Im Raumschiff

Star Trek 30 Jahre lang spielte George Takei den Lieutenant Sulu. In der Graphic Novel „They Called Us Enemy“ schreibt er über seine Kindheit im US-Internierungslager
Ausgabe 22/2020

Lieutenant Hikaru Sulu war ein Novum im US-amerikanischen Fernsehen. Nicht genug, dass ein Asiate eine Hauptrolle in einer großen Donnerstagabendserie bekleidete, Sulu war jung, dynamisch, intelligent und gutaussehend. Bisher herrschte der gängige Hollywood-Rassismus: Vor dem Zweiten Weltkrieg spielte Peter Lorre den schrullig unterkühlten japanischen Detektiv Mr. Moto in einer Reihe von Filmen, Marlon Brando küsste 1956 in The Teahouse of the August Moon zarte Frauen, „Lotusblüten“. Und dann kam Star Trek und zeigte eine Weltraumweltgemeinschaft, in der der Begriff „Rasse“ zumindest für den Menschen keine Rolle spielte. Gene Roddenberrys Serie begleitete die wichtigen Jahre der Bürgerrechts- und Hippiebewegung; die erste Version von Raumschiff Enterprise kam mit der Eskalation des Vietnamkriegs auf Sendung und endete zwei Monate vor Woodstock. Derweil unterhielt Uncle Sam seit 1941 praktisch unentwegt militärische Auseinandersetzungen gegen „gelbe“ Staatsfeinde. Vor den Vietnamesen waren es die Koreaner, die Japaner, und eigentlich waren es schon immer die Chinesen.

Wer das Falsche ankreuzt

Davon, dass diese Kriege auch nach innen geführt wurden und welche Grausamkeiten die US-Regierung ihren unschuldigen Bürgern antat, berichtet nun der Comicband They Called Us Enemy von George Takei, der die Rolle des besagten Sulu dreißig Jahre lang verkörperte. Auf gut 200 Seiten erinnert sich der 83-Jährige an seine Kindheit, die relativ sorgenfrei in der unteren Mittelschicht von Kalifornien beginnt. Georges Eltern sind Einwanderer der ersten Generation, genannt „Issei“. Menschen aus dem kaiserlichen Japan suchen zu Anfang des 20. Jahrhunderts nach neuen Chancen jenseits des Pazifiks, 127.000 Japano-Amerikaner leben zum Zeitpunkt von Pearl Harbor auf dem Festland der USA. Viele dieser Immigranten, so auch die Familie Takei, glauben fest an die „westlichen Werte“. Optimistisch bauen sich die Eheleute Takekuma und Fumiku mit einigem Fleiß eine selbstständige Existenz mit einem Wäschereibetrieb auf. Los Angeles nennen sie ihr Zuhause, kaufen dort ein Reihenhaus, welches sie mit drei Kindern füllen.

Über Nacht wird aus dem kleinbürgerlichen Glück ein Albtraum. Als auf Hawaii Bomben fallen, folgt die Kriegserklärung von Roosevelt an Hirohito nur eine halbe Stunde später. Bereits am nächsten Tag wird der Kleinwagen der Takeis beschmiert und demoliert. Den Spruch „Japs out!“ müssen die rechtschaffenen Bürger nicht zum letzten Mal ertragen. Zwei Monate danach folgt die nächste Stufe der Erniedrigung: Der US-Präsident unterzeichnet am 19. Februar 1942 die berüchtigte Executive Order 9066, welche besagt, dass alle Personen japanischer Abstammung von nun an unter Generalverdacht des Landesverrats stehen. Präventiv werden sie fast alle interniert, die sogenannten Relocation Center verteilen sich über die gesamte Westküste hinweg, bis ins 2.500 Kilometer entfernte Arkansas. George und seine Angehörigen werden tatsächlich über zwei Drittel des Kontinents hinweg deportiert, lebhaft erinnert sich der Autor in der Graphic Novel an diese scheinbar unendliche Tage dauernde Überfahrt.

Die Zeichnungen der Illustratorin Harmony Becker sind im klassischen, schwarz-weißen US-Stil gehalten, dabei immer präzise und ausdrucksstark, aber auch konservativ und wenig kunstvoll, manchmal monoton. Am besten nachvollziehbar gelingt die grafische Auseinandersetzung, als es um Reflexionen über das Täuschungspotenzial kindlicher Verklärungen geht. Takei selbst nahm die Zugfahrt rückblickend nämlich als einziges großes Abenteuer wahr. Während die Eltern den Kindern die Reise ins Ungewisse mit Spielen und Süßigkeiten schmücken, ringen sie damit, sich nichts von ihrer existenziellen Angst anmerken zu lassen. Im Lager angekommen, sind sie enteignet, entwürdigt und sollen es sich in einem Pferdestall auf Armeepritschen gemütlich machen.

Gegen Ende des Krieges verschärfen sich die Umstände noch einmal, Fragebögen zur Loyalität der Japaner werden ausgehändigt. Wer das Falsche ankreuzt, kommt in noch unmenschlichere Straflager und wird zuletzt vor die Wahl gestellt, entweder die Staatsbürgerschaft aufzugeben und ins zerbombte Japan verschifft zu werden oder in den USA Armut, Rassismus und Obdachlosigkeit ausgeliefert zu sein.

Immerhin: Viele Japano-Amerikaner wurden rehabilitiert und entschädigt. Was George Takeis Buch dennoch bemerkenswert macht, ist die Perspektive eines unerschütterlichen Demokraten, der im Sinne eines fehlbaren Gottes auch an den fehlbaren Willen einer Gesellschaft glaubt. Das Unrecht, das ihm bereits in frühen Jahren angetan wird, führt in seinem Fall zu politischem Aktivismus. 1972 wird er stellvertretender Delegierter der Democratic National Convention und im darauffolgenden Jahr fast ins City Council von Los Angeles gewählt. Zudem kämpft Takei, selbst glücklich mit einem Mann verheiratet, seit seinem Outing 2005 offensiv für die Rechte der queeren Community.

Info

The Called Us Enemy: Eine Kindheit im Internierungslager George Takei Justin Eisinger, Steven Scott (Co-Autoren), Harmony Becker (Ilustration), Cross-Cult 2020, 208 S., 25 €

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