Der Nutzen der FDP - Die Kosten der Mitte

Mehrheiten Das Jamaika-Aus ist nicht etwa Überzeugungstat, sondern reines Machtkalkül. Die Kosten dafür trägt keine Geringere als die demokratische Mitte der Gesellschaft.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

FDP-Chef Lindner: "auf dem Reißbrett der Umfragestrategen und Werbedesigner"
FDP-Chef Lindner: "auf dem Reißbrett der Umfragestrategen und Werbedesigner"

Foto: Sean Gallup/Gettyimages

Alles scheint perfekt vorbereitet: Im Reigen der Führungsriege der FDP betritt Christian Lindner die große Bühne, um dem scheinbar endloserscheinenden Sondierungsgesprächen zwischen CDU, CSU, Bündnis90/Die Grünen und den Freien Demokraten ein Ende zu bereiten. In den Worten, wie wir jetzt wissen, keine Zufälligkeit, sondern Kalkül, welches in den Tagen zuvor bereits für alle Kanäle vor- und aufbereitet wurde.

Es sei besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Diese Worte stürzen alle politischen Akteure, von den Berliner Parteizentralen bis zum Schloss Bellevue in Ungewissheit - bis auf die FDP selbst. Denn das Unerwartete kann den Vorbereiteten nicht treffen, verunsichert aber im Spiel um Mehrheiten die Gegenseiten.

Überzeugungstäter Lindner?

Aufgemacht, als Überzeugungstat einer selbsternannten Symbolfigur für die Neuaufstellung der FDP. Gewiss, die Kosten der letzten Koalition unter Angela Merkel waren hoch. Die Freien Demokraten mussten sich außerhalb des Parlaments neu erfinden. Das tat Parteichef Lindner mit akribischer Disziplin, auf dem Reißbrett der Umfragestrategen und Werbedesigner. Viel Zeit, in der die FDP sich nicht auf ihre parlamentarische Kommunikation stützen konnte, vier Jahre, in der die Demokratie eine Große Koalition erlebte und gesellschaftliche Herausforderungen stillschweigend wegverwaltet wurden, alles unter den Augen der Medienöffentlichkeiten, in denen sich eine neue Akteurin, die AfD mit einer aufdringlichen Allgegenwärtigkeit den Raum für Profilierung marginalisierte.

Und trotz alledem befand sich Christian Lindner in der Lage über die Mehrheiten zur Regierungsbildung zu entscheiden. Ein enormer Kraftakt, allen Hindernissen zum Trotze. Der Eintritt in eine Regierungskoalition wäre mit großen Unsicherheiten verbunden: Bleibt Platz für eigene Inhalte oder vereinnahmt Angela Merkel wieder jede Position für sich? Wie spannt sich ein inhaltlicher Bogen mit den Grünen, der zumindest in den Positionen der Wahlprogramme schwer vorstellbar ist? Und wie stellt man sich in Verhandlungen einem angeschlagenen, aber innerparteilich kämpfenden Horst Seehofer entgegen?

Existenzberatung

Diese Fragen sind am Ende diejenigen gewesen, die jeden rationalen Politikberater dazu bewegt hätten, von Jamaika abzuraten. Denn die Kosten für Christian Lindner sind keine geringeren als der wiederholte Verlust von parlamentarischer Repräsentation - in der Folge sogar Existenz der Partei. Denn wenn die Freien Demokraten Gesetzesprozess nicht im Sinne ihrer nahestehenden Verbände beeinflussen kann, dann bröckelt die im größeren Maße spendenfinanzierte Parteifinanzierung. Ein nochmaliges Aufstellen nach dem Totalverlust, scheint reales Risiko.

Der Nicht-Eintritt dagegen nutzt der FDP. Die einzig denkbare Alternative scheint eine Große Koalition und die nährt die kleineren Parteien, international betrachtet vor allem den rechten Rand. Verliert die SPD erneut an großer Zustimmung, kann die hegemoniale Stellung der CDU/CSU sich festigen und die SPD dauerhaft sich bei den übrigen politischen Mitbewerbern in der Wählerzustimmung einordnen. Eine Neukonfiguration des Parteiensystems. Und genau dies würde das politische Überleben der Freien Demokraten in den nächsten Jahrzehnten sichern.

Doch: Die gesellschaftliche Mitte blutet in der Großen Koalition. Die Zerreißprobe droht. Überdrüssig von Formelkompromiss-vortragenden Fraktionsvizen, sitt von Positionen und Maßnahmen, welche weit weg von der Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit breiter Bevölkerungsschichten sind. Nicht zufrieden mit dem Verwalten gesellschaftlicher Veränderung und offensichtlicher Ungleichheiten in Bildungs- und Aufstiegschancen. Konsterniert von der Omnipräsenz Moderation politischer Debatten durch Angela Merkel. Und alles auf Kosten der gesellschaftlichen Mitte, welche sich weiter polarisieren muss, um diesen Stillstand zu lösen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maximilian Janetzki

political advisor and campaigning expert, music & food enthusiast, art lover & gamer

Maximilian Janetzki

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden