Gundermann wäre es seltsam vorgekommen, auf dieser Bühne zu stehen, er, der nie ein „Star“ sein wollte, keine Autogrammkarten hatte. Der Sänger mit großer Fangemeinde im Osten, der aber im Westen fremd war und es nach dem Mauerfall verweigerte, in die Talkshows zu gehen, nur um bekannter zu werden. „Macht man so im Westen“, riet ihm die Plattenfirma, aber er vertraute nur auf seine Lieder.
Die Filmcrew, die ein Porträt über ihn schuf – und seine Witwe Conny (Gerhard Gundermann ist 1998 gestorben) – wurden vergangenen Freitag im Palais am Funkturm gefeiert, von einer vornehmlich westdeutschen Branche. Der Film über den singenden Baggerfahrer räumte beim Deutschen Filmpreis die Lolas ab, unter anderem für das Beste Drehbuch (Laila Stieler), die Beste Regie (Andreas Dresen), den Besten Hauptdarsteller (Alexander Scheer) und den Besten Film.
Die ostdeutsche Schauspielerin Ursula Werner sagte in ihrer Laudatio, es sei lange unklar gewesen, ob man den Film überhaupt drehen konnte, und nun sei es „der richtige, differenzierte Film zur richtigen Zeit geworden.“ Gundermann? Kennt doch niemand!, hatten Förderer und Produzenten jahrelang abgewunken. Manchen war es zu wenig Reue in der Sache mit der Stasi. Nach mehr als zehn Jahren scheint die Zeit nun reif für so eine ambivalente Figur.
Gerhard Gundermann, der Baggerfahrer mit dem Fleischerhemd und der großen Brille, ein Liedermacher, der an den Sozialismus glaubte, ihn verbessern wollte und verzweifelte. Er lieferte der Stasi Informationen und wurde später selber bespitzelt – in leisen Szenen wird im Film erzählt, wie er mit seiner Vergangenheit umgeht. Nach einer Vorführung in Essen sagte ein Zuschauer: „Das ist mein Film zur Wiedervereinigung. Jetzt habe ich den Osten verstanden.“
Gundermann ist das Porträt eines eigenwilligen Typen, der wie Che Guevara sein wollte, eines Idealisten, der verführbar war, Täter und Opfer. Ein Musiker, der seine eigenen Widersprüche lebt und sie nicht ständig hinterfragt. Und es ist eine Stasi-Geschichte, aber diesmal nicht schwarz-weiß gemalt. Das berührt auch Zuschauer im Westen. Bislang waren es westdeutsche Filmemacher, die von der DDR erzählten. 2006 kam Das Leben der Anderen ins Kino, gut gemacht, hatte nur wenig mit der Realität zu tun – ein Hollywood-Märchen. Damals ärgerten sich Andreas Dresen und Laila Stieler, „dass wir die Deutungshoheit über das, was wir erlebt hatten, denjenigen überlassen, die es nicht erlebt hatten.“ Sie wollten ihre Geschichten selber erzählen, ihren eigenen Blick auf die ostdeutsche Geschichte wagen und ihn auch in den Westen tragen. Sie dachten ernsthaft über Gundermann nach.
Es ist ein Zufall, und der komplizierten Entstehungsgeschichte geschuldet, dass der Film gerade 2018 in die Kinos kam, als der Osten wieder mal auf dem Radar war, und alle hinschauten – debattierten, weil da in Teilen Neonazis marschieren und Leute rechtspopulistisch wählen. Was war los? Brüche, Enttäuschungen in der Nachwendezeit – aber diese Abwehr?
Gundermann sagt nicht, was gut ist oder schlecht. Warum er für die Stasi gearbeitet hat, wird nicht aufgelöst. Am Ende gibt es keine Katharsis. Er schämt sich, dass er Menschen verraten hat, er schämt sich vor allem vor sich selbst. Aber er entschuldigt sich nicht. Es bleiben Fragen, die nach dem Film im Zuschauer weiter arbeiten. Der Anfang eines Gesprächs.
Info
Maxi Leinkauf hat für das Buch zum Film Gundermann (Ch. Links) ein Gespräch mit Drehbuchautorin Laila Stieler geführt
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.