Der Freitag: „Ihre Speisen sind einfach. Ohne besondere Zurüstung und ohne Leckereien vertreiben sie den Hunger“, so schrieb der römische Historiker Tacitus über die deutsche Küche. Kurz gefasst also: Sattwerden statt Ästhetik?
Miles Watson: Die meisten verbinden deutsches Essen mit Bier, Sauerkraut und Würsten. Leider schmecken die Gerichte in vielen Gasthöfen in Deutschland nach fertigen Gewürzmischungen anstatt selbst gemachten Grundprodukten. Oder man schaut das Essen nicht gerne an, da es nur auf den Teller „geklatscht“ wurde. Das wollen wir ändern.
Das deutsche Wirtshaus revolutionieren?
Seien es nun moderne oder einfache Gerichte – es wird auf die Anordnung geachtet: Das Fleisch ist immer vor dem Gast, das Gemüse wird dahinter platziert. Die Leute denken, ich zahle für das Fleisch, also möchte ich es vor mir haben. Sonst dreht der Gast den Teller um.
Wie kann braune Fleischsoße ansehnlich werden?
An der klassischen braunen Soße ist eigentlich nichts auszusetzen. Aber man könnte sie anders präsentieren, sie zum Beispiel als Snack zubereiten und sich überlegen: Wie soll der aussehen? Durch die verschiedenen Konsistenzen gibt es mehrere Varianten: Man könnte sie knusprig wie Kartoffelchips machen. Man kann durch Dehydrieren eine knusprige braune Soße herstellen, sie aufblähen und als Popcorn präsentieren. Oder Gelieren, wie eine warme Sülze. Die Frage ist: Was will man durch das Ändern der Textur erreichen, oder ist die Originalversion besser, so wie sie ist?
Im Falle von Blutwurst wohl weniger ...
Es gibt verschiedene Arten von Blutwurst – geräucherte, harte, weiche, mit Speck ... Manche Leute haben aus ihrer Kindheit dieses Blutwurst-Trauma, das durch das falsche Garen oder falsche Präsentation verursacht wurde. Würde man ihnen die Augen verbinden und selbst gemachte Blutwurst mit Kartoffelpüree und Zwiebeln servieren, werden sie sagen: lecker! Es kommt immer darauf an, wie man ein Gericht verpackt. Man kann Blutwurst als Häppchen verteilen, in kleine Würfel formen und wie ein Schnitzel panieren oder wie einen Hot Dog anrichten, in schön bedrucktem Papier. In Moskau haben wir mit Blutwurst gefüllte Maultaschen gemacht. In Schottland heißt sie übrigens: Black Pudding. Die Leute sagen: Oh, Pudding, den mag ich.
Alles eine Frage des Marketings?
Nein, der Phantasie. Ein hervorragendes, klassisches Senfei, welches ich sehr mag, war ursprünglich ein Gericht für Arme. Bei einer Präsentation in Singapur haben wir es dem asiatischen Geschmacksprofil angepasst, um die Gäste an unsere Leidenschaft für die deutsche Küche heranzulocken. Wir haben den gelben Senf weggelassen und mit selbst gemachtem schwarzen Senf ersetzt. Statt eines gekochten Eis haben wir ein Peking-Ei selbst hergestellt. Das Eigelb wurde kapseliert in einem flüssigen Enten-Consommé, allerdings ohne Sahne, die Asiaten essen ja keine. So verstehen sie, was das sein könnte – ein Senfei. An einer Kochschule haben wir dessen Evolution präsentiert, dadurch konnten wir die Gäste von der neuen zurück zur originalen Version führen. Sie kochen das Senfei jetzt nach.
Farben können die Lust auf ein Gericht beeinflussen. Wieso ist Rot so beliebt?
Rot ist ein Gefühl. Man kann es mit Hass und Liebe verbinden: Wenn Leute etwas Rotes sehen, denken sie an Süßes und Frisches. An gesunde Äpfel. Bei Gelb an Citrus und fruchtig. Blau dagegen ist appetithemmend, da es unnatürlich aussieht, abgesehen von Beeren. In Helsinki haben wir mit der natürlichen Oxidation von Farben gespielt und ein Gericht serviert, welches von der Ostsee inspiriert war: das Ostsee Aquarium. Wir haben mit lila Basilikum gearbeitet, wenn man das leicht blanchiert, bekommt es eine blaue Farbe.
Warum muss Lachs immer rosa sein?
Das Fleisch wildlebender Lachse hat eine unregelmäßige hellrosa Farbe. Sie kommt durch deren Nahrungsaufnahme von Plankton. Aber einer von 20 Lachsen hat einen Gendefekt, der diese Farbpigmente nicht aufnehmen kann, dadurch gibt es weiße Lachse. Deshalb werden Lebensmittelfarbstoffe verwendet, damit Lachs-fleisch eine gleichbleibende Farbe hat. Das Bild von Lebensmitteln wurde von der Industrie so manipuliert, dass sich diese Farben, Formen in den Köpfen der Menschen eingeprägt haben und ursprüngliche Farben nicht mehr bekannt sind. Früher waren Karotten nicht orange, sondern gelb oder lila, es gab auch weiße. Das Orange kam aus den Niederlanden und hat sich dann verbreitet. Bananen werden übrigens auch mit Zusatzstoffen versehen und verändern ihre Farbe. Alle wollen gelbe, dabei schmeckt ein Kuchen aus schwarzen Bananen viel besser, erst dann kommt der richtige Geschmack heraus.
Schwarz schreckt jedoch ab?
Die Deutschen mögen zwar schwarze Pasta, Trüffel und Schwarzbeeren, aber schwarze Soße – wie eine Sepiasoße, also eine klassische Sahne-Weinsoße mit ein bisschen schwarzer Tinte von den Calamari, das möchten die Leute einfach nicht probieren. Sie denken, es sei synthetisch. Schwarz kommt in der Natur kaum vor.
Muss der deutsche Imbiss revolutioniert werden?
Bessere selbst gemachte Currywürste! Mit einer richtigen Currysoße, die nicht aus der Dose oder Tube kommt, und mit frischen Pommes. Wir haben in Berlin jede Currywurst probiert. Da kann man schon an der Farbe der Soße erkennen, welche Konsistenz sie hat. Ich komme aus Neuseeland, dort produziert ja fast jeder seine Tomaten selbst. Abends habe ich mit meiner Mutter Einweckgläser und Flaschen gefüllt, als Ketchup. Birnen oder Pfirsiche wurden je nach Jahreszeit für den Winter eingeweckt – das gab einen tollen, intensiven Geschmack.
Das Gespräch führte Maxi Leinkauf
Pure Berlin (pure-berlin.com) steht für den Gedanken einer neuen deutschen Küche: Miles Watson als Koch und Fooddesigner sowie Sebastian und Thomas Wussler als Grafiker und Fotograf präsentieren weltweit ihre Varianten klassischer Gerichte. Im kommenden Jahr wollen sie das Studio 21, ein eigenes kleines Restaurant, in Berlin aufmachen.
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