Ich, das Micro Target

Wahlkampf Im großen Graubereich des Datenhandels tummelt sich neben sozialen Netzwerken schon lange auch die Deutsche Post – und hilft dabei auch politischen Parteien

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Grüße aus dem Zwielicht
Grüße aus dem Zwielicht

Foto: Miguel Villagran/Getty Images

Wem gehören meine Daten? Diese Fragen stellt sich in den letzten Wochen wieder häufiger. Gab es noch soziale Bewegungen gegen den staatlich erhobenen Zensus in den 80ern, so geben heute täglich millionenfach Bürgerinnen und Bürger mit einem Kontrollkästchen-Klick neben die AGBs ihre Daten an datensammelnde Unternehmen ab. Konsumverhalten, Bewegungsprofile und Freundschaftsbeziehungen werden von den Internetriesen algorithmisiert erahnt, erforscht, manipuliert und vermarktet - eine Realität die sich auch George Orwell nicht hätte schlimmer ausdenken können.

In Deutschland spielen dabei – abseits vom unregulierteren US-Markt – die Bundes- und die europäische Datenschutzgesetzgebung die entscheidenden, aber doch löchrigen Rollen. Auf der Bundesebene steht der Grundsatz, dass man keine personenbezogenen Daten erheben darf. Sprich: Es sollte nicht möglich sein, dass man auch erstens individuelle Personenprofile erhebt und zweitens, dass man aus aggregierten Daten die oder den Einzelnen nicht herauslesen kann.

Die kürzlich novellierte europäische Datenschutzverordnung sollte den Internetriesen die Daumenschrauben anziehen. Mit ihrem Inkrafttreten am 25. Mai 2018 wird aber unter anderem auch geregelt, dass es für die Speicherung personenbezogener Daten qualifizierte Erlaubnistatbestände gibt und dass, wie sensibel im nun publik gewordenen Fall, die Meldepflicht von Datensammlern gegenüber den Landesbehörden gänzlich wegfallen wird.

Datenkrake Deutsche Post

In Deutschland ist eines der umsatzstärksten Modelle die datenbasierte Postansprache durch das Tochterunternehmen Deutsche Post Direkt. Auf der Internetpräsenz schreibt der „Adress-Spezialist“, er stehe für „Intelligente Adresslösungen für erfolgreiche Werbung per Post“. Werbetreibenden können also für die Ansprache von Zielgruppen laut Post möglichst genaue Versendungen kaufen. Doch warum hat die Post neben den Daten zur Adressen von Personen überhaupt noch mehr Daten gespeichert? Warum kann sie einschätzen, welcher Haushalt für welchen Produkte zu bewerben ist? Noch bedenklicher: Wo zu werben ist für welches politische Vorhaben – wie halt laut WDR geschehen im Bundestagswahlkampf für FDP und CDU in Nordrhein-Westfalen.

In Fachkreisen spricht man hier von der Wahlkampfmethode des „nudging“. Eingeschätzt vorhandenen Präferenzen werden dabei von einer Werbebotschaft angesprochen, ohne dabei gegen geltende Verbote zu verstoßen. Die Hausfrau erhält Werbung zu höheren Kinderfreibeträgen, der Jurist zu Entlastungen für Selbstständige. Es geht auch noch schlimmer: Wie die Beeinflussung des US-Wahlkampf zeigt, haben hier Fake-Profile in sozialen Netzwerken offensichtlich Falschnachrichten über die die Gegenkandidatin verbreitet oder bestimmte ethnische Gruppe gegeneinander ausgespielt.

Bei der Deutschen Post muss die Frage erlaubt sein, warum es ihr offensichtlich von den Aufsichtsbehörden jahrelang erlaubt wurde, nicht nur für die Zustellung von Briefen und Sendungen erforderliche Daten zu erheben, sondern nebenbei einen großen Datensatz über viele sozial-ökonomische Indikatoren anzulegen und zu vermarkten. Der Nukleus des Zustellers erweiterte sich mit Tentakeln in alle Lebensbereiche. Diese „Big Data“-Sammlung zu vernetzen in einer Tochtergesellschaft und politischen Bewerbern zur Verfügung zu stellen – offenkundig in Fachkreisen bekannt auch schon über die letzten fünf Jahre auf verschiedenen Ebenen von der Bundesebene bis zur Kommunalebene – wirft Fragen auf, die die demokratische Ordnung des politischen Wettbewerbs betreffen.

Warum für Parteien immer noch anderen Spielregeln gelten sollten und was jetzt zu klären ist

Anders als bei Werbetreibenden, die ein offenkundiges geschäftliches Interesse haben, werben Parteien mit ausgewählten Inhalten in bestimmten Zielgruppen. Nicht nur, dass es eine Wettbewerbsverzerrung gibt, in dem die ökonomisch Stärkeren passgenauer Inhalte senden können, sondern auch über den Umstand, dass mit ausgewählten Botschaften, potentielle Wählerschaften jene verzerrte Bilder suggeriert werden können, die Partei kümmere sich vornehmlich um die Lebenslage der ausgewählten Adressaten, werfen Fragen auf, die den demokratischen Kern des Wettbewerbs um Ideen betreffen. Deshalb muss dem digitale Möglichkeitsraum ein Korsett übergestreift werden, welches die demokratische Verfasstheit wieder in einen ausgeglicheneren Parteienwettbewerb zwängt. Der Gesetzgeber müsste die datenhungrigen Parteien einschnüren - zum Wohle der Demokratie.

Nun aber bei einer über die Jahre entstandenen und der Digitalisierung zuzuordnenden Praxis von einem Skandal zu sprechen ist übertrieben. Würde sich aber herausstellen, dass CDU und FDP zu deutlich vergünstigten Konditionen, außerhalb des üblichen Preisgefüges Leistungen in Anspruch genommen hätten oder dass entgegen des Geschäftsmodells der Datensatz für diese Partei zur Verfügung gestellt wurde, so lässt es den Vorgang in einem anderen Licht erscheinen.

Und zur guter Letzt: Wem gehören meine Daten? Auf diese Frage muss auch die Politik eine Antwort finden. Denn in Lebensbereichen in denen digitale Kommunikation auch schon gesellschaftliche oder wirtschaftliche Teilhabe bedeutet, kann der Einzelne nicht den Verzicht auf die massenhafte und verarbeitete Datenweitergabe durchsetzen. Besonders im Fall der Deutschen Post kann sich der einzelne Haushalt dieser Datenerhebung in keinster Weise entziehen. Hier müssen Mechanismen gefunden werden, dass für solche Geschäftsmodelle auch eine individuelle oder gesellschaftliche Entschädigung gezahlt werden muss. Andernfalls gibt es irgendwann ein Erwachen in unserem ganz eigenen „1984“, welches die Privatsphäre eines Individuums als micro target gänzlich an die Märkte veräußert und unsere Gewohn- und Freiheiten für Parteien und Unternehmen preisgegeben hat.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maximilian Janetzki

political advisor and campaigning expert, music & food enthusiast, art lover & gamer

Maximilian Janetzki

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