"Wann werden Sie eine Frau?"

Erinnerung Er war charmant, schlagfertig und ein wenig kokett, als wir uns vor zwei Jahren begegnet sind. Stephane Hessel redete von Berlin und wollte, dass auch ich mich empöre
Monsieur Courage und seine Interviewerin in Berlin, Februar 2011
Monsieur Courage und seine Interviewerin in Berlin, Februar 2011

Foto: der Freitag

Ich war ein bisschen nervös, und vielleicht wollte ich ihm ein bisschen gefallen. Einem Grandseigneur. Er lebte in Paris, war deutsch und französisch. Ich weiß nicht genau, was mich mehr reizte: Das Französische wahrscheinlich.

Wir trafen uns für ein Interview in einem Verlag in der Berliner Friedrichstraße. Stéphane Hessel hatte dieses Pamphlet verfasst, Empört euch!, es kam wie aus dem Nichts, so wie für mich dieser Mann, und seine Geschichte. Alle rissen sich plötzlich um ihn, ich fand diesen Menschen aber interessanter als sein Büchlein.

Stéphane Hessel war 93. Sohn der Jules et Jim-Eltern, Résistance-Kämpfer, er hatte den algerischen Bauern auf den Plantagen geholfen, und reiste dann als Diplomat um die Welt. Von dem Essay hätte wohl kaum jemand Notiz genommen, wäre es der existenzialistischen Schwärmerei eines 20-Jährigen Science-Po-Studenten entsprungen.

Als ich in den Raum im Verlag kam, erhob er sich sofort von seinem Stuhl, reichte mir die schmale faltige Hand und lächelte galant.
Guten Tag, Mademoiselle.

Als Deutsche ist es schwerer

Er rezitierte erst mal ein Gedicht, auf Berlinerisch, aus dem Stegreif. Er erzählte von Berlin, seiner früheren Heimat, von den beiden Frauen, die er damals traf. Seine Stimme war weich, sein Blick milde, wo war die Rage? Ich fragte mich, wogegen ich mich eigentlich empören sollte, und was seine etwas prinzipielle Forderung nach Protest eigentlich mit meinem Leben zu tun hatte?

"Solange Sie gleichgültig sind und sagen: 'Ich kann nichts dafür' - solange sind Sie keine richtige Frau!", sagt er, und jetzt blitzen seine braunen Augen. Aha, Monsieur le feministe, war er auch ein Erbe von Simone de Beauvoir? Er gab zu, dass es als deutsche Frau etwas schwieriger sei, sich zu empören, aber es gehe einfach um résister. So sollte man leben. So wie er.

Ihn mache das glücklich sagte Hessel, und zwinkerte. Entwaffnend. "Aber wann empören Sie sich nun endlich?". Er wurde ernst.

Hessel musste dann los zum Flughafen, für einen Vortrag in die USA. Ich lief durch die Friedrichstraße, und fühlte mich ein bisschen erhaben, auf einmal schien alles offen. Ein 93-Jähriger hatte mir das Gefühl gegeben, dass ich mutiger sein konnte, musste, und dass ein bisschen Courage mir gut stünde.

Merci und Adieu!

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Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

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