Porträt Joumana Haddad bricht gern Tabus. Als Dichterin und Journalistin kämpft sie im Libanon für die Freiheit der Frauen. Auch mit einem Erotikmagazin. Ist sie eine Feministin?
Joumana Haddad kommt pünktlich in das Bistro in Berlin-Mitte. In der französischen Bücherei nebenan wird sie an diesem Abend ihr Buch Wie ich Scheherazade tötete vorstellen. Ins Bistro begleitet wird sie von ihrem 11-jährigen Sohn, im Radio läuft Bob Dylans „Like a Rolling Stone“. Haddad bittet die Serviererin, leiser zu drehen. Sie lässt sich in einen der Sessel fallen, legt ihr Blackberry auf den Tisch, bestellt Saft. Sie spricht Französisch mit arabischem Akzent und schaut oft zu ihrem Sohn. Er spielt Computerspiele auf seinem Nintendo DS.
Der Freitag: Frau Haddad, wann waren Sie zuletzt mit einem Mann im Restaurant?
Jomana Haddad:
Das ist genau zwei Tage her – und ich habe gezahlt!
In Ihrem Buch steht, Sie hassen es, die Rechnung
Das ist genau zwei Tage her – und ich habe gezahlt! In Ihrem Buch steht, Sie hassen es, die Rechnung zu begleichen.Aber diesmal war ich bewusst diejenige, die ihn einlädt. Ich mag es nicht, dass man zu zweit Essen geht und jeder zahlt für sich. Mir geht es dabei nicht um das Geld, sondern es gibt einige Eigenschaften der männlichen Identität, die ich schätze. Eine davon ist Großzügigkeit. Ich halte es für einen großen Mangel an Galanterie, mit einer Frau auszugehen und diese charmante Geste auszulassen.Sie können sie genießen, weil Sie unabhängig sind?Stimmt. Ich bin in der Lage, selber zu zahlen. Ich würde mich natürlich niemals aushalten lassen. Am Anfang meines professionellen Lebens hatte ich dagegen den Reflex entwickelt, dass ich meine Freunde immer einlade. Ich wollte beweisen, dass ich niemanden brauche.Sie sind als Journalistin und Autorin in Beirut erfolgreich und rebellieren gegen das Klischee, arabische Frauen seien verhüllt, unterwürfig und frustriert. Gleichzeitig bestätigen Sie es in Ihrem Buch.Natürlich ist dieses Bild real, aber es ist unvollständig. Es gibt die Burka, die ich demütigend finde. Und es gibt in unseren muslimischen Gesellschaften die Frau als Opfer. Aber es gibt auch viele andere Frauen.Sie gelten als harte Kritikerin des Patriarchats.Emanzipierte arabische Frauen sind in der Minderheit, aber man muss uns endlich wahrnehmen. Viele Medien suchen sich lieber Stereotypen. Sie stürzen sich auf ein sensationelles Ereignis oder eine Kontroverse und stellen die arabische Welt und ihre Menschen so dar, als sei das alles ein großes hoffnungsloses Gefängnis.Vor ein paar Tagen war ich zu Gast an der Islamischen Universität in Beirut und las dort aus meinem Buch. Ich war überrascht, dass man mich eingeladen hatte. Die Zuhörerinnen waren alle verschleiert, das ist eigentlich nicht mein typisches Publikum. Die Frauen stellten provokante Fragen, warum ich beispielsweise so offen über den Körper schreibe. Ich fand die Konfrontation spannend. Wenn ich mit solchen Frauen rede, sage ich ihnen: ‚Die Werte, an die ihr glaubt, sind nicht das Monopol irgendeiner Religion, sondern es sind humane Werte. Aufrichtigkeit und Liebe: Das teilen wir alle.‘Wie reagieren diese Frauen auf Sie?Am Anfang waren sie sehr reserviert. Aber nach einigen Worten und Fragen haben wir das Eis gebrochen. Sie haben gespürt, dass ich nicht gekommen war, um sie von meinen Ideen zu überzeugen, sondern nur um sie vorzutragen. Sie hören mir zu, wenn ich mich empöre, dass man Frauen wie ein Accessoire behandelt und auf den zweiten Rang verweist. Und auch wenn sie meine Ansichten nicht teilen können, denken sie darüber nach. Wir teilen zwar nicht dieselbe Vision vom Leben, aber ich bin ehrlich. Das spüren sie.Ich habe vor ein paar Tagen eine Mail von einer dieser Musliminnen bekommen: (Sie sucht in ihrem Blackberry und liest dann vor) ‚Es war ein Vergnügen, Ihnen zuzuhören. Mir war, als hätte ich meine Stimme als Echo gehört. Sie haben mir Appetit gemacht, mehr zu lesen. Sie haben Schehezerade nicht getötet: Sie haben sie gerettet.‘ Das hat mich tief bewegt.Sind Sie Feministin?Ich bin Post-Feministin.Also keine Feministin.Ich gehöre nicht zu der ersten Welle der Feministinnen der 60er und 70er Jahre in Europa. Mich stören zwei Ideen, denen diese Bewegung irrtümlich verfallen ist: Die erste ist der Ausschluss des Mannes aus der Schlacht der Frauen. Der Mann muss dabei sein! Er muss die Frau unterstützen. Diesen Kampf können sie nur als Komplizen ausfechten. Wie gerne wäre ich mal auf einer Demonstration für die Rechte der Frauen, auf der lauter Männer mitlaufen. Aber die fühlen sich dort meist nicht sehr willkommen. Dabei können doch gerade Frauen der größte Feind der Frauen sein.Und der zweite Grund?Mir missfällt die Verweigerung einer weiblichen Ausstrahlung und das Annehmen maskuliner Verhaltensweisen. Eine Frau ist doch gerade in ihrer Feminität kraftvoll, sie muss sich gar nicht wie ein Mann verhalten. Dieses Unterdrücken der Unterschiede akzeptiere ich nicht. In diesem Kontext bin ich keine klassische Feministin. Vor einer Weile habe ich die Theorien der dritten Welle für mich entdeckt, die des Post- Feminismus. Sie harmonieren mit meinen Thesen.Viele feministisch denkende Frauen in Deutschland würden Ihnen aber heftig widersprechen.Man muss keinen Minirock tragen, um eine Frau zu sein. Aber man muss das tun dürfen, ohne gleich als Weibchen, als schwach, oberflächlich oder idiotisch dargestellt zu werden. Ich bin allerdings auch gegen eine übertriebene Nacktheit: In Beirut gibt es einige Frauen, die glauben, sie seien befreit, nur weil sie nackt in einem Nachtclub tanzen. Das ist eine illusorische, oberflächliche Freiheit.Auf dem Cover des Erotik-Magazins, das Sie in Beirut gegründet haben, sieht man nackte Männer und Frauen. Sie brechen damit Tabus. Reine Provokation?Ich lebe in einem scheinheiligen Land: Auf den Plakaten am Straßenrand von Beirut findet man kaum etwas anderes als entblößte Körper und den Versuch von Sinnlichkeit. Aber man ist bei uns unfähig, ein erotisches Kulturmagazin zu akzeptieren. Der Blick fällt auf das Foto eines Künstlers oder das Bild eines Malers, und man sagt: Pornographie. Man kann überall den Sie sind eine arabische Frau.Eine, die anzügliche Literatur liest, provokante Verse dichtet und auf die Machos und das Patriarchat spuckt. Das macht deren Attacken gegen mich umso bitterer und gewaltsamer. Aber wer mir anonyme Hass-Mails schickt, hat einfach nicht die Courage, mir in die Augen zu schauen. Der fühlt sich offenbar selber bedroht.Weil Sie öffentlich aussprechen, worüber man sonst nur im Privaten redet?Wir schreiben über Homosexualität. Es existiert ein schwules Milieu in Beirut, aber sehr versteckt. Schwul sein ist bei uns immer noch strafbar. Wir thematisieren Polygamie oder den Wahn, dass eine Frau Jungfrau bleiben muss, damit der Mann sich als erster Eroberer fühlen kann. Viele Frauen lassen sich vor der Ehe das Jungfernhäutchen zunähen, um das sexuelle Leben, das sie vorher hatten, zu kaschieren. Wir schreiben auch über Masturbation oder verschiedene Formen der Abhängigkeit: Sex, Alkohol, Schönheitschirurgie. Die boomt im Libanon und ist noch so ein klares Zeichen, dass etwas mit der weiblichen Identität nicht stimmt. Es ist die Verweigerung des Ichs.Als Journalistin, Dichterin, Künstlerin und zweifache Mutter: Wie verbinden Sie Karriere und Kinder?Ich verzichte eigentlich auf mein Privatleben und verschiebe es, mich auszuruhen, abzulenken, tanzen zu gehen oder mich mit Freunden zu treffen. Noch bin ich aber so begeistert von dem, was ich tue, dass ich mich freiwillig dafür opfere. Es ist notwendig. Aber ich wünschte mir, dass ich all diese Vergnügen später nachholen kann.Sie wirkt während des Gespräch auf einmal müde, lehnt sich an die Wand, klagt über Rückenschmerzen. Nach ein paar Minuten Pause ist sie dann wieder die Powerfrau.Sie leben in Beirut, einer offenen, kosmopolitischen Stadt.Immer diese alte Legende vom Paris des Nahen Ostens.Stimmt sie etwa nicht?Ich habe ein eher schwieriges Verhältnis zu Beirut. Man muss dort immer wachsam sein. Die Stadt ist viel religiöser geworden als sie es in den 60er Jahren war. Das begann mit dem Schock des Bürgerkrieges, der eine tiefe Spaltung zwischen den Gemeinschaften hinterlassen hat.Das Liberale verschwindet?Sicher gibt es bei uns mehr Raum für Freiheiten als in anderen arabischen Städten. Aber das ist ein sehr kleiner Raum. Wer glaubt, er könne wirklich individuell leben, der täuscht sich. Die Menschen sind zerstreut, abgelenkt und benebelt von politischer Polemik. Doch die Folgen des Bürgerkriegs, den ich schon als Kind miterlebt habe, werden verdrängt. Man schweigt einfach. Um neu anzufangen, müssen wir das von Grund auf ändern.Was mögen Sie an Beirut?Alles nervt mich! Wenn ich Auto fahre, gibt es zuviel Stau. Die Leute haben überhaupt kein ökologisches Bewusstsein, jede Familie besitzt drei oder vier Autos. Braucht man die? Sie fahren wie die Irren und respektieren keine Regeln im Straßenverkehr. Zuhause wird einem der Strom abgeklemmt, heute noch, im 21. Jahrhundert! Alles ist ein Kampf, es wird einem nichts einfach mal so gegeben.Trotzdem bleiben Sie da.Ich mag die libanesische Küche, auch wenn ich nicht koche. Ich mag unsere Sprache, unser kulturelles Erbe. Manche Bücher aus dem 10. Jahrhundert atmen eine Freiheit, die ich in diesen Tagen leider nicht wiederfinden kann. Ich mag es, dass der Libanon ein frankophones Land ist. So konnte ich bereits als 12-Jährige die großen französischen Romanciers lesen: Balzac oder Marquis de Sade. Und ich habe meine Freunde in Beirut. Wenn ich dort bleibe, dann aber vor allem wegen der Dinge, die mich stören.Ja. Ich kann nur von innen etwas verändern. Würde ich irgendwo im Ausland leben, würden sofort alle rufen: ‚Du hast gut reden, du lebst in Paris, Rom oder Berlin. Welch ein Luxus. Du kennst unseren Alltag nicht.‘ Aber jetzt kann mir keiner das Recht absprechen, mein Land zu kritisieren. Denn ich lebe dort so wie alle anderen.Eine Beziehung scheitert oft an diesen kleinen dummen Alltagsproblemen. Man bekommt keine Luft mehr, weil im Haus zu wenig Raum für beide ist. Diese Einsicht ist die Frucht der Reife, die ich durch meine erste Ehe gewonnen habe. Mein jetziger Mann ist auch Dichter, wir verstehen uns. Auch wenn wir wohl das einzige Paar in Beirut sind, das so lebt.Weil ich oft auf Reisen bin, wird ihm der Freiraum manchmal etwas zu groß und dann beschwert er sich. Außerdem teilt er einige meiner Ansichten nicht. Aber er respektiert sie. Von einem Mann in der arabischen Welt so unterstützt zu werden, ist ungewöhnlich. Ich bewundere ihn.Er wollte beispielsweise nicht, dass ich mein Magazin produziere. Die Themen, die wir darinbehandeln, hält er für weniger bedeutsam. Vor allem hat er aber Angst um mich, weil ich nun zur Zielscheibe on Attacken von Konservativen muslimischer und christlicher Seite geworden bin. Aber ich kann diese Konsequenzen aushalten.Das Gespräch führte Maxi Leinkauf
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