Was kostet die Welt?

Umwelt Von einer gefährlichen Idee und dem Irrweg eines grünen Neoliberalismus

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Foto: Luke Sharrett/Getty Images

33.000.000.000.000 $ (also 33 Billionen $, also 1 Millionen mal 33 Millionen $)! Das ist die Welt wert. Zumindest laut Robert Constanza, der diesen Wert 1997 in seinem berühmten Paper „Pricing the Planet“ vorstellte. Für die meisten mag der Versuch, die gesamte Erde zu bepreisen, mehr als absurd erscheinen. Schließlich lässt sich doch ganz offensichtlich nicht jeder Aspekt unseres Lebens quantifizieren und in Geldeinheiten ausdrücken. Das Aussterben des Breitmaulnashorns lässt sich genauso wenig in Geldeinheiten aufwiegen wie das Abholzen des Regenwaldes oder das Schmelzen der Polkappen. Oder doch? So absurd es uns erscheinen mag, unserem Planeten ein Preisschild zu verpassen, scheinen wir uns doch zunehmend an Konzepte wie die CO2-Steuer zu gewöhnen, ja, akzeptieren diese sogar als kaltes objektives Faktum. Wie schön, dass sich durch solch eine Steuer die Klimaschäden einer Flugreise einfach kompensieren lassen und man nun ganz ohne schlechtes Gewissen reisen kann! Warum sich die Monetarisierung (also die „Vergeldlichung“) der Natur in der vorherrschenden marktwirtschaftlichen Ordnung so großer Beliebtheit erfreut und worin ihre Gefahren und Chancen bestehen, davon handelt dieser Artikel.

Das Prinzip der Monetarisierung ist ganz simpel: Wenn ich den Wert von einem Fleck Natur in Geldeinheiten ausdrücken kann, kann ich diejenigen zur Kasse bitten, die diesen Fleck Natur verschmutzen und zerstören. Denn aktuell ist es so, dass umweltverschmutzende Unternehmen und Individuen größtenteils ungestraft davonkommen. Der Wertschöpfungsprozess vieler Produkte verursacht enorme Umweltschäden, die jedoch nicht dem Verschmutzenden selbst sondern allen anderen zu Laste fallen. Seinen eigenen Müll in den Garten des Nachbarn zu kippen, ist in der vorherrschenden Wirtschaftsordnung also durchaus toleriert. Also doch eigentlich sehr sinnvoll, die Verschmutzenden auch für die Verschmutzung zahlen zu lassen. In gewisser Weise schon. Und gleichzeitig haftet dem Konzept eine ordentliche Portion Zynismus an. Denn wenn man seinen Müll in den Garten des Nachbarn wirft, wird man die Lage sicher nicht entschärfen können, indem man noch ein wenig Bargeld hinterherwirft.

Ein häufig vorgebrachtes Argument für die Monetarisierung ist, dass Natur auch jetzt schon einen impliziten Preis besitzt: nämlich gar keinen. Die Einpreisung von Umweltschäden stelle damit lediglich eine dringend notwendige Inwertsetzung der Natur und somit eine Behebung von vorherrschenden Marktfehlern dar. Doch woran misst sich der monetäre Wert von einem Stück Regenwald? Ist es der Wert des Ertrages an Sojabohnen, den ich auf ihm pflanzen könnte? Oder doch der Wert des Holzes? Man könnte auch die dort lebenden Tiere an einen Zoo verkaufen.

Die große Beliebtheit des Konzepts der Monetarisierung kann hierbei als direkte Folge der zunehmenden Entpolitisierung der Wirtschaft gesehen werden. Was auch immer die Mechanismen des freien Marktes hervorbringen, spiegele die Bedürfnisse der Bürger wieder. Und derjenige, der gewillt ist, diesen Mechanismen politisch Grenzen zu setzen, unterdrücke folglich die Bedürfnisse und die Freiheit der Bürger. So jedenfalls das neoliberale Dogma. Politik habe sich also so gut wie möglich aus der Wirtschaft fernzuhalten. Es passt somit gut in diese Weltanschauung, den verheerenden Einfluss des Menschen auf die Ökosphäre allein auf Marktunvollkommenheiten, auf nicht-eingepreiste Umweltfolgekosten der Konsumgüter, zu reduzieren. Würde man die Marktmechanismen entsprechend anpassen und Umweltfolgekosten steuerlich in die Produktpreise einbinden, wäre das Problem gelöst. Denn schädlichere Produkte würden teurer und folglich weniger gekauft werden, und Steuereinnahmen könnten in umweltfreundlichere Wertschöpfungsverfahren investiert werden. Die Marktmechanismen funktionieren nun noch besser, durch einen gänzlich unpolitischen Eingriff, der alleine den kalten objektiven Fakten der Wissenschaft folgt.

Doch die Monetarisierung von Umwelt ist weder objektiv noch unpolitisch. Versteckt in den errechneten Geldbeträgen sind eine Vielzahl von Werturteilen: Welchen Wert haben zukünftige Schäden für uns in der Gegenwart? Wie sind seltene aber katastrophale Ereignisse zu bewerten? Und die wirklich kniffligen Fragen: wie viel ist ein Menschenleben, eine uralte Kultur, eine seltene Spezies oder ein jahrtausendealter Baum wert? Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten dass all diese Fragen implizit oder explizit durch eine Monetarisierung von Umweltschäden beantwortet werden. Denn Umweltschäden bedrohen Menschen, Kulturen, Spezies usw. Diese Auswirkungen der Schäden einzupreisen, heißt etwas in Geldeinheiten auszudrücken, was sich ganz offensichtlich nicht in Geldeinheiten ausdrücken lässt. Des Weiteren birgt eine monetäre Bewertung die Gefahr, dass Natur, die den Wertschöpfungsprozessen zuvor entzogen war, nun Einzug in diese findet. Denn durch das Beziffern von Natur wird sie zur Ware, und damit handelbar. Wie im Falle des Nachbarn, der sich für das ignorante Abladen seines Mülls mit ein wenig Bargeld entschuldigt, ermöglicht die monetäre Bewertung potenziell die Kompensation und somit die Entschuldigung jeglichen ökologischen Fehlverhaltens. Die fortschreitende Expansion der Märkte und der dadurch global steigende Ressourcenverbrauch sind die Ursachen der gegenwärtigen ökologischen Katastrophe. Die monetäre Bewertung birgt die Gefahr, sie zu legitimieren und anzutreiben, anstatt sie einzudämmen. Und dennoch: die Umweltschäden nicht einzupreisen, bedeutet implizit ihnen keine Kosten zuzuschreiben und sie somit zu unterschätzen und herunterzuspielen.

So scheinen wir in einem Dilemma gefangen zu sein. Der Weg aus diesem Dilemma ist hierbei weder eine uneingeschränkte Anwendung noch eine gänzliche Ablehnung der monetäre Bewertung und Einpreisung von Umweltschäden. Stattdessen muss eine sinnvolle Kombination aus Monetarisierung und Verboten gefunden werden. Ein Vorschlag für eine solche Kombination wäre, generell die Umweltschäden aller Produkte zu monetarisieren und einzupreisen, jedoch gleichzeitig den Konsum von nicht lebensnotwendigen Gütern, ethisch unvertretbaren Produktions- und Dienstleistungspraktiken sowie schützenswerten Lebensräume durch Verbote zu beschränken und zu unterbinden. Diesem Vorgehen liegt die Einsicht zu Grunde, dass eine monetäre Kompensation von Umweltschäden nicht uneingeschränkt möglich ist und auch nicht möglich sein sollte. Deshalb müssen durch Verbote absolute Limits für den Konsum bestimmter Produkte und Dienstleistungen geschaffen werden. Doch was bedeutet das konkret? Nicht lebensnotwendig sind beispielsweise Flugreisen. Schließlich gibt es reichlich klimafreundlichere Alternativen um von A nach B zu kommen. Warum also kein Verbot von mehr als zwei Flugreisen pro Jahr pro Kopf? Ethisch unvertretbare Produktions- und Dienstleistungspraktiken schließen definitiv die industrielle Massentierhaltung mit ein. Warum also kein gänzliches Verbot dieser? Zu den schützenswerte Lebensräumen lassen sich gleichermaßen die tropischen Regenwälder in Brasilien und der deutsche Schwarzwald zählen. Warum also kein gänzliches Verbot von zerstörerischen Wertschöpfungsaktivitäten in diesen Zonen?

Für alle lebensnotwendigen Grundgüter, wie beispielsweise Lebensmittel, hingegen ist es sinnvoll, deren Umweltschäden in den Verkaufspreis einzubeziehen und somit Verbote zu vermeiden; vorausgesetzt natürlich, dass die Produktionsbedingungen der Güter die eben genannten Rahmenbedingen nicht verletzen. Wenn ich also gerne zum Frühstück Orangensaft trinke, für den die Orangen von Spanien bis nach Deutschland gefahren werden müssen, muss ich auch bereit sein, für die durch den längeren Transportweg entstandenen Umweltschäden zu bezahlen. Doch gehört der Orangensaft aus Spanien oder der Kaffee aus Uganda tatsächlich noch zu den lebensnotwendigen Grundgütern oder handelt es sich bereits um Luxusprodukte? Natürlich lässt sich nicht trennscharf unterscheiden, welche Güter lebensnotwendig sind und welche nicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass man eine Diskussion darüber erst gar nicht führen sollte. Denn das Suchen nach Fragen auf die es keine universellen Antworten gibt, ist Kernaufgabe einer Demokratie.

Als generellen Einwand gegen die Einpreisung von Umweltschäden vernimmt man zudem häufig, dass eine solche Politik die Schlechtestgestellten der Gesellschaft unverhältnismäßig stark treffen würde. Richtig und falsch. Richtig, denn es gibt das Beispiel des Pendlers, der sich keine Wohnung in der Innenstadt leisten kann und deshalb in einer Kleinstadt ohne Bahnanbindung auf sein Auto angewiesen ist. Muss er nun noch zusätzlich für die CO2-Emissionen seines Autos bezahlen, so hat er keine Möglichkeit dieser finanziellen Belastung auszuweichen. Denn es fehlt ihm an Alternativen, auf die er umsteigen könnte. Die Bahn fährt nicht bis zu seiner Kleinstadt. Eine Einpreisung von Umweltschäden muss also unbedingt an den Ausbau von nachhaltig nutzbarer Infrastruktur gekoppelt sein. Gleichzeitig ist der Einwand zur Benachteiligung der Schlechtestgestellten falsch. Jedenfalls insofern die Einnahmen der bezahlten Umweltschäden durch den Staat an jeden Bürger in gleicher Höhe zurückverteilt werden. Diejenigen, die wenig ökologischen Schaden anrichten, profitieren, der Rest muss zahlen. Klingt doch eigentlich ziemlich sozial.

Was kostet die Welt? Man sieht, welche Vielzahl an Tücken sich bei der Beantwortung dieser Frage ergeben. Die größte davon ist sicherlich die Gefahr, dass durch die Monetarisierung und Kommodifizierung der Natur das Wachstum der Märkte und der Ressourcennutzung weiter angetrieben und sogar legitimiert wird. Die Monetarisierung der Natur ist eine gefährliche Idee. Es gilt deshalb endlich eine politische Diskussion über ihre richtige Anwendung zu führen, die nicht vor Verboten und der Eindämmung der Marktwirtschaft zurückschreckt. Nur so können wir dem Irrweg eines grünen Neoliberalismus entkommen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Max Pieper

Geschichten über den Fortschritt und uns.

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