"Erst wenn alles scheißegal ist, macht das Leben wieder Spaß", singt Sven Regener, in seinem Song "Delmenhorst", der Ton passt zu dem niedersächsischen Kaff. So abgeklärt und befreit von den Dingen um sie herum sind die beiden noch nicht, die sich da im Deutschen Theater zweieinhalb Stunden auf der Bühne winden. Der eine (Wolfram Koch als Estragon) barfuß, der andere (Samuel Finzi als Wladimir) an diesem Abend mit nacktem Oberkörper, nur vom offenen schwarzen Jackett umhüllt.
Sie hoffen noch. Sie warten. Auf Godot. Sie bringen irgendwie die Zeit rum. Es passiert rein gar nichts, außer ihren endlosen verwirrenden Textschleifen. Sie tänzeln, humpeln, schwirren um dieses Kraterloch herum, das auf der Bühne den Abgrund markiert. Es gibt keine Akte, keine Story, aber diese brillanten Schauspieler, die das Nichts, das Sinnlose, die Versuche, sich doch erst am nächsten Tag den Strick zu nehmen, unterhaltsam machen.
Ist Warten auf Godot, 1953 im Théâtre Babylone in Paris uraufgeführt, ein Stück unserer Zeit? Sind die Verhältnisse – Samuel Beckett war damals stark von seinen Kriegserfahrungen geprägt – wieder so gruselig, die Menschen so verloren?
Man könnte versuchen, den großen Bogen zu spannen, in die Gegenwart. Heute sind es womöglich nicht mehr die kollektiven Gewalterfahrungen, die Menschen kaputt machen können, sondern eher individuellere Schicksale - zumindest im noch etwas heilen Europa.
Oder man lässt das Stück einfach mal so stehen wie es daherkommt, so absurd, tragikkomisch, reduziert.
Es hallt nach.
Liebe Community, wann war Theater das letzte Mal so frei von Umschweife. So existenziell?
Warten auf Godot Regie: Ivan Panteleev Deutsches Theater, Berlin
Kommentare 12
existenziell ist uns heutigen die gesellschaftlich veränderte natur und auch damit das soziale als schicksal. zudem hat tatsächliche und scheinbare einsamkeit ebenfalls soziale ursachen. oder?
Es gibt im Existentialismus das "Ethos der Freiheit zum Engagement". So schrieb das einst ein eher konservativer und christlich geprägter deutscher Philosoph, Joseph Stallmach, bewundernd zu Sartres berühmtem Aufsatz, "L'existentialisme est un humanisme" (Der Existentialismus ist ein Humanismus), von 1946.
Auf dieser Ebene argumentiert auch Albert Camus, was schon mehr Menschen noch bekannt sein dürfte.
Samuel Becketts Godot- Figuren stehen zu ihrer Erfindung vor dem größten "Krater", den menschliche Vorstellungen es genau und absolut zu wissen, je in der Geschichte und in der Welt aufgerissen hatten. Das hatte die Dimensionen einer globalen Naturkatastrophe.
Welten, vor allem mitteleuropäische und asiatische Welten, wurden auf Jahre und Jahrzehnte vernichtet.
Ich kann mir übrigens keinen besseren deutschsprachigen Wladimir vorstellen, als gerade Samuel Finzi. Er bringt diesen Urgrund an Existentialismus aus dem Zufall seines Geburtsortes und seiner eigentümlichen sprachlichen Prägung schon mit.
Wolfram Koch gibt bestimmt die passende andere Seite der Medaille. Von den beiden Schauspielern weiß ich, dass sie ideal zusammengehören. Das ist Existentialismus.
"Heute sind es womöglich nicht mehr die kollektiven Gewalterfahrungen, die Menschen kaputt machen können, sondern eher individuellere Schicksale - zumindest im noch etwas heilen Europa." - Sie haben es noch rechtzeitig eingegrenzt, denn tatsächlich gibt es erstmals wieder, seit der Nachkriegszeit, so viele Displaced Persons, und es ist Tatsache, dass, seit dem großen Krater Weltkrieg, mehr Menschen schlichtweg verhungerten oder mit der ein oder anderen Form der Gewalt ums Eck gebracht wurden, als je in der Menschheitsgeschichte zuvor.
Trotz aller materieller Möglichkeiten, trotz allen (medialen) Wissens, muss sich der Irrsinn selbst bei uns gar nicht verstecken, sondern kann immer wieder, in schönsten Pressebildern und Texten ausgestellt werden, damit dem Bürger der erleichternde Seufzer entlockt werden kann.
Ein verkannter deutscher Schriftsteller lies seine Hauptpersonen dann immer aussprechen: "Uns geht´s ja noch Gold."
Beste Grüße und weiter
Christoph Leusch
Auf jeden Fall schon einmal Danke!
"Man könnte versuchen, den großen Bogen zu spannen, in die Gegenwart. Heute sind es womöglich nicht mehr die kollektiven Gewalterfahrungen, die Menschen kaputt machen können, sondern eher individuellere Schicksale - zumindest im noch etwas heilen Europa."
Mir ist es so als ob die leiderfahren. leidverbreitenden Söhne des Krieges, zu denen Samuel Beckett sich zählte, beim Warten auf Godot am letzte Einschlagskrater einer Filergerbombe, eines Artilleriegeschosses, sich in Sicherheit wiegen, hieß es doch unter Soldaten, Zivilisten damals so schrecklich "schön"
"Wo einmal eine Bombe fiel, eine Granate explodierte, da ist mit Sicherheit gut Weil" auf den nächsten Einschlag warten, der ihnen ganz persönlich gelten könnte.
Heute. nach der Tschernobily Atomkatastrophe vom 26. April 1986, den dreifachen GAUs vom 12. März 2011 in Fukushima Japan, warten wir kollektiv in Erschöpfungsschweigen gebannt, in unseren Gefühlen der Ohnmacht an untätige Regierungen preisgeben, auf den nächsten GAU.#
Insofern klingt es für mich geradezu makaber in diesem Beitrag die obligatorische Rede vom zumindest, als woanders, noch etwas heilen Europa im Zusammenhang mit dem "Warten auf Godot" zu vernehmen
Soziale Einsamkeit, das Gefühl der Ohnmacht, all das ist drin in diesem Stück, ja, und das kann man heute empfinden, auf den verschiedensten Ebenen. Und man muss - im Sinne Godots- nicht nur denken, sondern auch darüber reden. Der wiederum scheiterte noch an etwas anderem, an seiner eigene Sprache. Daher hat er als Ire auch nicht auf Englisch, sondern im fremdsprachigen Französisch geschrieben...
Die Welt hat vor einiger Zeit einen Beitrag veröffentlicht:
Titel: Die Nazis und die Wahrheit über Becketts Godot
Zitat:
Jetzt kommt aus Frankreich die sensationelle Nachricht:Es war gar kein Scherz. Denn der Godot, auf den Wladimir und Estragon warten, ist ein Schleuser der Résistance, der sie aus dem von den Nazis besetzten Frankreich heraus in die italienische Zone schmuggeln soll. Die beiden sind flüchtige Juden aus dem 11. Pariser Arrondissement. Wahrscheinlich erwarten sie ihren Retter im Frühjahr 1943 auf einer trockenen, kalkigen Hochebene der Südalpen, etwa dem Plateau de Valensole. Und das alles steht ganz deutlich im Stück – zumindest im französischen Originaltext. Man wollte es bloß nicht wahrhaben.
Und weiter
Entdeckt hat diese Spuren einer konkreten historischen Situation der Gymnasiallehrer und Theaterkenner Valentin Temkine, dessen Thesen jetzt in dem Buch "Warten auf Godot. Das Absurde und die Geschichte" (Verlag Matthes & Seitz, 14,80 Euro) auf Deutsch vorliegen. Triumphierend verkündet Temkine darin: "Es ist nun in gar keiner Weise mehr eine Geschichte aus dem Land des Absurden, sondern eine Geschichte aus Frankreich zu einer ganz bestimmten Zeit."
Dieser konkrete Hintergrund istdoch heute besonders aktuell: Warten auf den Schleuser, Warten und vielleicht ankommen, wo man sich hinwünschte ... und dann ... Wieder warten: auf die Rückführung oder in Deutschland: Warten bis eine zähe unmenschliche Verwaltungsmühle die Hoffnung immer weiter zermahlen hat.
Tolle Ideen. Der Krater auf der Bühne (der entfernt an all diese Abgründe erinnert, die sich öfters mal einfach so auf Straßen auftun, von denen dann in den "Panorama"-Rubriken berichtet wird), die Leerstelle im Text (man könnte einen großen Bogen spannen - aber man könnte auch drauf verzichten) und das Resümee daraus gesaust, durch Krater und Leerstelle ins existenzielle Nichts.
Na ja, vielleicht hab ich´s auch falsch verstanden, aber doch, ein Funke voller Nichts springt über.
so wie ein maler nicht die wirklichkeit wiedergibt,
sondern ein bild malt,
muß man die szenische darstellung
mit ihren durch den autor bestimmten figuren(personen-ausschnitten) erstmal gelten lassen.
die vor-stellungen des zuschauers dazu
sind vielleicht vom autor angelegt,
aber die produktion des rezipienten. oder?
Ja, sicherlich. Es gibt ohnehin soviele unterschiedliche Auffassungen gerade über die Godot-Inszenierung, weil der Text ja eigentlich alles möglich macht von der Klamotte (was die Schauspieler manchmal ganz gern haben) bis zum bitteren absurden Drama.
Nein, ich denke nicht, daß sich in Warten auf Godot die Kriegserfahrungen Becketts spiegeln, jedenfalls nicht vorrangig. Das kann man eher von dem Moralismus Sartres (und Camus') sagen, wo im Krieg (oder im Totalitarismus, oder im Kolonialismus) die existentialistische Grundkonstellation sich besonders eindringlich demonstrieren läßt. Insbesondere bei Sartre zielt die Literatur auf die politische oder ethische Wahl. Beckett gräbt tiefer, sucht keine (politische) Lösung und findet auch keine. Es gibt nichts zu wählen mehr. Der Existentialismus bei ihm ist nicht äußerlich, sondern geistig, in der menschlichen Innenwelt.
Wem das zu spekulativ erscheint, der möge einen Blick auf das Beckettsche Lebenswerk werfen, wie die Anfänge sich immer radikaler abstrahierend entwickelt haben, jegliche Handlung außer der reinen Sprachhandlung oder dem gestischen Wiederholungszwang verloren gegangen ist – bis zu den letzten gefrornen Bildern (Quadrat). Da verbietet sich jede konkretistische Deutung, selbst wenn es stimmen sollte, daß eine Resistance-Situation einer mißglückten Flucht Anlaß zu Warten auf Godot gewesen sein sollte. Neben der prekären ökonomischen Lage könnten die Faschismus- und Kriegserfahrungen ein dominantes Gefühl von Scheitern und Vergeblichkeit befördert haben, aber in Murphy (1938) ist schon alles angelegt. Auch die Unmöglichkeit, dem eine tragische Bedeutung zuzuschreiben, Murphy ist einer der lustigsten Romane, die ich kenne.
Also: man lässt das Stück einfach mal so stehen wie es daherkommt, so absurd, tragikkomisch, reduziert. Es hallt nach.
Ich erlaube mir, den Krater auf der Bühne (könnte man für ein schwarzes Loch des Nichts halten) als eine unzulässige Konkretion zurückzuweisen. Und wie schon gesagt, nichts ist komischer als das Unglück (Endspiel), eher zum Lachen als zum Weinen, aber sicher kein Spaß.
das scheitern von plänen, das fehlen beim zweck-erreichen:
zutiefst den sterblichen zu-eigen, die götter imitierend, die es allem anschein nach auch nicht gebacken-gekriegt haben.
kicher! oder?
der...
tief-sinn...
steckt..
tief..
drin...
Maxi Leinkaufs Frage ist doch spannend, ob z.B. Godot in der englischen Fassung, - Hat sie Beckett selbst angefertigt, ich glaube es zu wissen?- , eine andere Wirkung und Bedeutung erzeugt, als im französischen Ersttext.
Ich bin ja kein Literaturwissenschaftler, vermute aber, dass Beckett die meisten seiner Texte bilingual geschaffen hat und häufiger deutliche Änderungen vornahm, weil bestimmte Sprachspiele, Begriffe und Anspielungen in der anderen Sprache gar nicht den existentialen Sinn erzeugen oder aber von einem Theaterpublikum nicht verstanden werden.
Er ist also als sein eigener Übersetzer tätig, obwohl mir der Begriff bei ihm gar nicht behagt, denn vielleicht gilt eher, dass er zweimal einen eigenen Text zu den gleichen Inhalten verfasste und dabei jeweils nur selten einmal daran dachte, wie denn die Varianten in der jeweiligen anderen Sprache auszusehen hätten.
Dann gibt es wohl auch noch die regelrechten Übersetzungen für Theateradapationen weltweit, die von fremden Personen erzeugt werden. Das wäre dann der klassische Vorgang der Übersetzung, bei der der Übersetzer tatsächlich primär daran denkt, die Aussage und Stilistik des Autorentextes in der "fremden" Sprache nicht zu verfälschen. - Ich glaube, das war nicht Becketts Methode.
Nach dem Wenigen, was ich dazu weiß, hat er auch Sachen zuerst in Englisch verfasst und dann ist auch ein französischer Text entstanden.
Gibt es Textstellen, die belegten, er beherrsche eine Sprache nicht ausreichend sicher, um sich gegenüber seinem Publikum auszudrücken?
Beste Grüße
Christoph Leusch