Vor dem Schlafengehen, Netflix-Zeit. Fast alles schon gesehen, manchmal Serien abgebrochen, und andere, wie diese neue französische, sind zu komplex, um schnell einzusteigen. Also mal was anderes. Keith, yeah, wie der schon aussieht, Bandana im Haar, Kippe im Mundwinkel, die nächste griffbereit. Keith Richards sitzt da in diesem Film in einem seiner Häuser, redet über Jazz, Blues, Johnny Cash, Reggae, Elvis. Ohne sie gäbe es den Rock nicht, was wäre Keith ohne sie? Die meisten Menschen würden in ihm diesen ständig Joints rauchenden, abgehalfterten Typ mit der Stratocaster sehen – you know? Er werde dieses Image niemals los, aber „ich weiß, wer ich bin“, erklärt Richards.
In der Dokumentation Keith Richards: Under the Influence (2015) wird der Leadgitarrist der Rolling Stones von Regisseur und Oscarpreisträger Morgan Neville eine Weile begleitet. Man kann Richards ins Studio folgen, wo er jammt, lacht, viel raucht. Er fährt durch Chicago, steigt am Wohnhaus von Muddy Waters aus, erzählt von dem Einfluss, den der schwarze Bluesrocker auf ihn hatte. Jugend, Sex, Drugs, das kam alles so mit, wichtig ist nur Rock ’n’ Roll – you know? Der Film wird zum Trip zu den Wurzeln amerikanischer Musikgeschichte. Richards verkörpert sie. Historischer Einschnitt: 1981 spielten die Stones mit Muddy Waters, sie wirken wie Schuljungen neben ihm. Es ist ein langsames Porträt, es ist – so wie Richards – wie aus der Zeit gefallen. Im Blues hört er das Echo irischer Volksmusik. Richards ist ein Besessener.
Anders als in Musikfilmen über Whitney (2018) oder Amy (2015) werden hier keine privaten Scharmützel aufgewärmt. Einmal redet Richards vom „Dritten Weltkrieg“, der in den 1980ern zwischen ihm und Mick Jagger ausgebrochen sei, weil er keine Lust auf diese Art Rock gehabt habe, wo man „mit den Händen auf den Boden klopfen sollte“. Die Stones trennten sich, Richards machte solo Blues. „Mit 75, bist du erwachsen, Keith?“, fragt der Regisseur. „Nein“ – wieder sein Raucherlachen – „erst wenn sie mich unter die Erde gebracht haben.“
Es ist so eine Sache mit Rockstar-Dokus. Meist werden die Künstler nach ihrem Tod glorifiziert, oder ihr Leben wird rückwärts so konstruiert, als ob es nur tragisch enden konnte, zielgerade auf Abschuss. Amy Winehouse, Withney Houston, Lemmy Kilmister, Michael Jackson, Bob Marley, Kurt Cobain, sie sind alle tot. Manche, die größer sind als das Leben selbst, sind noch da. Keith. Oder Lady Gaga. Mehr als 40 Jahre jünger als er. Diese blondierte Fleischkleid-Superbowl-Aktivistin, was kann sie einem erzählen? Im Film A Star Is Born (2018) spielt sie eine Kellnerin, die von einem Countrysänger entdeckt wird, der ziemlich fertig ist mit der Welt. Aber diese Frau, was für eine Stimme, was für ein Song! Für Shallow hat Lady Gaga in diesem Jahr den Oscar bekommen. Sie wurde interessanter. Netflix hatte eine Doku über sie schon im Programm: Gaga: Five Foot Two (2017).
Dieses Porträt eines weltumgreifenden Superstars, der schnell erwachsen, „eine Frau werden“ wollte im Musikbusiness. Man kann ihr folgen, wenn sie ihre Oma besucht und ihr nervös einen neuen Song vorspielt. Oder massiert wird. Muss man Lady Gaga bei der Massage zuschauen?
Nein, aber wer das aushält, der sieht dann auch ihren Schmerz, immer wieder muss sie wegen Muskelschmerzen zum Arzt, nimmt Spritzen und Tabletten, kämpft gegen Angststörungen und Panikattacken. Sie ist Anfang 30, sie weint oft. Am Tag werde sie von der Welt angefasst, nachts sei sie allein. „Als ich zehn Millionen Alben verkaufte, habe ich Matt verloren. Ich verkaufte 30 Millionen, ich verlor Luc. Ich bekomme den Film, ich verliere Taylor“, sagt Lady Gaga aus dem Off. Alles Alltägliche wird aufgenommen, weil es wichtig ist, es ist Leben, es ist Pop. Regisseur Chris Moukarbel zeigt diese Ikone ungefiltert, geht nah ran, ohne dass es intim wird oder anbiedernd. Er zeigt, wie hart das Leben als Kunstfigur ist. Ohne den Blues.
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