Scandale!

App-Debatte In Frankreich löst eine iPhone-Anwendung heftige Kontroversen aus, bei der Juden namentlich gelistet werden. Organisationen fordern Apple auf, sie vom Markt zu nehmen

"Ist Marilyn Monroe wirklich Jüdin? Und Dany Boon?"

Eine simple Frage? Non! Ein Skandal! Wer Jude ist und wer nicht, kann man per iPhone-App herausfinden. Juif ou pas Juif (Jude oder nicht Jude), die französische Version der US-amerikanischen App Jew or not Jew, ist für 79 Cent im Apple-Store erhältlich. Rubrik: Lifestyle

Man kann dort einen Namen eingeben oder die Liste der jüdischen Personen durchforsten. 3051 sind momentan nach "professionellen" Kriterien in der Datenbank sortiert. Es geht daraus auch der jüdische Ursprung hervor: "mütterlicherseits", "väterlicherseits" oder "konvertiert". Man kann zudem selbst eine "neue jüdische Persönlichkeit" den anderen hinzufügen.

Seit August ist die Anwendung auf dem Markt - jetzt haben mehrere jüdische Organisationen sie entdeckt. Und schlagen Alarm.

Auf Twitter meldete sich der Anwalt Maître Eolas und erinnerte daran, dass laut französischem Strafgesetzbuch das "Veröffentlichen von Merkmalen die einen persönlichen Charakter haben und sich direkt oder indirekt auf rassische oder ethnische Ursprünge beziehen, politische, philosophische oder religiöse Ansichten" untersagt ist. Wer das dennoch tut, müsse mit Gefängnis bis zu 5 Jahren rechnen oder 300.000 Euro Strafe.

Für SOS Racisme und andere Organisationen ist solch ein Service schlicht horrible. Er sei "vollkommen gegen die Regeln unserer Gesellschaft in Frankreich", hat Richard Prasquier, Präsident des Rates jüdischer Institutionen in Frankreich, an diesem Dienstag offiziell kritisiert. Man müsse intervenieren. Dominique Sopo, Präsident von SOS Racisme, findet die App "gefährlich wegen der Fantasmen die sich mit dem Jüdischsein in unserem Land verbinden". Die Organisation fordert Apple auf, die App vom Markt zu nehmen - unter Androhung juristischer Schritte. Auch die Jungen Sozialisten sind irritiert von der Tatsache, "dass die Existenz dieser App an die dunklen Stunden des 20. Jahurhunderts" erinnert.

In den USA existiert die Anwendung Jew or not Jew - sowie ähnliche Webseiten- schon länger, ohne dass dort jemand auf die Barrikaden gehen würde.

Frankreich jedoch hat eine andere Geschichte - und fühlt sich an einem sensiblen Punkt berührt. Noch heute ist die Ära des Vichy-Regimes eine offene Wunde. Und in den vergangenen Jahren gab es immer wieder antisemitisch motivierte Anschläge auf Schulen oder Synagogen. In den Banlieues toben Schlachten arabischer Gruppen, für die Juden als Feindbild herhalten.

Als Kommentar zur neuen App hat auf der Webseite Rue 89 jemand den Ausweis eines KZ-Häftlings abgebildet, mit dem Zusatz: "Das hatten wir schon mal." Ein anderer Blogger fragt provokant: Wann gibt es das App 'Zigeuner oder nicht?' Oder: 'Schwul oder nicht?'

Angesichts dieser Fallhöhe wird diese App wohl kaum auf Deutsch herauskommen. Dafür haben wir Oliver Polak. Der Comedien geht in Stand Up-Shows mit dem "Judenspiel" auf die Bühne - und es funktioniert auf ähnliche Weise: Er nennt einen Prominenten und das Publikum entscheidet dann: Jude oder normal.

Eine Gratwanderung. Es stellt sich auch jetzt wieder die Frage: Wo verläuft die Grenze? Darf man über so etwas lachen? Ist es harmlos? Politisch unkorrekt - oder tatsächlich Rassismus?

Das können am ehesten die Juden selbst entscheiden. Doch auch sie sind gespalten.

Johann Levy, der Erfinder der App, zeigt sich "überrascht vom extremen Ausmaß der Polemik" in der Grande Nation. Das App sei für ihn "ein Service wie jeder andere", sagte er dem Nouvel Observateur. Sein einziger Wille sei gewesen "den Juden ein Gefühl des Stolzes zu geben, wenn sie sehen dass ein Geschäftsmann oder eine andere berühmte Person auch Jude ist".

So wie er.

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Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

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