Wo war Eric?

Bank Run Der von Eric Cantona ausgerufene Bankensturm blieb aus - das System wurde noch nicht mal gestört. Sogar der Anführer selber spielte bei der Revolution nicht mit

Der Tag X hatte wie geplant angefangen. Solche, die sonst mit Baguettes oder Spaghettipackungen bewaffnet sind, ein paar Mitglieder des Kollektivs „Retten wir die Reichen“, marschierten am gestrigen Dienstag in den früheren Farben ihres Anführers, in gelb-schwarzenManchester United-Trikots, zur Société Générale in Paris, um ein paar hundert Euro abzuheben. Anschließend deponierten sie ihre Bündel bei der Crédit Cooperatif, einer Bank für „soziale Ökonomie“. Der guten Bank.

Währenddessen lungerten schon mehrere Journalisten und Kameramänner vor einer anderen Filiale in der Picardie-Region, im kleinen Städtchen Albert, in dem Eric Cantona, der millionenschwere Ex-Fußballer, der zum Bankensturm geblasen hatte, gerade einen Film dreht. Er hatte wissen lassen, er wolle bei der BNP Paribas am Tag X (das Datum hatte die Initiative Bank Run 2010 festgelegt) eine größere Summe Euro abheben. Spontan sind in Frankreich maximal 1500 Euro erlaubt, alle anderen Summen muss man vorher anmelden. Auch sein Konto aufzulösen dauert länger als ein paar revolutionäre Minuten.

Durch seine Aktion Bankensturm, mit der Cantona das Finanzsystem zusammenbrechen lassen wollte, löste er schon vorher Polemik aus. Auf der Webseite Slate.fr wurden die beiden jüngeren Fußballgötter der Grande Nation als Gegenspieler inszeniert: Zidane, der Clevere, der seinen Namen und sein Image teuer verkauft, indem er als Botschafter für die WM in Katar fungiert, und Cantona, das Enfant terrible, das sein soziales Gewissen entdeckt hat. Für ein paar Tage war dessen Idee ein charmantes Thema in den Bars von Paris, Marseille oder Bordeaux. Jedoch die Politiker zürnten: „Jeder macht sein Metier nach seinen Kompetenzen“, sagte die französische Wirtschaftsministerin Christine Lagarde. Cantona sei "verantwortungslos", mokierte der Chef der Euro-Gruppe, Jean Claude Juncker. Seine Aktion richte sich gegen ganz Frankreich. Aus dem rüpelhaften Ex-Kicker war ein Che Cantona geworden, wie ihn französische Medien nennen.

Che im Rolls Royce

Aber wo war Che Cantona?, fragten sich die Journalisten, als die Zeit reif war für die Revolution. Und wo waren die Massen?
38.000 Anhänger waren der Facebook-Gruppe: „Am 7. Dezember werden wir alle unser Geld bei den Banken abheben“ beigetreten und hatten auf „Ich nehme teil“ geklickt. Sie mobilisierten andere per Twitter, am Mittag des 7. Dezember wurden teilweise 1000 Nachrichten pro Stunde verschickt, dort wo die Initiative angefangen hatte, im Internet, war sie am aktivsten. Eine schwedische Webseite hatte gepostet: „Helfen wir Cantona, Pay Pal zu verhöhnen, hebt eure Dollars ab“. Pay Pal ist ein Online-Sevice, der zu Ebay gehört. Stuttgart21-Gegner unterstützten die Idee unter dem Namen "Schwaben-Bankenstreich". Aber nirgends stürmte es. Der digitale Bank Run ließ schnell nach, für das reale Leben, für das er gedacht war, fehlte ihm der Atem. Ein Regionalchef der Crédit Lyonnais in Cantonas Geburtsstadt Marseille vermeldete einen normalen Betriebsablauf, niemand sei gekommen, um sein Konto leer zu räumen. Die Geschäfte liefen "comme d' habitude".
Nachmittags zeigte die Webseite der New York Times ein Foto von Eric Cantona auf der Startseite, eine Französin in New York folgte seinem Aufruf, aber sie hatte das meiste Geld während der Finanzkrise verloren. Im Netz machte man sich nun langsam lustig über den Möchtegern-Revoluzzer. Die Klatschseite bakchich.infoveröffentlichte ein Video von 2005, in dem Cantona in einer Talkshow lässig über seinen Rolls Royce und sein Leben auf der Sonnenseite plaudert, er habe sein Geld in Lebensversicherungen, in Aktien und Immobilien investiert, aber das sei eben nicht alles. Irgendwann denkt man auch an Ethik. Je länger sich der Tag X jedoch hinzog, umso mehr schrumpfte Che Cantonas Image.

Erst verbreitete sich die Nachricht, dass seine Frau Rachida Brakni vor kurzem in einem Werbeclip der LCL-Bank aufgetreten ist, während ihr Mann die Banken vernichten möchte. Dabei hat auch Cantona lukrative Werbeverträge: mit L'Oréal, Nike, Lipton und Renault. Manche sehen in ihm nicht mal einen linken Salonlöwen, sondern eher den Kantor der Konsumgesellschaft. Spätestens als die Webseite Wansquare meldete, dass der Fußballer gerade erst 750 000 Euro auf eine Privatbank transferiert hat, war auch die politisierte Online-Community verstört. Die Bank stürzen wollen, und gleichzeitig ihr bester Kunde sein? So verhöhnt König Cantona sein Volk, all diejenigen, die sich mit seiner Idee solidarisierten. Auch wenn sie wussten, dass sie gar kein Konto leer räumen konnten. Weil sie im Dispo sind.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

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