Ein kleines Café in Berlin, eng gestellte Tische, ein Piano und ein Franzose mit Dreitagebart. Der andere Musiker mit Ukulele. Sie wollen an diesem Abend Françoise Hardy, Gainsbourg, Noir Désir spielen, auf Deutsch. Es geht in den Liedern oft ums Adieusagen. Das erfährt an dem Abend aber nur, wer die Originale kennt. Der Sänger hat die Texte offenbar zwischen zwei Kippen flüchtig übersetzt und nuschelt seine Versionen runter. „Wovon singt er?“, fragte mich meine Begleitung.
Anschließend ging die Veranstalterin mit dem Hut herum, kam an jeden Tisch. Es lagen bereits mehrere Scheine drin, ich warf eine Zwei-Euro-Münze dazu. Strenger Blick. „Also ’n Fünfer darf es schon sein, die verdienen ja sonst nichts.“ Was sol
0; Was sollte ich sagen? Dass der Künstler einige meiner liebsten Chansons beleidigt hatte? Wieso kontrollierte sie mich überhaupt? Mit dem Hut rumgehen – das heißt doch Freiwilligkeit! Aber jetzt kam ich mir vor wie eine Knauserin.Man gibt Straßenmusikern etwas Geld oder mitunter auch Händlern mit gebrauchten Büchern. Ein Mann in meiner Straße hat so einen gemeinnützigen Laden. Manchmal kämen Leute, stopften sich den Rucksack voll und gäben dann nur 16 Cent in Kleinstmünzen, klagte er neulich. Das finde er verwerflich, fünfzig Cent sollten es mindestens sein. Sonst stelle er schon die Frage: „Was ist dir das Buch wert?“Rasierklingen und Musik„Pay what you want“ heißt das auf Neudeutsch – zahle, was du willst: Diese Strategie verbreitet sich zunehmend auch im kommerziellen Bereich. Das Prinzip ‚Der Kunde bestimmt selbst, wie viel ihm ein Produkt wert ist‘ hat etwa Unternehmen wie Procter & Gamble inspiriert, Rasierklingen der Marke Gillette in einem Kaufhaus zum gewünschten Preis anzubieten – als Testlauf.2007 haben Radiohead als erste etablierte Popgrößen das Album In Rainbows auf der Homepage zum selbstgewählten Preis angeboten. „It’s up to you“ – es liegt an dir, stand dort, wo man sonst die Zahlungsaufforderung findet. Viele Kunden zahlten zwar nichts, doch die Aktion lohnte sich trotzdem für die Band: Mehr als drei Millionen Mal hat sich das Album verkauft, auf CD wie auch als Download. Am Ende stand ein Gewinn, weil die Band keine Abgaben an ein Label zahlen musste und schlicht mehr CDs verkaufte.Die meisten Beispiele finden sich aber bei den Dienstleistungen – bei Restaurants oder Hotels, meist solchen, die nicht voll ausgelastet sind. Was erhoffen sie sich, wenn sonst Angebot und Nachfrage den Preis regeln? „Solche Aktionen können sich lohnen, wenn die variablen Kosten gering sind“, erklärt Martin Spann, Professor für Betriebswirtschaft an der Universität München. Er hat gemeinsam mit anderen Ökonomen mehrere Feldstudien zum partizipativen Preissystem durchgeführt. „Wer noch freie Tische hat, möchte neue Kunden gewinnen.“ So bieten manche Restaurants ein Zahle-was-du-willst-Mittagsmenü an. „Das fungiert als komplementäres Produkt – abends gibt es das Menü zum normalen Preis. Sie erhoffen sich davon neue Gäste, die dann auch abends kommen.“Im Restaurant Kish in Frankfurt am Main hat das funktioniert. Mittags waren die Preise zwar geringer, aber sie wurden über den Mengeneffekt kompensiert. „Dieser Mechanismus ist für Kunden überraschend, solche Aktionen sprechen sich herum“, sagt Spann. „Auch im Wettbewerb ist das eine sinnvolle Maßnahme: Man ist erst mal günstiger als andere.“Der GerechtigkeitsgedankeIn den USA hat ein Sandwich-Laden, die Panera Bread Company in St. Louis, zunächst mit dem Prinzip nur experimentiert. Kunden konnten statt des Fixpreises von knapp sechs Dollar für ein Truthahn-Chili-Sandwich auch weniger oder nichts zahlen, mittlerweile gibt es landesweit „Panera Cafés“, die nach diesem Prinzip funktionieren – und es rechnet sich.Im Münsteraner Zoo sind statt Rendite Besucherzahlen ein wichtiger Imagefaktor. Dort zahlen Besucher statt 14 Euro für ein normales Ticket nun im Durchschnitt fünf bis zehn Euro. Kaum jemand will gratis in den Tierpark. Warum nicht? „Da spielen soziale Normen mit: Viele denken, es wäre unfair, nichts zu geben“, sagt Spann. Neben dem Wunsch, ein Schnäppchen zu machen, gibt es den tief verwurzelten Gerechtigkeitsgedanken. Manche zahlten auch aus strategischen Gründen, „weil sie wollen, dass etwas weiter angeboten wird“.Pay-what-you-want funktioniert gut, wenn sich die Kunden dem Verkäufer und anderen Kunden verpflichtet fühlen – wie etwa in der Stammkneipe. Und manche zahlen aus rein egoistischen Motiven; weil man sich dann für einen guten Menschen hält. Viel hängt allerdings davon ab, ob man als Kunde anonym bleibt oder in eine soziale Situation gerät. Muss man der Kassiererin am Ticketschalter in die Augen sehen? Im Netz etwas zu erwerben, ist anonymer. Und beim Zoo in Münster machte es am Ende die Masse: Es kamen mehr Besucher, so stiegen die Einnahmen.Für große Konzerne wie Mercedes oder Porsche wäre bei diesem Mechanismus jedoch die Gefahr des Verlusts zu groß, sagt Spann. Aber Procter & Gamble hat von seiner Aktion profitiert und Kunden gewonnen. Eine Ausnahme. „Pay-what-you-want wird ein Nischenmechanismus bleiben“, resümiert Spann. „Aber dort hat das Modell seinen festen Platz.“ So wie in der „Weinerei“, einem Café in Berlin, in dem abends Wein für den Preis angeboten wird, den der Kunde ausgeben möchte. Es kommen viele Touristen, nur die zahlen wenig. Aber es gibt ja noch die Stammkundschaft. Meine persönliche Erfahrung dort: Ich fühlte mich jedes Mal seltsam, wenn ich nur einen Euro fünfzig gab. So als würde ich mich an der Gemeinschaft vergehen.Als Kundin stecke ich in der Klemme: Weil ich entweder zu viel ausgebe für eine Leistung, die es nicht wert war – oder zu wenig, angesichts der prekären Lage des Gitarristen etwa. Ich denke nach dem Konzert oft endlos darüber nach. Das nächste Mal zahle ich ganz ehrlich, was ich will. Nur wie viel ist das noch mal?