Es rauschte und fiepte erwartungsgemäß

Kontakte 19 Die Klangkunst muss sich allmählich fragen lassen, was sie noch Aufregendes zu bieten hat
Ausgabe 40/2019

Wer an Zischen, Rauschen, Fiepen und Blubbern denkt, liegt nicht ganz falsch bei der Kontakte ’19 – Biennale für Elektroakustische Musik und Klangkunst. Seit 2015 geht es bei dem Festival um elektronisch erzeugte oder verfremdete Musik, die oft Geräusch an der Grenze zum Ton, manchmal nur Stille ist. Per definitionem braucht sie auf jeden Fall eine Art von Lautsprecher zur Wiedergabe. Nach einem Werk des großen Deutschen dieser in den 1950ern entstandenen Grenzgängerei, Karlheinz Stockhausen, hat man die Neuigkeitenschau an der Berliner Akademie der Künste benannt. Gespielt wurde im Bau am Hanseatenweg, der sich mit seiner brutalistischen Architektur gut zum avantgardistischen 60er-Jahre-Gestus gesellt. Denn das Genre – meist ist es in der Tat nicht mehr als ein solches – musste sich die Frage gefallen lassen, was es Aufregendes zu bieten hat, im 21. Jahrhundert.

Rückkopplungsorgien

Die Delegation vom Shanghai Conservatory of Music fand darauf eher anachronistische Antworten. Ist man von China allseits technischen Fortschritt gewohnt, bekam man es hier mit einer Rückkopplungsorgie zu tun. Man jagte diverse Instrumente der E-Musik (Flöte, Cello, Klavier) durch einen Algorithmus, der verzögert hörbare, sich überlagernde „Antworten“ produzierte. Es zischte, rauschte, fiepte und blubberte erwartungsgemäß in 5.1-Raumklang, wobei der Zuschauer zumindest auf die natürlichen Eigenheiten der einzelnen Instrumente aufmerksam wurde.

Weitaus spannender beschäftigten sich Daniel Kötter und Hannes Seidl in Stadt Land Fluss mit den Möglichkeiten der Immersion. Dazu wurden die Zuschauer auf drehbare Stühle gesetzt und bekamen VR-Brillen übergezogen. Drumrum: Lautsprecher, Scheinwerfer und Ventilatoren. Vor den Augen das Bild einer Flusslandschaft, Bäume und eine Holzhütte. Beeindruckend physisch konnte man den so illustrierten Wechsel von Nacht zu Tag nachvollziehen, fühlte Beklemmung, Kälte. Es fehlte das, was meist fehlt: das Olfaktorische. Dem Mangel an Geruch setzten die Künstler einen Überschuss an Klang entgegen, während der Bretterverschlag in Flammen aufging. Dem durchaus beeindruckenden Experiment einen Flüchtlings-Kontext sowie ein Zitat aus der griechischen Antike anzuheften, lässt sich wohl mit dem Wort „Akademie“ erklären: Staatliche Förderung ruft gern nach intellektueller Rechtfertigung. Ergebnisse des relativ neuen Förderstipendiums der Ernst von Siemens Musikstiftung, „Progetto Positano“, gab es außerdem zu sehen und hören. Der Spanier Óscar Escudero steckte nicht das Publikum in die virtuelle Realität, sondern seine Musiker. Deren Agieren im postmodernen digitalen Dystopia wurde begleitet vom Sound des Internets: Klicken, Piepsen, Google Translator. Eine gelungene Abwechslung performativer sowie unterhaltsamer Art zum sonst eher introspektiven Charakter des Festivals.

Besonders löblich waren die sehr inklusiven Eintrittspreise zwischen drei und zehn Euro pro Veranstaltung. Ein Festivalpass war erhältlich, dem durchschnittlichen Zuschauer ist aber zu empfehlen, diese doch recht kleinliche und kleinteilige Kunst in sparsamen Dosen zu konsumieren, sodass genügend Raum für Stimulanz bleibt während dieser fünf Tage mit über 70 Werken, mehr als 20 Uraufführungen, etwa 120 Künstler*innen. Öfter fand man sich nämlich in Performances von Akademikern, Formalisten und Nerds wieder, die so manche überraschende Rückkopplung im Geist des Zuhörers auslösten.

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