Teilt nicht jeder

Symbol Die Tricolore über dem Facebook-Profilbild: Ausdruck des Mitgefühls oder nur nationalistisch?
Ausgabe 47/2015
Selbst mexikanische Klippenspringer bezeugen ihre Solidarität mit Frankreich
Selbst mexikanische Klippenspringer bezeugen ihre Solidarität mit Frankreich

Foto: Pedro Pardo/Getty Images

Soll man etwas ablehnen, was aus guter Absicht geschieht, nur weil es auch Gespenster wecken kann? Facebook hat schnell auf den Pariser Terror reagiert, und auf seinem Portal eine Anwendung zur Verfügung gestellt, mit der man sofort markieren konnte, ob man „in Sicherheit“ ist. Gleichzeitig konnte man sein Profil mit den Farben Bleu, Blanc, Rouge einfärben, den Farben der Tricolore. Die leuchtete nach den Anschlägen am Brandenburger Tor, an der Klagemauer, der Christusstatue in Rio de Janeiro – und sie lag über dem Profilbild von Mark Zuckerberg.

Mein Facebook-Account war offen und ich suchte Nachrichten aus Paris. Sollte ich den Filter benutzen? Ich dachte kurz an Charlie Hebdo, damals fand ich den Slogan Nous sommes tous Charlie etwas pathetisch und seltsam unangemessen. Wie konnten wir alle Charlie sein? Nach wenigen Tagen waren die Emotionen verpufft. Zeitweilig hatten dann viele Deutsche ihr Profil in Refugees-Welcome-Poster verwandelt. Wie viele Tage werden wir mit Paris trauern?

Es kam die SMS eines Bekannten, der saß in einem der beschossenen Pariser Cafés, sein bester Freund starb. Eine Freundin schrieb, sie wohne seit kurzem direkt hinter dem Bataclan. Ich klickte auf die französische Flagge. Als hätte auch ich etwas verloren.

Als Studentin hatte ich in Paris gelebt, erst in Barbès, im Viertel der Muslime. Es war die Stadt, in der ich die Kultur des Aperitif kennenlernte. „On va boire un coup sagte meine damalige Nachbarin abends oft. Gehen wir ein Glas trinken. Ich traf eingewanderte Algerier, begabte Gitarristen der Metro, sans papiers und Bobo-Elitestudenten. In Paris begegnete ich der Welt, einer voller Widersprüche, aber man wurde mit ihnen konfrontiert! Ein Privileg. Jetzt sagt meine Freundin: „Der Horror geht von vorne los.“

Immer mehr User färbten sich ein, wurden kleine Akteure. Es traten sofort Kritiker auf den Plan. Ein Ökologe monierte, die Tricolore habe eine „aggressive Konnotation“; die würde vor allem Ausländern nicht gefallen. Sie sei „imperialistisch“, postete ein Pazifist. Ein Militanter der extremen Linken löschte alle seine Freunde auf Facebook, die die Flagge angezogen hatten. Es gebe auch andere Symbole. Dieses Blau-Weiß-Rot bringe Facebook in die Nähe des Front National, so der französische HistorikerFabrice d’Almeida, der damit die harsche Kritik einer feministischen Facebooknutzerin aufnahm. Auch in der algerischen Websphäre gab es Polemik: Man sei solidarisch mit den Familien der Opfer, des Terrorismus in Frankreich, „aber ich könnte niemals die Tricolore hissen“, postete ein Nutzer auf Facebook. „Wir sollten nicht unsere Vorfahren vergessen, für uns bedeutet die französische Fahne etwas anderes.“ Na klar, wer wenn nicht Kinder und Enkel der ehemaligen französischen Kolonie misstrauen der Flagge, deren Farben seit 1789 eigentlich couleurs de la liberté sein sollten. Der 14. Juli, seine Paraden, unnützes Tamtam.

Nur müssen gerade in dem Moment, in dem man eigentlich gerade die Ideale, fundamentale Prinzipien, hochhalten will, oder einfach nur mitfühlen, solche negativen Kommentare sein? Sie finde das albern, die digitale Flagge zu hissen, postete eine französische Bloggerin, aber sie hätte sich „statt der Kritik eher einen Aufruf zur fraternité gewünscht“.

Eine Sache kann man Facebook jedoch unterstellen, dass es mit zweierlei Maß misst: Nach den IS-Anschlägen in Beirut, ein paar Tage vor Paris, hat Facebook den Safety Check nicht eingeführt. Das wolle man künftig bei „schweren und tragischen Zwischenfällen“ tun.

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Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

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