Fäuste zweier Länder, vereinigt euch: Ian und Sandra (Mitte) posieren mit der Familie
Foto: der Freitag
Auf dem Plakat am Eingang steht als Aufruf: „Was tun“. Die Wabe, ein Kulturhaus im Berliner Ernst-Thälmann-Park, ist seit Längerem von Sparplänen bedroht. Axel Prahl stand hier schon mit der Gitarre auf der Bühne, um dagegen zu protestieren. An diesen Nachmittag grillen junge Leute auf der Wiese, die von Plattenbauten umringt ist. Wie Fremdkörper wirken die Gebäude in Prenzlauer Berg, zwischen Dachterrassen und Townhouses. Dann gibt es hier noch eine Schwimmhalle, einen Spätverkauf, einen Teich. Und Thälmann. Bei ihm kann man jetzt heiraten.
„Vor dem Ernst-Thälmann-Denkmal in der Greifswalder Straße wird ... um 14 Uhr eine freie Trauung eines deutsch-schottischen Paares stattfinden. Und zwar nicht trotz des Thälmann-De
8;lmann-Denkmals, sondern gerade wegen des Thälmann-Denkmals!“ Die Mail hatte der „Freundeskreis Ernst-Thälmann-Gedenkstätte“ herumgeschickt. Für Sandra und Ian sei Teddy ein Held. A Hero.Die Braut, in weißem Kleid, steht an der Straßenecke und zieht an einer Zigarette. Brautjungfern zupfen am Kleid. Der Bräutigam dürfe sie ja vorher nicht sehen. „Thälmann? Der hat was mit Ostberlin zu tun, oder?“, sagt Debby, eine Nichte von Ian, in Englisch mit starkem schottischen Akzent.Lieber ein Freiheitshochhaus?Dann eilt sie über den großen leeren Platz, zum Monument. Die Graffiti auf der Thälmann-Statue hat jemand mit roten Tüchern verdeckt, auch das Rede-Podest ist mit Rot überzogen. Das Hochzeits-Grüppchen hat sich vor dem Monument versammelt, lauter Männer in Schottenröcken, die Frauen mit hochgesteckten Frisuren.1986 hatte Erich Honecker zu Thälmanns 100. Geburtstag die 50 Tonnen schwere Bronze-Statue und das Wohngebiet um sie herum eingeweiht. Heute fordert die CDU-Politikerin Angelika Barbe (eine ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin) den Abriss dieses „falschen Symbols“. Sie hätte lieber das Wort „Freiheit“ – als ein Hochhaus gebaut.Sandra, die Braut, schreitet über den Platz. Sie greift Ians Hand, der Mann im Kilt, kleiner als sie und deutlich älter, hält sie sehr fest. Thälmann schaut weg.„Es war mal eine abenteuerlustige Frau, die zog es in die Welt“, fängt die Rednerin an. Es zog sie nach Dumfries genauer gesagt, in den Süden Schottlands. Sie arbeitete im Pub, fühlte sich wohl und beschloss: Hier bleibe ich. Für immer. Ihr Vater, Jürgen, kam sie häufiger besuchen, ging oft in den Pub und lernte dort Ian kennen. Anfang 50, Single. Ein feucht-fröhlicher Abend wurde es, und dann stellte Jürgen dem Stellwerkmeister seine Tochter vor. „Jürgen, wo ist Jürgen? Du hast dir einen warmen Applaus verdient!“, ruft die Rednerin. Alle klatschen. Sandra wischt sich ein paar Tränen aus den Augen.Heiraten ist in den vergangenen Jahren zum Event geworden. Es soll möglichst ausgefallen, skurril, auf jeden Fall grandios sein. In Berlin gern auf Terrassen mit Spreeblick oder gleich auf dem Partyschiff. Nun also auch beim Sohn seiner Klasse. Den Wunsch, ein klassisch bürgerliches Ritual mit Sinn aufzuladen, gab es zu allen Zeiten, in allen Gesellschaftsordnungen. Im Sozialismus war die Ehe zudem irgendwie politisch, der einzelne Mensch hat nicht ohne den Staat existiert. In Moskau besuchten Hochzeitspaare nach ihrer Trauung das Lenin-Mausoleum, noch heute lassen sie sich davor fotografieren. Und in der Ukraine ist ein Minenarbeiter der Held, den Hochzeitsgesellschaften ehren. In der DDR haben manche Frischgetrauten zunächst die ewige Flamme des unbekannten Soldaten an der Neuen Wache besucht.Held aus der SchulzeitFür Sandra und Ian scheint der Ort mehr zu bedeuten als eine Kulisse. Er ist auch ein Bekenntnis. Sie trauen sich hier „zu Ehren von Thälmann, weil er so mutig für Freiheit und Gerechtigkeit gekämpft hat“, sagt die Rednerin. Ian kannte den Namen „Teddy“ für Ernst Thälmann schon als Kind.Ians Vater, Kommunist und Gewerkschafter, kämpfte in der „Free-Teddy-Bewegung“ für die Befreiung Thälmanns aus dem Gefängnis. Und als Ian hörte, dass manche in Berlin das Denkmal weghaben wollten, protestierte er vehement.In der Hochzeitsrede geht es jetzt um die Mühen der Ebene: Ian sei sehr ordentlich, Sandra sehe das eher locker. Es gab deswegen Stress. Sie belegten dann gemeinsam Kochkurse. „Liebe geht ja auch durch den Magen.“ Und sie lebe von Kompromissen.Nach der Rede gratuliert die Frau vom Ernst-Thälmann-Freundeskreis, der die Hochzeit mitausgerichtet hat. Ihre Glückwunschkarte zeigt Thälmanns Gesicht, eine vergrößerte Briefmarke, gestaltet von einer russischen Künstlerin in den Achtzigern. „Kämpft weiter im Sinne Thälmanns. Die Faust könnt ihr sicher noch gebrauchen“, sagt die Frau. Nach Kompromiss klingt das eher nicht. Sie agitiert noch ein wenig. An so einem Antifaschisten wie Thälmann wir uns orientieren in Zeiten erstarkter Rechter und der Thüringer Zelle.Vom anderen Ende des Platzes tönt plötzlich ein Dudelsack. Ein dicklicher Mann in Tracht steuert langsam auf die Gruppe zu, während er schottische Weisen spielt. Die Gruppe bildet ein Spalier. Als er nahe beim Paar steht, also auch bei Thälmann, spielt er die Ode an die Freude aus der 9. Sinfonie von Beethoven. Die Europa-Hymne, Dumfries-Berlin, die Achse geht!„Das mit dem Honorar regeln wir später“, ruft Brauvater Jürgen dem Dudelsackspieler zu. „Ist gut“, sagt der Mann. „Den habe ich im Netz gefunden und sofort gebucht“, sagt Jürgen und erzählt dann von Sandra, die als Filialleiterin in einem schottischen Restaurant arbeite. Was Service angeht, „können die Schotten ja noch was von uns lernen“. Die Kellner nähmen nur einen Teller statt drei in die Hand. Sandra stellt sich kurz dazu, bleibt aber gedanklich bei ihrem Helden Thälmann. „Stauffenberg und die anderen, dit’ warn doch Feiglinge. Die haben doch nur gemerkt, dass es bald zu Ende ging.“ Teddy aber habe „diese Einzelhaftgeschichte“ durchgestanden. „Von mir“, sagt Jürgen, „kann sie das nicht haben. Da muss was aus der Schule hängen geblieben sein.“ Er macht ein Bier auf, die Schotten wollen weiter. Ins Irish Pub.
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