Protestiere nicht – verbessere dich?

Aktivismus Fängt die Revolution bei dir an – oder endet sie bei dir? Über persönliche Verantwortung und gemeinschaftlichen Protest

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ist es mit „gutem Konsum“ getan?
Ist es mit „gutem Konsum“ getan?

Foto: Georges Gobet/AFP/Getty Images

Der Erfinder des ökologischen Fußabdruck glaubt nicht, dass der Einzelne einen Unterschied macht. Also Protestieren statt bei sich anzufangen? Unauthentisch! Den Protest meiden und vor der eigenen Türe kehren? Unpolitisch! Unsolidarisch! Feige! Oder nicht?

***

Eine politische Zeit. Der Vietnamkrieg tobt an einem Ende der Welt. Am anderen gehen die Menschen auf die Straße. Minderheiten kämpften für ihre Rechte, Frauen für Gleichberechtigung. Es gibt eine Menge Dinge für die man seine Stimme erheben kann. Ein junger Bob Dylan singt zu dieser Zeit Lieder über die Unterdrückung der Schwarzen, über die Profiteure des Krieges und über die Welle der Veränderung.

Er spielt nicht nach den Regeln der Journalisten. Sie sagen, er sei die Stimme einer Generation. Sie wollen ihn festnageln. Auf eine Position, eine Weltanschauung, eine gesellschaftliche Rolle. So wie sie es mit jedem machen, der sie lässt. Dylan lässt sie nicht. Er will kein Protest-Singer sein und schon gar nicht die Stimme einer Generation. Da gibt es keine Botschaft in seinen Lieder. Er denke sich nichts weiter dabei, schreibe einfach was ihm in den Kopf kommt und das wär’s dann auch gewesen. Alles Unterhaltung, mehr nicht. Er sei kein Poet, eher ein Song-and-Dance Man. Das sollte seinen Fans bald klarwerden

Auf dem Newport Folk Festival hatte Dylan in den Jahren zuvor ein enthusiastisches Publikum an linksintellektuellen Folk-Liebhabern bespielt. Mit seiner Akustikgitarre und Mundharmonika sang er vom Tambourine Man, dem North Country Blues und World War III Blues. Alles war harmonisch. Ohne jeden Groll. Man verstand sich auf dem Festival. All die Probleme der Welt waren da draußen, verursacht von den Großen und Mächtigen, von dem System. Die Kriege fanden nicht in Newport, sondern am anderen Ende der Welt statt. Doch in Newport konnte man sich sicher sein, dass man auf der richtigen Seite stand, die richtige Musik hörte und die richtigen Musiker mochte. Bis sich Dylan entschied, nicht mehr mitzuspielen.

Fang bei dir selber an

„Räum erst einmal dein Zimmer auf, ehe du die Welt kritisierst.“ Das ist Regel Nummer sechs der zwölf Regeln des Psychologen und Bestsellerautoren Jordan B. Peterson.

Der Professor erfuhr plötzliche Berühmtheit als er sich im Jahr 2016 weigerte, den neuen Anforderungen des kanadischen Bill-C16 zu entsprechen. Dieses Gesetz verankert Gender-Identitäten und deren Ausdruck in der kanadischen Verfassung. Peterson fürchtete darin eine fundamentale Einschränkung der Redefreiheit. Er weigerte sich gegen den (scheinbar) rechtlichen Zwang, die Studenten seiner Vorlesungen mit deren präferierten nichtbinären Pronomen (bspw. sier oder zie, statt er/sie) anzusprechen. Das erzeugte eine Welle der Entrüstung, weit über die Grenzen Kanadas hinweg.

Peterson blieb bei seiner Meinung, wich keinen Millimeter von seiner Position ab. Neben all der Entrüstung brachte ihm das auch eine große Gefolgschaft ein. Er lieferte all jenen die Argumente, die sich von manchen Auswüchsen des links-progressiven Spektrums entfremdet fühlten. Peterson erreicht derzeit über 3 Millionen Abonnenten auf Youtube. Seine Vorlesungen und Interviews zählen zusammengenommen weit mehr als 100 Millionen Aufrufe. Mit 12 Rules for Life landete er einen Weltbestseller. Die New York Times nennt ihn den einflussreichsten Intellektuellen der westlichen Welt.

Seine Botschaft ist im Kern eine konservative. Man sollte äußerst vorsichtig sein, an der gesellschaftlichen Ordnung zu rütteln und jahrtausende-alte Traditionen und Werte über Bord zu werfen. Gesellschaftliche Hierarchien seien zu einem großen Anteil natürliche Phänomene. Hierarchien würden bereits seit hundert Millionen Jahren bei solch primitiven Tieren wie dem Hummer existieren. Hierarchien seien kein ausschließliches Produkt menschlicher Gesellschaftskonstrukte, sondern immer auch ein Teil menschlicher Natur.

Deshalb seine Botschaft: Fang bei dir selber an! Räum dein Zimmer auf! Werde erwachsen! Nimm dein Leben in den Griff! Schultere deine eigene Last anstatt mit dem Finger auf andere zu zeigen! Werde Herr deiner Lage, bevor du großspurige Gesellschaftsveränderungen einforderst! Denn: Gesellschaftssysteme sind komplex. Veränderungen führen zu unerwarteten Nebenwirkungen. Dein Leben ist auch komplex, aber im Vergleich deutlich überschaubarer. Nebenwirkungen weniger verheerend. Glaube nicht, dass du eine Ahnung davon hast, wie Millionen von Menschen ihr Leben zu leben haben. Fang bei dir selber an.

***

Bei seinem letzten Auftritt 1965 schlägt die Stimmung um. Plötzlich steht der kleine Dylan nicht mehr alleine auf der Bühne, sondern mit Band. Keine harmonische Akustikgitarre, sondern das Quietschen und Dröhnen von E-Gitarren eröffnet die Show. „I ain’t gonna work on Maggie’s farm no more“, schallt es aus den Boxen. Dylan arbeitet nicht mehr für Maggie. Dylan arbeitet für niemanden mehr, ist nicht mehr Sprachrohr von irgendwem, hat keine politische Message mehr, vielleicht hat er sie nie gehabt. Buhrufe aus dem Publikum. Als zweiter Song folgt „Like a Rolling Stone“. Auch hier keine großangelegte Gesellschaftskritik, sondern das Portrait einer Frau. Sie fällt aus ihrem wohlhabenden Leben auf sich selbst zurück und kommt zum ersten Mal mit der echten, harschen Welt in Berührung. Von Nahem erscheint ihr diese Welt ganz anders als aus der Ferne. Die vielen Interpretationen des scheinbar so gut verstandenen Leids lösen sich in Luft auf, jetzt wo sie ein Teil davon ist.

Und alle fragen sich: Was ist mit diesem Mann passiert? Woher kommt diese Introspektion? Wo ist die Sozialkritik? Wo ist der Protest?

Der Trick mit dem Ich

Was ist ein CO2-Fußabdruck? Rechner des Umweltbundesamts oder des WWFs zeigen einem, wie viel Emissionen man in einem Jahr verursacht, wie weit man über oder unter dem nationalen und weltweiten Durchschnitt liegt und wo man sich noch verbessern kann. Weniger Auto fahren. Öfters den Zug zur Arbeit nehmen. Keinen Urlaub in Übersee und im Winter etwas weniger heizen. Der CO2-Fußabdruck klärt den Einzelnen über sein schädliches Verhalten auf. Er bringt Licht ins Dunkle. Die Geschichte des Konzepts kennen allerdings die wenigsten.

Ein Fußabdruck ist eine Fläche. Ein Fußabdruck ist eine Fläche, die man einnimmt, für sich beansprucht und damit unwiderruflich verändert. Das war der Gedanke von William Rees, als er den Begriff 1992 einführte.

Wenn du in der Stadt lebst, lebst du auf engem Raum. Wohnungen sind teuer. Doch das nimmst du in Kauf. Denn umso größer die Stadt, desto mehr Jobs, desto kompakter die Infrastruktur, desto größer das kulturelle Angebot und desto näher die Geschäfte. Doch das Leben in der Stadt ist alles andere platzsparend. Wie Rees aufzeigt, beruht es auf der Aneignung von Land, Ressourcen und Arbeitskraft in peripheren Gegenden. Das kann das unmittelbar an die Stadt angrenzende Land sein, aber auch gerodete Regenwaldflächen in Brasilien oder Kobaltminen im Kongo. In der Weltsystemtheorie spricht man von der Aneignung der Stoff und Energieflüsse vom peripheren Land hin zum Kern, den Städten und Wirtschaftszentren der Welt. Diese Zentren wiederum exportieren Abfall und Abgase an die peripheren Gegenden.

Mit dem Konzept des ökologischen Fußabdrucks sollte all dies offen gelegt werden. Städte beanspruchen weit mehr Land, als das auf dem sie stehen. Der globale Norden lebt über seinen Verhältnissen, auf Kosten des globalen Südens. Mit dem ökologischen Fußabdruck ließe sich dieser überproportionale Flächenanspruch bestimmter Regionen verständlich vorstellen.

Und dann kam BP. British Petroleum. Einer der größten Erdölförderer der Welt. Anfang der 2000er dann das Rebranding: BP stünde nun für better people, better products, big picture und beyond petroleum. Die Werbeinitiative Richtung Nachhaltigkeit mündete 2004 im ersten CO2-Fußabdruck-Rechner der Welt. Wie nachhaltig lebst du? Für wie viele Emissionen bist du verantwortlich? Die Idee des ökologische Fußabdruck wurde kurzerhand umgemünzt. Plötzlich ging es nicht mehr um Städte, Länder und Unternehmen sondern um dich! Das Individuum! BP verursacht keine Emissionen, sondern allein du, der du dein Auto tankst und deine Wohnung heizt, deinen Laptop benutzt und Fleischprodukte isst.

Wo beginnt Veränderung?

„Räum erst einmal dein Zimmer auf, ehe du die Welt kritisierst.“ Wie kannst du ernsthaft gegen die Verschmutzung der Umwelt protestieren, wenn du selber Teil des Problem bist. Diese Forderung kommt auch von Vollblut-Ökos wie dem Wachstumskritiker Niko Paech. Er fordert ein Leben auf unter 2 Tonnen CO2 pro Jahr pro Kopf. Das bedeutet keine Flugreisen, kein Auto, viel weniger Konsum und kleinere Wohnung. Nur so lässt sich der Klimawandel tatsächlich auf +2°C begrenzen. Nur über den Einzelnen wird Klimaschutz operationalisierbar. Damit gewinnt man keine Mehrheiten, das gibt Paech gerne zu. Aber es gehe eben darum, authentisch in den Nischen zu leben. Die Minderheiten müssten Druck auf die Mehrheiten ausüben; aufzeigen wie ein nachhaltiges Leben ganz konkret aussehen könnte. Nur mit Referenz auf solche Beispiele könne die Politik tatsächlich nachhaltige Maßnahmen ergreifen. Es müsse aufzeigbar sein, dass Menschen bereit sind nachhaltig zu leben, und dass das tatsächlich funktionieren kann.

***

BP ist das Unternehmen mit dem historisch sechstgrößten CO2 Ausstoß der Welt [1]. Eine solche Nachhaltigkeitskampagne zu starten, ist da mit einem gewissen Risiko verbunden. Das dreiste Manöver, die manipulative Taktik hätte dem Unternehmen um die Ohren fliegen können. Das ist nicht passiert. Die Öffentlichkeit hat den Braten gefressen. Der CO2-Fußabdruck boomte und sollte fortan fest mit den Emissionen des Einzelnen assoziiert werden.

Was beim fleißigen Emissions-Tracking unter den Teppich gekehrt wird, ist, dass selbst die pro-Kopf-Emissionen eines Obdachlosen in einem Industrieland weit über dem globalen Durchschnitt liegen [2]. Was unter den Teppich gekehrt wird, ist, dass die teils harschen individuellen Einschränkungen des Lockdowns die globalen Emissionen dieses Jahr um gerade einmal 4 bis 7% verringern werden [3]. Ein vernachlässigbar kleiner Erfolg [4]. Wäre doch eigentlich eine jährliche und kontinuierliche Verringerung von 7-8% nötig um die Klimaerwärmung auf +2°C zu beschränken [5].

William Rees, der eigentliche Erfinder des ökologischen Fußabdrucks folgert, dass man zwar seine Einkaufsgewohnheiten hier du da ein wenig ändern könnte, „[...]aber im Großen und Ganzen ist das, was wir als Einzelpersonen tun, relativ belanglos“ [5].

***

Am 3. Dezember 1965 hält Bob Dylan eine Pressekonferenz in San Francisco ab. Dylan entzieht sich so ziemlich jeder Frage, spricht seiner eigenen Person oder seiner Musik jegliche größere Bedeutung ab. Die Journalisten beißen sich die Zähne an ihm aus. Im Film I’m not There wird die Szene nachgestellt, mit Cate Blanchett als Bob Dylan. Dabei fällt ein Satz, den Dylan so nicht gesagt hat, aber genauso gesagt haben könnte. Ein Song verändert die Welt nicht. „[It] doesn’t do a damn thing except disassociate you and your audience from all the evils of the world. I refuse to be disassociated from that” [6].

Wenn man einen Song schreibt, seinen Müll trennt, auf’s Fliegen verzichtet, macht man nicht genau das: sich auf oberflächliche Weise von all dem Schlechten und Bösen der Welt zu distanzieren ohne wirklich etwas dagegen zu tun? Sollte man es Dylan gleichtun: „refus[ing] to be disassociated from all the evils of the world”? Dann müsste man auch dem Gegenteil zustimmen: refusing to be disassociated from all the good in the world. Wenn das mal kein Aufruf zum Handeln ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Max Pieper

Geschichten über den Fortschritt und uns.

Max Pieper

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden