Wille, Walle, Maniküre

Deutsche Oper In Berlin wurde ein neuer „Ring“ gezeigt. Sechs Stunden Sitzfolter fanden vor 770 Zuschauern statt – mit Infektionsschutz
Ausgabe 40/2020

Letztes Jahr eröffnete die Komische Oper Berlin mit dem schwulen Kommunisten Hans Werner Henze die Saison, dieses Jahr eröffnet die Deutsche Oper Berlin mit Richard Wagner – ein neuer „Ring“ steht in den Startlöchern. Bereits im vernagelten August dieser Infektionssaison führte die Birmingham Opera Company eine pragmatisch gekürzte Fassung von Rheingold in der Deutschen Oper auf – unprätentiös, für schmales Geld, als Open Air auf dem Parkdeck. Wagnerianer aber sind Augenverdreher, sie benötigen Opulenz und germanische Werktreue hinter jeder großen Terz, verschmähen allzu reduzierte oder gar antifaschistische Interpretationen mit einem beleidigten „Hier gilt’s der Kunst!“. Pomp, Pomade, Prahlerei sind 2020 Pustekuchen: Bayreuth blieb geschlossen, eine Video-Performance namens Loop of Nibelungen erinnerte online daran, dass das staatlich subventionierte Champagnersaufen im ehemaligen Offizierscasino der US-Army entfiel.

Weil derart wenig Privilegierung Privilegierte schmollen lässt, kommt ein „unpolitischer“ Tröster wie Stefan Herheim als Regisseur gelegen. Der Norweger ist gefragter Fachmann fürs Abonnement, er garantiert Gleichmaß und, immerhin, Puppenspiel in jeder Inszenierung. Allen Erwartungen der Kulturpolitik gemäß, präsentierte sich die Premiere der Walküre am vergangenen Sonntag in allumfassender Mediokrität: Brave Landschaften aus alten Lederkoffern, bunte Soldaten- und Heldenkostüme, Anachronismen (Whisky-Cola als Met), Spezialeffekte der herkömmlichsten Sorte (Tiere, Kinder, Trockeneis), und manchmal ging, als besonderer Gag, das Saallicht an. Mit einem magischen Konzertflügel und einer Walküre-Partitur darauf, beabsichtigte Herheim Metareferenzen auf den Komponisten als Weltschöpfer herzustellen, während die Koffer sanftmütig alles von Reise bis Flucht assoziieren wollten. Im Programmheft gab es ein Bild von „DDR-Flüchtlingen“ zu bewundern. Frank Castorf übrigens wurde 2019 während seiner Inszenierung von Verdis La Forza del Destino an diesem Haus vom Westberliner Opernpublikum mit einem lauten „Geh doch nach drüben!“ bedacht.

Sechs Stunden Sitzfolter fanden vor 770 statt 1.800 Besuchern statt. Im Haus an der Bismarckstraße kam man den Anforderungen zum Infektionsschutz mit fröhlicher Kreativität entgegen. Schon in der Garderobe wurde separiert, es gab Jackenabstände. Höhepunkt jeder Oper sind die Pausen. Unter einem Tisch füßeln oder danebenstehen, frei atmen und essen, durfte ausschließlich, wer im Vornhinein reserviert hatte. Während der sechs Stunden im Heiligtum der unterdrückten Huster die Maske abzunehmen oder gar außerhalb der Deutschen Oper zubereitete Speisen auf einer Sitzgelegenheit fernab der Bewirtung einzunehmen, wurde Besuchern zweiter Klasse strikt untersagt. Wer sich nur einen Kaffee oder die obligatorische Brezel leisten konnte, hatte zu warten oder zu frieren. Draußen regnete es in Strömen bei neun Grad.

Der Förderkreis der Deutschen Oper ließ auf den reservierten Tischen kostenloses Gebäck verteilen. Im Vorstand dieses Förderkreises sitzen unter anderen der Auktionator und Investmentbanker Kilian Jay von Seldeneck, der Vorstandsvorsitzende der Weberbank Klaus Siegers, Sophie Prinzessin von Preußen sowie die Leiterin des Volkswagen Kulturengagements Benita von Maltzahn. Ein junger Mann im Parkett trug eine Mundnasencharakterbedeckung mit den drei Buchstaben „CDU“, er rief, als der Vorhang endlich sank, am lautesten „Bravo!“. Und schwemmt der nächste Gletscher Wolfsburg weg, nennen sie ihn Lohengrin. Die Platzwahl ist dann frei.

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