchie und männliche Dominanz recherchieren. Die New York Times hat für uns das erste Mal die Tür aufgemacht. Es war aufregend, in den Räumen zu drehen, wo die Geschichteentstanden ist, auch wenn die echten Reporter im Homeoffice waren.Deutsche Regisseure, die in den USA erfolgreich sind, das ist eher ungewöhnlich. Warum geht das so gut, Maria Schrader und dieser Film?Wegen Unorthodox …Ihrer Miniserie über eine Jüdin in Brooklyn, die aus ihrer orthodoxen Gemeinschaft ausbricht.Ja, die Serie war in Amerika sehr erfolgreich, die mochten, wie ich das erzähle. Und es gibt im Kern eine Verwandtschaft zwischen Unorthodox und She Said: Mich interessiert es, wenn etwas sehr Persönliches, Privates, Intimes – in Unorthodox ist es die dysfunktionale Sexualität in einer arrangierten Ehe – mit gesellschaftlichem Erwartungsdruck kollidiert. Bei She Said ist es sexuelle Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen, in einer hierarchischen Industrie.In beiden Fällen ging es um eine extreme Realität.Ja, ich wollte eine Form von Gesellschaft porträtieren, die in der Kritik steht, wie die jüdisch-orthodoxe Community. Auch zur Weinstein-Affäre hatte jeder eine Meinung. Sie hat polarisiert. Im Zuge von Metoo war es diese Hashtag-Gerechtigkeit: „Down with the whole fucking establishment“. Und ich habe eher versucht, mich von solch einem allgemeinen Urteil fernzuhalten. Ich wollte mich an der Geschichte entlang hangeln, so konkret und gleichzeitig komplex wie möglich.Der Film dreht sich auch um die vielen unbekannten Frauen, die von Weinstein gebrochen wurden. Scheue, starke Figuren.Die „Survivors“.Survivors?Ja, diese Frauen sind keine Opfer. Sie sehen sich selbst nicht so. Sie sind Überlebende. Zum Teil Aktivistinnen. Es gibt für sie kein anderes Wort im Amerikanischen.Eingebetteter MedieninhaltIst diese Geschichte mehr als ein Filmprojekt für Sie?Es gibt wohl kaum eine Frau, die nicht eigene Geschichten erlebt hat, und wenn es nur alltäglicher Chauvinismus oder Einschüchterungen waren. Ich war sehr beeindruckt, die Zeuginnen kennenzulernen, die mit ihren Aussagen die Veröffentlichung möglich gemacht und damit die Welt verändert haben. Es ist ja eine Sache, sich einer Journalistin anzuvertrauen, die dann einen faktischen Artikel schreibt. Oder einem fiktionalen, emotional aufgeladenen und bebildernden Medium, das eine ganz andere Verbreitung erfährt. Allein die Tatsache, dass in dem Genre des Investigations-Thrillers ein solcher Raum für die Begegnung mit diesen wenigen, aber entscheidenden Frauen herrscht, ist für mich schon ein Grund gewesen, den Film zu machen. Natürlich wollten wir ihre Geschichten so erzählen, wie sie es für richtig hielten. Es war eine sehr gemeinschaftliche Arbeit, auch mit Jodi und Megan, den Journalistinnen. Und ihrer Redakteurin, Rebecca Corbett.Sie zeigen die Journalistinnen als Frauen zwischen Beruf und Muttersein und Ehe. Und nicht als Egoshooterinnen.Und ich habe sie genauso erlebt. Ich habe auch die Ehemänner kennengelernt, die Kinder, sie zeigten uns ihre Apartments, welche Kleidung sie tragen, ihre Eheringe. All das. Sie halfen uns in den Details, in der Sprache, in der Wortwahl. Sie waren sehr großzügig mit allen notwendigen Informationen, gleichzeitig natürlich auch geschmeichelt und aufgeregt, dass ein Film über sie gedreht wird.Auch die Männer verkörpern ein anderes Arbeitsethos.Ja, keiner von den Journalisten hat das Weinstein-Thema zu einer „Frauensache“ gemacht. Sondern sie haben sich mit der Geschichte identifiziert, sich dafür eingesetzt. Es ist gut, auch männliche Role Models in dem Film porträtieren zu können, die anders mit Hierarchie, mit Team, mit Frau- und Mannsein umgehen. So wie die Ehemänner. Daran ist auch nichts beschönigt. Es sind sehr attraktive, gut ausgebildete Männer in guten Jobs. Und es war mir wichtig, auch die Männer zu zeigen, die bewusst genau dieses Leben wählen, in dem klar ist: Wenn es für eine ihrer Frauen in die heiße Phase vor der Veröffentlichung einer Geschichte geht, dann müssen eben sie sich um die Kinder und den Haushalt kümmern. Klar wird es auch knirschen. Aber es bedarf dafür keiner großen Konfliktszenen.Es wird en passant miterzählt, ohne Idealisierung, wie sich die Recherchen auch auf die Familie ausgewirkt haben.Man sieht natürlich auch, dass der Alltag von „Working Women“ immer noch ein anderer ist als bei Männern, sogar bei erfolgreichen Journalistinnen der New York Times. Ich erlebe das selbst immer wieder in meinem Umfeld. In Die Unbestechlichen haben die berühmten Reporter Woodward und Bernstein …… die beiden, die die „Watergate-Affäre“ aufgedeckt haben ...… gar kein Privatleben. Es sollten einsame Wölfe sein, mit nur einer Mission. Das macht sie natürlich auch zu übergroßen Kinohelden.Sie selbst sind mehrfach preisgekrönt, Brad Pitt war Ihr Co-Produzent. Müssen Sie überhaupt noch kämpfen?She Said war ein Projekt, da wäre es aufgrund des Themas und der aktuellen amerikanischen Situation nach Metoo undenkbar gewesen, dass ein Mann das inszeniert. Aber wenn man sich die meistdiskutierten Filme dieses Jahres in Amerika anschaut, etwa 30, dann sind nur fünf von Frauen gemacht. Bei uns waren am Ende tatsächlich die meisten verantwortlichen Positionen von Frauen besetzt. Und ich habe das erste Mal mit einer Frau hinter der Kamera gearbeitet. Das war ein befreiender Schritt.Befreiend? Ist das für Sie nicht normal?Ich hätte mir vor She Said nicht vorstellen können, mit einer Frau hinter der Kamera zu arbeiten. Es ist mir fast ein bisschen peinlich, das einzugestehen, weil ich im Grunde gar nicht so denke. Aber ich habe bei meinen Projekten Morgenröte, Liebesleben oder selbst bei Ich bin Dein Mensch oder Unorthodox nie daran gedacht, mit einer Frau hinter der Kamera zu drehen. Ganz abgesehen davon, dass ich die Männer, mit denen ich gearbeitet habe, künstlerisch großartig finde und es gar nicht anders wollte, hätte ich mich mit einer Frau an meiner Seite aber schwächer gefühlt.Sie dachten, dass Sie am Set dann weniger respektiert werden?Ja, als könnte ich nur mit einem Mann an meiner Seite stark auftreten. Das hat sicher auch mit einem Projekt wie Morgenröte zu tun, wo 70 Männer mitmachten, die meisten älter als ich, aus aller Herren Länder, unter anderem Kaliber wie Matthias Brandt, Josef Hader. Ich hatte ein sichereres Gefühl mit einem Mann an meiner Seite, das ist ja auch nicht verwunderlich oder verwerflich. Aber She Said hat es nahegelegt, mit einer Frau zu arbeiten. Und es war in diesem Fall kein bisschen verunsichernd, im Gegenteil.Sie haben mal von Mobbing beim Film „Liebesleben“ erzählt.Ja, der Hauptdarsteller hat gegen mich gearbeitet. Wir kannten uns nicht gut genug, bevor wir uns füreinander entschieden haben. Er hat mich als Regisseurin nicht ernst genommen und wollte seine Vorstellungen durchsetzen. Er hat sich geärgert, wie stur ich war. Und vielleicht habe ich auch unsouverän gewirkt. Es ist ein andauernder Prozess. Mit She Said bin ich jetzt noch mal in eine andere Welt aufgebrochen, auch in eine andere Budgetwelt, eine ganz andere Größe.Sie schreiben mit Jan Schomburg, Ihrem Lebensgefährten, zusammen Drehbücher. Worin besteht diese Arbeit für Sie?Das Glück liegt in der gegenseitigen, andauernden Neugier auf die Ideen oder die Gedanken des Anderen, in einer gegenseitigen Bewunderung. Wir teilen Ausdauer, eine gemeinsame geschmackliche Neigung. Wir fragen uns: Was suchen wir eigentlich? Und dann hebt sich dieses Stereotyp von weiblichem und männlichem Blick komplett auf.Placeholder infobox-1
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