Nah dran

Porträt Rumer singt traurige Songs über Männer, die einen sitzen lassen – die kennt sie aus dem Leben. Und träumt trotzdem von einer Familie
Eine Britin, die ihre pakistanischen Wurzeln pflegt und vom Saufen und Alleinsein singt
Eine Britin, die ihre pakistanischen Wurzeln pflegt und vom Saufen und Alleinsein singt

Foto: Lars Borges

Das Interview verzögert sich: Rumer fühle sich leer, sagt die Assistentin. Man müsse sich etwas um sie kümmern. Eine halbe Stunde später kann es dann stattfinden. Rumer sitzt auf dem Sofa in ihrem Berliner Hotelzimmer, tippt auf dem iPhone herum, macht Scherze, sie wirkt gar nicht so missmutig. Für das Foto-Shooting wickelt sie sich in eine Wolldecke, sie würde so gerne schlafen, sagt sie, legt sich hin und lässt sich dabei ablichten. Dann wird sie plötzlich wieder wach. Ihr Tourmanager ist noch im Raum, mit aufgeklapptem Laptop auf dem Schoß. „Was machst du da?“, fragt Rumer und sagt ihm, er solle das Zimmer verlassen. „Ich gebe gleich ein Interview, es ist ein bisschen persönlich.“ Der Mann steht sofort auf und geht. „Ich glaube, er hat ein bisschen Angst, dass ich Ihnen falsche Dinge sage. So etwas wie: Ich werde mich umbringen oder so“, erklärt Rumer und lacht ein wenig zynisch. Sie gießt Wasser in zwei Gläser, und es geht los.

Der Freitag: Rumer, das soll heute nicht Ihr Tag sein. Gibt es einen Grund?

Rumer: Ich bin emotional sehr erschöpft, einfach müde. Ich fühle mich vollkommen überarbeitet. Es ist ein Wunder, dass das Album überhaupt erschienen ist.

Es ist schön geworden ... Aber nachdem man es gehört hat, fühlt man sich niedergeschlagen.

Wirklich? Ich glaube, es ist einfach meine Bestimmung, jeden mit mir herunterzuziehen. Wenn es mir schlecht geht, kommt ihr alle mit ... Mich stimmen diese Lieder aber nicht traurig. Sie lassen etwas frei. Sie sind wie ein Vogel, der meine schmerzhaften Gefühle weit fortträgt. Man muss sie zu-lassen, damit sie vergehen können. Wenn man etwas sehr Emotionales vermeiden oder verdrängen möchte, sollte man wohl lieber nicht meine Musik hören.

Auf Boys Don’t Cry interpretieren Sie ausschließlich von Männern geschriebene Songs.

Ich war einfach neugierig auf die männliche Psyche. Und ich habe viel über sie gelernt. In dem Song „Home Thoughts From Abroad“ gibt es so eine spezielle Männlichkeit: diese Frustration, wenn ein Mann nützlich sein will, und es nicht sein kann. Männer wollen sich immer nützlich fühlen, nach dem Motto: Brauchst du vielleicht Hilfe? Also auf eine praktische Weise. Genau. Sie sind frustriert, wenn sie nicht in der Lage sind, zu helfen. Wenn im Haus ein Nagel in die Wand gehauen werden muss, und das tut jemand anderes, dann entsteht so eine maskuline Eifersucht, eine passive Aggression. Jeder Mann will der Einzige sein, der hilft. Ich habe das oft erlebt.

In den Liedern geht es auch um Männer, die sich nicht auf Beziehungen einlassen können.

Ja, die sich nicht bekennen. Manche leben nur diesen flüchtigen Moment und hauen wortlos ab. Andere sagen zumindest: Hey, das kann jetzt einfach nur ein Augenblick sein. Einer gibt zu: Ich will mich nicht engagieren, ich suche nur jemanden, der mir die Wäsche macht, in Neil Youngs „A Man Needs A Maid“.

Die sollen exemplarisch für alle Männer stehen?

Es sind männliche Charaktere. Ein anderes Lied, das schließlich doch nicht auf der Platte landete, handelt von einem Mann, der immer betrunken war. Er sagte der Frau, die er liebte: „Wenn es kompliziert wird, haue ich ab“. So ist das üblicherweise – man kann sich auf Männer nicht verlassen. Männer haben Angst.

Frauen etwa nicht?

Doch, sie fürchten sich auch. Nur von Männern erwartet man das nicht. Sie gelten immer noch als mutig. Und es ist interessant, festzustellen, dass sie gar nicht so stark sind, wie wir denken. Ich bin einfach neugierig auf diese neue emotionale Landschaft. Auf der anderen Seite erzählen diese Songs auch meine eigene Geschichte. Sie entschleiern meine Situation. „Just For a Moment“ beispielsweise. Ein Trinkerlied. Ich hatte selbst mal so eine Phase, in der ich nur gesoffen habe.

Warum zieht es Sie zu solchen schwermütigen Songs?

Ich bin depressiv. Das kann ich nicht verheimlichen.

Waren Sie in Therapie?

Ich hatte ein paar Sitzungen, aber ich finde viel zu wenig Zeit.

Wegen Ihrer Musik?

Ja, und all diesen Problemen. Ich fühle mich so verletzlich, da ist so ein Kummer und eine Sehnsucht nach meinem alten Leben ... Manchmal muss man zurückgehen, um wieder nach vorne zu kommen. Ich bin ehrlich und habe das mit diesen Lieder getan.

Sehnsucht nach dem normalen Leben?

Ich bin depressiv, weil ich mich wie ein Tier in einem Zoo fühle.

Interviews, PR-Auftritte, Medien – die Folgen des Erfolgs belasten Sie?

Ich war früher schon niedergeschlagen. Im Moment verliere ich jedoch den Bezug zur Realität. Es geht alles so schnell, 100 Meilen in der Stunde, nur Flugzeuge, Züge, Hotels, Taxis.

Von Journalisten werden Sie mit großen Sängerinnen wie Karen Carpenter oder Joni Mitchell verglichen – und als die Stimme einer neuen Folk-Welle bejubelt. Wie kann man es schaffen, in der Musikszene abseits von solchen Stereotypen seinen eigenen Platz zu finden?

Ich bin ja noch gar nicht richtig drin im Business. Ich konzentriere mich auf meine Lieder, auf das Musikmachen. Diese Idee von Kunst und Kommerz finde ich schwierig. Aber ich bewege mich weder in der Celebrity-Szene noch gehe ich auf Fashion-Shows. Ich werde auch nicht eingeladen.

Kann das auch an Ihrer Biografie liegen? Sie mussten sehr früh erwachsen werden, pflegten Ihre krebskranke Mutter, sind ein Scheidungskind und haben mit elf Jahren erfahren, wer Ihr richtiger Vater ist.

Ja. Mein Vater war unser pakistanischer Koch. Er gehörte zur Familie. Meine Mutter hat es mir später gesagt und mich zu ihm geschickt, bevor sie starb. Sie wollte, dass wir uns noch mal begegnen, dass vor ihrem Tod alles geklärt ist.

Sie sind nach Pakistan gereist, aber er war wenige Monate zuvor gestorben.

Ich wusste in meinem Herzen, dass er schon tot war. Das hat sich dann bestätigt. Es war eine schreckliche Zeit. Mein Freund, der mit mir unterwegs war, machte sich große Sorgen. Nachdem ich hörte, dass mein richtiger Vater nicht mehr lebte, verlor ich fast sieben Kilo. Ich hatte aufgehört zu essen, fühlte mich wie erschossen. Ich schlitterte in die schlimmste Depression meines Lebens.

Als Tochter eines britischen Ingenieurs begegneten Sie dort einem eher einfachen Milieu – wie war das?

Die Familie meines Vaters lebt sehr abgeschieden, in einem Tal in den Bergen. Da gibt es kein Internet, da gibt es fast gar nichts. Es ist eine andere Welt. Ich verhülle mich, verhalte mich ruhig als Frau. Ich werde bald wieder hinfahren.

Wissen Ihre Halbgeschwister, wer sie besuchen kommt?

Sie ahnen es vielleicht, dass ich ihre Schwester bin, aber offiziell bin ich eine nette Bekannte aus Europa. Ich würde es gerne verraten, aber das wäre egoistisch.

Weil uneheliche Kinder dort verpönt sind?

Die Witwe meines Vaters lebt noch. Sie ist eine alte Lady. Und ich habe Respekt. Es ist besser, nichts zu sagen. Mir haben vorher einige Menschen geraten, sehr vorsichtig zu sein. Die Familie könnte in ihrer Gemeinde stigmatisiert werden, wenn ich sage: Hey, hier kommt eure lang verlorene Schwester.

Eine bekannte Sängerin, die auch mal Geld schickt.

Ist doch in vielen Kulturen normal, dass Verwandte, die woanders leben und arbeiten, ihre Familie unterstützen. Meine Geschwister wissen jedoch auch nicht, dass ich Musik mache. Sie fragten nur: „Hast du einen guten Job?“ Ja.

Sie verbrachten die ersten fünf Jahre in Islamabad. Woran erinnern Sie sich?

Es war wunderschön, wie in einem Feriencamp. Das Viertel, in dem wir wohnten, war damals eine Gastarbeiter-Enklave. Heute ist es verödet, eine Geisterstadt. Ich fühle mich weniger verbunden mit dem Land, dessen Landschaft mir fremd ist, als mit den Menschen. Sie sind mir nahe. Ich verhülle mich und verhalte mich sehr ruhig, wenn ich dort bin. Meine Geschwister erinnern sich noch besser an früher, sie sind dort groß geworden. Aber ich bin diejenige, die zurückfährt.

Wie ist Ihr Verhältnis zu dem Vater, mit dem Sie groß wurden? Da ist eine gewisse Distanz. Als meine Eltern sich scheiden ließen, zog er nach Australien. Ich wünschte, unser Verhältnis könnte besser sein. Aber er war während meines ganzen Erwachsenwerdens weit weg.

In einem früheren Lied über Aretha Franklin singen Sie vom Blues im Frühling: „Ich hatte nie die richtigen Schuhe, aber ich hatte Worte.“ Handelt es auch von Ihnen?

Ich fühlte mich in der Schule nicht am richtigen Platz. Ich war immer anders, also nicht modisch oder cool. Aber ich hatte Talent. Es brach irgendwann einfach aus mir heraus.

Sie haben jahrelang gekellnert, Handys repariert und andere Brotjobs gemacht. Was konnten Sie dabei erfahren?

Wir hatten lustige Zeiten. Das Beste an all diesen Jobs waren die Menschen, die ich getroffen habe. Ich habe gelernt, dass es im Verhalten zu anderen Menschen vor allem darum geht, integer zu sein, ob beim Toiletten putzen oder beim Werbung verkaufen. Ich wollte immer dazugehören, unter einfachen Leuten sein, dann war ich glücklich. Ich stehe gern an der Bushaltestelle, sitze mit Menschen im Zugabteil. Ich bin gerne Teil von etwas, das sich bewegt. Das scheint alles so weit weg.

Was vermissen Sie denn?

Einfach mal auf einen Drink in den Pub gehen. Fernsehen schauen, das tun, was alle anderen tun.

Seltsam, dass Sie sich selber mal einen Kontrollfreak genannt haben.

Ich versuche das, aber mein Alltag ist außer Kontrolle geraten. Ich kann nicht mehr beeinflussen, was Leute über mich im Internet sagen oder welche schrecklichen Bilder sie von mir machen. Was sie sich zusammenspinnen, wenn ich schlecht drauf bin. Jedes kleine Ding, das ich hasse, liegt nicht mehr in meiner Hand.

Wollen Sie auch Ihre Gefühle kontrollieren?

Nein, tue ich nicht. Aber jedes Mal, wenn mein Herz gebrochen wird, erkenne ich wieder, warum ein Mensch sich entscheidet, sich nicht einzulassen. Man denkt ja immer daran, wie schmerzhaft es ist, wenn etwas nicht funktioniert.

Jeder hat Verlustangst.

Ich fürchte mich nie davor, mich zu verlieben. Aber im Moment geht es mir schlecht: Ich wurde gerade von jemandem sitzen gelassen. Er kam nicht damit klar, dass ich so viel unterwegs bin.

Sie doch offenbar auch nicht.

Ein Ausgleich wäre gut. Eine Balance. Wie könnten Sie die finden? Die wenigsten steigen einfach aus.

Ich glaube, wir sollten das Internet abschaffen. Wir sind so besessen davon. Wir leben in ihm. Das ist so gruselig.

Sie haben ein Facebookprofil.

Ich nutze es ja auch. Aber man kann da nicht wirklich in einen Kontakt mit Menschen kommen. Es ist doch viel schöner, in einen Buchladen zu gehen. Oder sich um die Ecke mit jemandem zum Tee zu verabreden. Und nicht dieses Gefühl haben zu müssen, dass man etwas verpasst, nur weil man fünf Minuten seine E-Mails nicht gelesen hat.

Oder das schlechte Gewissen, wenn man nicht sofort reagiert.

Es beschäftigt einen trotzdem, dein Kopf ist voll davon. Und jeder kann dich kontaktieren, morgens, mittags, nachts. Das ist doch völlig verrückt.

„Träumerin“ steht unter Ihrem Profilbild und „sehr gesellig“ . Ganz verloren sind Sie also nicht.

Ich glaube an Liebe. Ich möchte heiraten, eine Familie. Ich träume oft davon, ein Baby zu haben. Denn ich will Kinder, mindestens eins. Ich bin 33. Es ist höchste Zeit.

Haben Sie etwa Torschlusspanik?

Ja! Ich bekomme manchmal Halluzinationen und Albträume, dass meine biologische Uhr schon abgelaufen ist. Dass ich nicht mehr gebären kann.

Also müssen Sie sich jetzt einen soliden Mann suchen.

Ich werde erst mal mein nächstes Album machen. Diesmal soll es happy werden.

Das werden Sie dann auch ...

Ich kann mich hoffentlich bald mit einem Typen niederlassen. Er soll einfach nur nett sein und gut. Mehr verlange ich gar nicht.

Rumer, deren Künstlername von der englischen Schriftstellerin Rumer Godden inspiriert ist, heißt eigentlich Sarah Joyce. Sie verbrachte als Tochter eines Ingenieurs und als jüngstes von sieben Geschwistern die ersten fünf Jahre in Pakistan. Ihr Vater überwachte dort den Bau eines Staudamms. Arbeiter aus aller Welt lebten samt ihrer Familien wie in einer Enklave. Rumer fing damals an, mit ihren Geschwistern Songs zu schreiben. Zurück in London ließen sich ihre Eltern scheiden und Rumer erfuhr, wer ihr richtiger Vater ist – ein Pakistaner. Rumer begeisterte sich für Musicals und Judy Garland, sie besuchte ein Kunst-College und gründete 2000 die Folk-Band La Honda, die zerbrach. Sie verdingte sich als Kellnerin, putzte Toiletten, reparierte iPods und verkaufte Werbung. Abends spielte sie in Clubs und wurde von einem Komponisten für Fernsehmusik entdeckt. Sie arbeiteten beide an Rumers DebütalbumSeasons of my soul, das 2010 bei Atlantic Records erschien und Soul-Pop mit Jazz vereint.Die erste Single „Slow“ wurde einer der meist-gespielten Songs im Radio, nach sechs Wochen hatte das ganze Album Platin-Status. In „Aretha“ huldigt sie Aretha Franklin, deren Musik sie in schwierigen Zeiten begleitet habe. 2011 erhielt Rumer den Brit Award für den Best Alternative Act. Ihr zweites Album Boys Don’t Cry ist in diesen Tagen bei Warner er-schienen. Es versammelt weniger bekannte Songs aus den siebziger Jahren, die ausschließlich von männlichen Songwritern stammen, darunter Stücke von Bob Marley oder Neil Young. ML

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin Kultur

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

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