Sie bleibt ein Hippie

Porträt Maike Rosa Vogel findet, die Leute haben Lust auf etwas Schlichtes, Handgemachtes. Und so singt sie auch ihre neuen Songs übers ganz normale Überleben
Ausgabe 49/2015
„Wir brauchen Räume ohne Kapitalismus“
„Wir brauchen Räume ohne Kapitalismus“

Foto: Christian Werner für der Freitag

In der „Casting-Allee“ in Berlin-Prenzlauer Berg wirkt das Café Morgenrot wie aus einer anderen Zeit: Es ist ein Kollektivbetrieb mit Selbstbedienung. Genau der richtige Ort also, um mit der Musikerin Maike Rosa Vogel zu reden. Den zweiten Vornamen verdankt sie Rosa Luxemburg, und mit prekären Umständen kennt sie sich aus.

der Freitag: Frau Vogel, Sie schreiben Lieder, stehen allein mit der Gitarre auf der Bühne und singen. Sind Sie eine Liedermacherin?

Maike Rosa Vogel: Schon das Wort klingt so angestaubt! Ich habe schon immer mit meiner Gitarre Musik gemacht, aber es war lange ein Hinterzimmergebiet. Gitarrenbands waren viele Jahre so uncool, Electro hat alles dominiert. Jetzt haben die Leute wieder Lust auf Schlichtes, Handgemachtes.

Ihre Eltern waren Kommunisten. Was wurde zu Hause gehört?

Franz-Josef Degenhardt, Wolf Biermann, Hannes Wader.

Protestsongs.

Bei uns wurde immer politische Musik gehört. Mein Vater hat oft Gitarre gespielt, und wir haben gesungen, wenn uns danach war. Auch Klassiker wie Die Gedanken sind frei. Noch mehr Lieder habe ich dann bei den Falken gelernt …

… beim SPD-Nachwuchs.

Ja, aber in Frankfurt war der gar nicht so SPD-nah. Ich habe die Falken eher wie einen Anarchisten-Club empfunden. Wir sahen aus wie Punks. Ich trug gefärbte Haare, mein Bruder hatte einen Irokesen, Nasenringe, selbstgestochene Tattoos. Wir fanden das absurd, wenn Leute gesagt haben, das ist der Kinderverein der SPD. Wir sind in den Ferien zusammen weggefahren, hatten unseren eigenen Jugendclub. Und wir bekamen diese dicken Bücher mit Arbeiterliedern aus dem Spanischen Bürgerkrieg und Brecht.

„Spaniens Himmel breitet seine Sterne“ – das kenne ich auch noch.

Es gibt eine österreichische Band, Die Schmetterlinge, die haben ein Arbeitermusical gemacht, die Proletenpassion. Darin erzählen sie die Geschichte der vergangenen 500 Jahre, aus der Sicht der kleinen Leute. Von meinem Vater habe ich auch gelernt: Schau dir die Geschichte von unten an.

Harte Schule

Mit 14 hat Maike Rosa Vogel ihre erste eigene Band, als Punks treten sie gegen die Lehrer und die schulischen Strukturen an. Doch leider sind die Lehrer alle links und Fans von Maike Rosa. 1978 in Frankfurt am Main gebo-ren, wächst sie in einem kommunistischen Haushalt auf, bricht mit 17 die Schule ab und jobbt dann zehn Jahre lang – zum Beispiel als Postbotin, Kellnerin und Fahrradkurierin. Maike Rosa Vogel schreibt viel, komponiert und spielt in verschiedenen Bands, am liebsten aber sitzt sie allein vor dem Computer und produziert Musik.

Mit 27 Jahren beginnt sie ein Studium an der Popakademie Baden-Württemberg. Den Traum, Producing als Hauptfach zu belegen, realisiert sie erst im vierten Semester. Nach ihrem Abschluss zieht sie nach Berlin und ist dort erst mal arbeitslos. Es folgt das erste Kind, 2008 erscheint dann ihr Debütalbum Golden. 2011 wird sie vom Schriftsteller und Musiker Sven Regener, dem Kopf der Band Element of Crime, entdeckt. Regener nimmt sie mit auf Tournee und produziert ihr Album Unvollkommen. Seitdem hat Vogel auch Filmmusik geschrieben, unter anderem für Doris Dörries Glück. 2012 holt Regisseur Milan Peschel sie ans Berliner Maxim-Gorki-Theater, etwas später kommt ihr Album Fünf Minuten heraus. Gerade hat Maike Rosa Vogel ihre neue Platte Trotzdem gut veröffentlicht, wieder gemeinsam mit Sven Regener produziert und auf-genommen – ohne Label, ohne Verlag, ohne Vertrieb. Trotzdem gut bekommt man nur auf ihrer Webseite
maikerosavogel.com.

Maike Rosa Vogel lebt mit dem irischen Musiker Ken Burke und ihren beiden Kindern in Berlin.

Materielle Dinge waren bestimmt verpönt.

Wir fuhren in den Ferien öfter nach Thüringen und Ostberlin, zu Verwandten und Freunden. Ich

habe das immer wie Urlaub vom Kommerz erlebt. Im Westen sah man überall Werbung. Und dann hatte ich diese antimateriellen Eltern, die uns nichts kaufen wollten. Meinem Bruder und mir wurde früh ein bestimmtes Wissen vermittelt über die Zustände in der Welt: Kuba, Nicaragua, Afrika. Da fiel es uns nicht mehr so leicht, dem ganzen Konsum zu frönen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Ihre Eltern haben für ihre Ideen den Job riskiert.

Ja, mein Vater war Lehrer. Er hatte zwar nie offiziell Berufsverbot, aber er wurde nie fest angestellt. Meine Mutter war Sozialarbeiterin. Sie ist aus der Kommunistischen Partei ausgetreten, weil die von ihr verlangt hat, dass sie weniger Zeit mit uns Kindern verbringt. Mehr Politik, weniger Familie. Es wurde erwartet, dass meine Eltern in den Ferien Flugblätter verteilen und meinen Bruder und mich fremdbetreuen. Da hat sie Nein gesagt.

Fanden Sie Ihre Eltern mutig?

Meine Eltern waren angepasst – zwar nicht politisch, aber sozial. Sie sind keine Menschen, die anecken, sie passen immer gut in den sozialen Rahmen und machen sich keine Feinde. Ich hätte gern mehr Mut mitbekommen. Wenn ich zum Beispiel zu bestimmten Lehrern oder Strukturen Opposition bezogen habe, da wurde mir nie vermittelt, meinem Gefühl oder meiner Intuition zu vertrauen.

Sie haben Partei ergriffen für die Autoritäten?

Meine Eltern sind davon ausgegangen, dass ich das falsch sehe und meine Lehrer Recht haben. Wie eine gespaltene Realität: Ich sollte die Strukturen anzweifeln, und gleichzeitig wurde mir nicht so viel Urteilsfähigkeit zugetraut.

Und das machte Sie unsicher?

Ich wollte lange nicht erwachsen werden, weil ich gar nicht wusste, wie ich sein soll als Erwachsene. Ich kannte keine einzige Frau in meinem Umfeld, von der ich dachte, ich will so sein wie sie. Sie waren oft so unfrei, so gebremst. Ich suchte Verbündete, aber ich fand nur Popstars, Janis Joplin oder Sinéad O’Connor.

Sie sind mit einem Lied bekannt geworden, „So Leute wie ich“, das von Menschen handelt, die Hartz IV bekommen, und vom Blick der anderen auf sie: „Sie meinen die Penner / die nur nehmen nehmen nehmen nehmen nehmen / und niemals etwas geben / aber solche Leute kenne ich nicht / das sind alles so Leute / alles so Leute wie ich.“

Ich habe in dem Lied von mir erzählt und gleichzeitig von unserer Gesellschaft. Ich finde es schwer, in diesem persönlichen Feld zu bleiben. Was man selber erlebt, setzt sich automatisch in einen größeren Zusammenhang. Es gibt Strukturen, unter denen man leidet. Das Leistungsprinzip, dieses ewige Glauben, man würde nicht genug bringen.

Welche Strukturen meinen Sie?

Ich wurde zum Beispiel während meines Studiums an der Popakademie in Mannheim komplett verunsichert. Als Frau wurde man da nur als Backgroundsängerin gesehen, man wurde eingeschüchtert.

So eine Karriereschmiede? Passt gar nicht zu Ihnen, Sie kommen ja eher hippiemäßig daher.

Die Männer haben irritiert geschaut, als ich sagte: Ich möchte Produzentin werden. Und ich dachte immer, womöglich bin ich nicht gut genug. Wir hatten paarweise Unterricht, ein Kommilitone und ich hatten einen männlichen Dozenten, der nichts mit mir anfangen konnte. Er hat immer nur mit meinem Kommilitonen geredet und Gründe gefunden, warum wir an dessen Stücken arbeiten und nicht an meinen.

Sexismus war allgegenwärtig?

Ja, E-Mails und Aushänge waren nur in der männlichen Form adressiert. Einmal gab es ein Band-Coaching, ein Trainer kam in unsere Probe und sagte uns, was man besser machen könnte. Ich hatte den Song arrangiert und programmiert, und ich habe ihn gesungen. Er sagte etwas zu meinem Gesang, aber als es um die Beats und das Arrangement ging, redete er nur noch mit den Jungs. Einer ist hinterher zu ihm gegangen und hat gesagt: Das waren doch alles Maikes Sounds.

Tat es ihm leid?

Ja, aber ich ging erst mal für ein Auslandssemester nach Dublin.Das war wie eine Therapie.

Inwiefern?

Dort begegnet man der Musik und dem Songwriting überall, sei es im Pub oder auf der Straße. Und da interessiert es niemanden, ob man alle Noten richtig trifft. Für Iren ist die Musik wie Atmen. Die irische Musik ist nicht nur Folklore, die Iren sind Poeten. Ich liebe Damien Rice. Sie sind alle auf eine natürliche Art musikalisch, das ist tief verwurzelt in der Kultur. Die Iren haben ja auch mehrere Literaturnobelpreisträger.

Warum wohl?

Sie können sich gut ausdrücken, auch ohne intellektuellen Hintergrund. Mein Freund, der Ire ist, sagt immer etwas abfällig: Wenn den Iren nichts mehr einfällt, stellen sie sich hin und singen. Aber die Iren kennen auch viele Lieder aus dem Widerstand gegen die Engländer, wahnsinnig traurige oder brutale. In dem Song Grace wird zum Beispiel ein Mann besungen, der am Tag seiner Hinrichtung seine Frau heiratet.

In Deutschland soll Musik bei Festen vor allem gute Laune verbreiten.

Wenn bei den Iren Feste gefeiert werden, bei Hochzeiten oder Geburtstagen, wird die Gitarre rumgereicht. Und dann weinen die älteren Leute, und die jüngeren weinen auch ein bisschen. Ich denke immer: Ist das befreiend, hier wird nichts zurückgehalten. Deutsche sind schwermütig, aber sie werden nicht gern an ihre Melancholie erinnert.

Wie reagieren die Leute auf Ihre Lieder?

Meine Lieder polarisieren. Manche bejubeln sie, andere werden aggressiv und sagen, das mache sie total deprimiert. Viele Leute, die an der Armutsgrenze leben, sind erleichtert, nach dem Motto: Endlich sagt es mal jemand.

Sie gefallen den Leuten und können inzwischen von Ihrer Musik leben. Darf man dann noch über Hartz IV singen?

Ja. Ich kenne auch noch genug Leute, die damit leben. Und ich selber bin von Hartz IV auch nicht so wahnsinnig weit entfernt. Mein Mann ist auch Musiker, wir leben so von der Hand in den Mund. Wir haben uns daran gewöhnt. Wenn man Kinder hat, wir haben zwei, und also weniger Konzerte spielt, sackt das Einkommen schnell ab. Ich bin nur nicht mehr fremdbestimmt, weil ich mein Geld jetzt selber verdiene und nicht beim Amt Rechenschaft ablegen muss, wo ich wohne und wie viele Bewerbungen ich schreibe.

Wie kann man mit zwei Kindern so prekär leben?

Gerade in Berlin kann man Kinder auch mit wenig Geld gut großziehen. Es gibt Ferienangebote, die wenig kosten, preiswerte Kitas, und in den Schulen werden Kinder bis spätnachmittags betreut.

Ihr neues Album könnte man auf die Formel „Sei du selbst“ bringen.

Ja, wir haben ja alle gelernt, dass wir uns über Arbeit definieren und das Geld, das wir verdienen. Wir sind so erzogen worden und versuchen, in unsere Umgebung zu passen. Aber das arbeitet oft gegen uns. Man muss sich bestimmten Erwartungshaltungen entziehen, wenn sie ungesund sind, und sich fragen: Was will ich? Man ist dann weniger ausbeutbar.

Das klingt marxistisch.

Ich bin ja nicht grundsätzlich gegen den Kapitalismus, weil ich gar nicht wüsste, was man sonst machen sollte. Aber man muss sich Räume schaffen, in die der Kapitalismus nicht reinkommt, in denen es nicht nur darum geht, was man kaufen kann, verdienen kann, schaffen kann.

Wo müsste das sein?

In der Schule, der Kita, bei Festen und Festivals. Ich habe das in Irland stark so empfunden. Die irische Gesellschaft ist sehr konsumorientiert. Alles kostet Geld, es gibt kaum Dinge, an denen alle teilhaben können, Straßenfeste oder so. Dann kam die Finanzkrise, und als allen das Geld weggebrochen ist, saßen sie zu Hause und waren deprimiert, weil sie nicht mehr in die Mall gehen konnten. Sie mussten etwas anderes finden.

In einem Ihrer Songs heißt es: „Ich lass niemals los, ich bleibe hier.“ Muss ein Partner für Sie stark sein?

Sie meinen, stärker als ich? Ich finde, dass man sich in der Liebe als Menschen begegnen sollte und nicht als Klischees. Das ist im Kapitalismus allerdings schwer, weil der solche Klischees fördert. Man muss sehr wach sein.

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